Volksbegehren „Rettet die Bienen“

Wissenschaftler begrüßen Reaktion des Landes

Baden-Württemberg will aktiv werden, um das Insektensterben zu stoppen. Als Reaktion auf das Volksbegehren „Rettet die Bienen", das mit sehr weitreichenden Forderungen bei vielen Landwirten auf Kritik stieß, legte die Landesregierung vergangene Woche ein eigenes Eckpunktepapier als Kompromiss vor. Aus Sicht von Experten der Universität Hohenheim in Stuttgart korrigiert das Maßnahmenpaket entscheidende Schwachpunkte des Volksbegehrens und schaffe die Grundlage für einen notwendigen Dialog. Entscheidend sei nun, wie die Pläne konkret umgesetzt werden. In Presse-Statements äußern sich Prof. Dr. Johannes Steidle, Tierökologe, Dr. Sabine Zikeli, Leiterin des Zentrums für ökologischen Landbau, Prof. Dr. Ralf Vögele, Dekan der Fakultät Agrarwissenschaft und Direktor des Instituts für Phytomedizin sowie Dr. Peter Rosenkranz, Leiter der Landesanstalt für Bienenkunde.
 
Chance für Artenschutz und Dialog: Wissenschaflter der Uni Hohenheim loben Schwerpunkte des geplanten Maßnahmenpakets für den Insektenschutz in Baden-Württemberg © Uni Hohenheim / Corinna Schmid

Pressestatements 

Prof. Dr. Johannes Steidle, Fachgebiet Tierökologie, Universität Hohenheim
„Das Eckpunktepapier des Landes enthält entscheidende Punkte, die mir im Text des Volksbegehrens gefehlt hatten. Denn Pestizide sind zwar ein Teil des Problems, aber andere Faktoren sind vermutlich sogar noch wichtiger. Der Entwurf des Landes nimmt hier eine sinnvolle Gewichtung vor.
 
Mit hoher Priorität muss das Ziel verfolgt werden, Lebens- und Rückzugsräume, für Insekten zu schaffen bzw. zu schützen. Wir müssen dringend dahin kommen, dass unsere Landschaft, die von großflächigen Monokulturen geprägt ist, vielfältiger wird, z.B. durch wilde Wiesen, Hecken, Blühstreifen etc.
 
Das Ziel, dass auf 10% der landwirtschaftlichen Flächen sogenannte FAKT-Maßnahmen mit biodiversitätsstärkender Funktion umgesetzt werden soll, erscheint mir hier sinnvoll. Dabei muss allerdings sichergestellt sein, dass es sich tatsächlich um mehrjährige Maßnahmen handelt, andernfalls ist der Effekt zu gering. Schutzgebiete auszuweiten und zu vernetzen ist ebenfalls ein richtiger Ansatz. Eine sehr sinnvolle Ergänzung wäre es hier, am Rande von Naturschutzgebieten zusätzlich auch vermehrt Pufferzonen mit eingeschränktem Schutzstatus zu schaffen.
 
Auch die angestrebte Reduktion von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln ist als eine Maßnahme im Gesamtpaket sinnvoll. Entscheidend ist dabei vor allem, die Flächen zu reduzieren, auf denen diese Mittel zum Einsatz kommen, nicht so sehr die Menge pro Fläche. Bisher haben wir allerdings gar keine gesicherten Erkenntnisse, wie viele Pflanzenschutzmitteln in Baden-Württemberg überhaupt ausgebracht werden. Wenn durch das Gesetz eine Dokumentation auf den Weg gebracht wird, so ist das auch aus Sicht der Forschung zu begrüßen, da wir Zusammenhänge so besser verstehen können.
 
Ebenfalls bewerte ich positiv, dass die angestrebten Maßnahmen nicht ausschließlich auf die Landwirtschaft und den ländlichen Raum abzielen, sondern auch Städte und Siedlungsbereiche einbeziehen. Insektenschutz ist in der Tat eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und die öffentliche Hand muss dringend mit gutem Beispiel vorangehen. Gerade öffentliche Grünflächen und -streifen, die leider viel zu häufig gemäht werden, bieten noch viel ungenutztes Potential."
 
Dr. Sabine Zikeli, Leiterin des Zentrums für ökologischen Landbau, Universität Hohenheim
„Das Ziel, den ökologischen Landbau bis 2030 auf 30-40% zu erhöhen erscheint mir deutlich realistischer als die Forderung des Volksbegehrens. Entscheidend aus meiner Sicht ist zudem, dass der Umstieg nicht zwangsverordnet werden soll. Der Ausbau wird nur gelingen, wenn der Ökolandbau so attraktiv ist, dass Landwirte freiwillig darauf umsteigen. Das Paket an Fördermaßnahmen, das im Eckpunktepapier genannt ist, geht in die richtige Richtung – muss nun aber auch tatsächlich konsequent umgesetzt werden.
 
Es ist richtig, dass bei den Fördermaßnahmen neben Beratung der Landwirte insbesondere auch der Markt in den Blick genommen wird. Denn nur, wenn die Nachfrage nach ökologischen Erzeugnisse steigt, wird das Modell letztlich für die Landwirte attraktiv. Neben erhöhten Fördersätzen für den ökologischen Landbau spielt dabei auch die Vermarktung eine wichtige Rolle. Denn auch Verbraucherinnen und Verbraucher müssen mitgenommen werden.
 
Ein richtiger Schritt ist in diesem Zusammenhang, dass öffentliche Einrichtungen mit gutem Beispiel vorangehen sollen, und der Anteil an regionalen biologischen Produkten in den Kantinen und Schulen etc. erhöht werden soll.
 
Was die Reduktion von Pflanzenschutzmitteln betrifft, war es sehr wichtig, dass klargestellt wurde, dass damit chemisch-synthetische Mittel, nicht aber biologische gemeint sind.
 
Einen Hebel, um eine schnelle Reduktion zu erreichen sehe ich vor allem im Bereich der Herbizide, die deutschlandweit ca. ein Drittel der eingesetzten Mittel ausmachen. Die ökologische Landwirtschaft zeigt, dass hier durch Fruchtfolge, Sortenwahl, Aussaatzeitpunkt und mechanische Verfahren wie Hacken sehr viel erreicht werden kann. Auf Landwirte kommen dabei allerdings unter Umständen Investitionen in neue Maschinen zu, was durch entsprechende Fördermaßnahmen unterstützt werden sollte.
 
Insgesamt ist zu begrüßen, dass das Papier neben der Landwirtschaft auch weitere wichtige Faktoren für den Insektenschutz in den Blick nimmt, inklusive Maßnahmen in Siedlungsgebieten und Privatgärten. Wenn wir bei diesem ambitionierten Projekt Stadt und Land gegeneinander ausspielen, ist das Scheitern vorprogrammiert. Wir brauchen den Dialog aller Akteure."
 
Prof. Dr. Ralf Vögele, Dekan der Fakultät Agrarwissenschaften und Direktor des Instituts für Phytomedizin, Universität Hohenheim
„Das Eckpunktepapier stellt einen großen Fortschritt im Vergleich zu den Forderungen des Volksbegehrens dar, da es von Maximalforderungen Abstand nimmt. Es könnte sich ein Kompromiss abzuzeichnen, den auch Landwirte mitgehen können. Allerdings wird es nun darauf ankommen, wie genau das Ziel, chemisch-synthetische Pflanzenschutzschutzmittel zu reduzieren, im Gesetz tatsächlich ausformuliert wird.
 
Eine Reduktion um 50% bis 2030 halte ich dann für möglich, wenn dabei die Gesamtmenge über alle Anbaukulturen hinweg betrachtet wird. An der Universität Hohenheim forschen wir beispielsweise an neuen Verfahren, wie wir auf einem ‚Dritten Weg‘ bei bestimmten Kulturen komplett auf Pflanzenschutzmittel verzichten können, dazu zählt z.B. Mais, Weizen aber auch Hülsenfrüchte.
 
Bei anderen Kulturen ist dies jedoch nicht möglich, etwa bei Kartoffeln, oder bei den Sonderkulturen im Obst- oder Weinbau. Hier können wir auch nicht ohne Weiteres die Dosis oder das Spektrum der eingesetzten Mittel reduzieren. Andernfalls verlieren diese früher oder später ihre Wirksamkeit und Schädlinge können sogar Resistenzen entwickeln, wobei derzeit ohne Pflanzenschutzmittel noch keine landwirtschaftliche Produktion auf ähnlichem Ertragsniveau wie heute in Sicht ist.
 
Diesem Sachverhalt muss das Gesetz Rechnung tragen. Andernfalls wäre die Existenz vieler Landwirte besonders im Bereich der Sonderkulturen bedroht."
 
Dr. Peter Rosenkranz, Leiter der Landesanstalt für Bienenkunde, Universität Hohenheim
„Ich begrüße das vorgelegte Eckpunktepapier sehr, da es auf Dialog und eine ausgewogene Betrachtung aller relevanten Faktoren setzt. Dies ist der einzige Weg, um den aufgeheizten Konflikt einer sinnvollen Lösung zuzuführen.
 
Positiv ist zu bewerten, dass Fördermaßnahme gegenüber reinen Verboten mehr Gewicht erhalten und dass die meisten für Artenschutz relevanten Gruppen in einem Dialogforum an einem Tisch zusammenkommen sollen, um gemeinsam zu erarbeiten, wie die Ziele konkret erreicht werden können.
 
Dieser Weg ist zwar langwierig, aber die Mühe dürfte sich auszahlen. Wir haben z. B. im Konfliktfeld ‚Pflanzenschutz vs. Bienenschutz‘ sehr gute Erfahrungen damit gemacht, dass Imker, Landwirte, Landwirtschaftsverwaltung und Wissenschaftler regelmäßig zu sogenannten Bienenschutzausschüssen auf regionaler Ebene zusammenkommen, um aktuelle Probleme gemeinsam zu lösen.
 
Ein weiterer positiver Aspekt ist, dass durch diesen Dialog hoffentlich auch mehr Hintergründe und Probleme von Landwirtschaft und Naturschutz in den Medien aufgearbeitet werden und die Bevölkerung sich dadurch intensiver und sachlicher informieren kann.
 
Das Eckpunktepapier betont zurecht, dass Artenschutz nicht nur im ländlichen Bereich stattfinden darf und es zur Bewältigung dieser Aufgabe einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung bedarf. Auch Verbraucher müssen dabei in die Pflicht genommen werden: Wer mehr ökologische Landwirtschaft will, sollte auch die entsprechenden Produkte kaufen.
 
Ergänzend dazu wäre es auch dringend notwendig, dass Kenntnisse über grundlegende Zusammenhänge der Landwirtschaft sowie des Natur- und Artenschutzes in Schulen verbindlich zum Thema gemacht werden."
 
Kontakt: Universität Hohenheim | presse@uni-hohenheim.dewww.uni-hohenheim.de

Umwelt | Biodiversität, 20.10.2019

     
        
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