Studie von Save the Children: Heimarbeit fördert Bildung
Die Studie untersucht die Situation in China, Bangladesch, Indien, Indonesien, Myanmar, Malaysia und Vietnam.
Am 24.1.2020 ist der internationale Tag der Bildung. Er erinnert an die Globale Nachhaltigkeitsagenda 2030, in der sich die Weltgemeinschaft dazu verpflichtet hat, bis zum Jahr 2030 eine hochwertige, inklusive und chancengerechte Bildung für Menschen weltweit und lebenslang zur Verfügung zu stellen. Gerade in Schwellen- und Niedriglohnländern, wo Armut und schwache Infrastrukturen vorherrschen, ist dies eine Herausforderung. Heimarbeit, die oftmals mit Kinderarbeit gleichgesetzt wird, ist hier häufig an der Tagesordnung: Laut Schätzungen der International Labour Organization (ILO) tragen weltweit rund 300 Millionen Heimarbeiter zur globalen Wirtschaftsleistung bei. Dass Heimarbeit aber auch Bildung fördert ist ein überraschendes Ergebnis der Studie „Zum Wohle des Kindes? Heimarbeit in Textillieferketten" im Auftrag von Save the Children.
Eine nähere Betrachtung der Verhältnisse in puncto Heimarbeit aus Kinderrechtsperspektive gab es bisher nicht. Die Studie zur Heimarbeit von Save the Children legt erstmals die Fakten offen. Was bedeutet Heimarbeit für Kinder und ihre Familien, ihr Wohlergehen und ihre Rechte? Weshalb entscheiden sich manche Menschen für Heimarbeit, unter welchen Bedingungen verrichten sie diese Arbeit und wie wirkt sich das auf Kinder aus? Bei der Erörterung dieser Fragen wurde die Organisation unter anderem von der NGO Nest, der Ethical Trading Initiative und Unternehmen wie IKEA Purchasing & Logistics South East Asia und Zalando (vormals zLabels) unterstützt.
Die Studie untersucht die Situation in China, Bangladesch, Indien, Indonesien, Myanmar, Malaysia und Vietnam. Demnach bezieht immerhin ein Anteil von 19 Prozent der Heimarbeiter die eigenen Kinder in die Arbeit ein. Dabei handelt es sich meist um leichte Arbeiten. Aus der Perspektive des Kinderrechts legt die Studie nahe, dass Heimarbeit ernsthafte Risiken birgt, denen begegnet werden muss, aber auch echte Chancen und Perspektiven schaffen kann. So gaben 92 Prozent der Heimarbeiter an, auf diese Weise mehr Zeit für den Haushalt und die Kinder zur Verfügung zu haben. Zudem gehen 90 Prozent der Kinder von Heimarbeitern zur Schule. Prekär sieht die Situation jedoch in Familien aus, die von dem Einkommen der Kinder abhängig sind. Dies ist vornehmlich in Gegenden mit schwierigen Lebensbedingungen wie dicht besiedelten städtischen Gemeinden und Slums der Fall, in denen familiäre Grundbedürfnisse hinsichtlich Wasser- und Sanitärversorgung, Privatsphäre und ausreichender Ernährung nicht befriedigt werden können.
Erhöhte Chancen für Schulbesuch versus Ausbeutung von Kindern durch Heimarbeit
Laut der Studie lassen Heimarbeiter ihren Nachwuchs seltener zu Hause allein (10,5 Prozent) als beispielsweise Fabrikarbeiter (23,9 Prozent). Da Heimarbeit meistens in Haushalten mit niedrigem Grundeinkommen stattfindet und in Gegenden oder Gemeinden, wo es kaum oder keine Angebote zur Kinderbetreuung gibt, kann sie auch zur finanziellen Entlastung der Familien führen, wenn der zweite Elternteil das Haus für die Arbeit nicht verlassen kann.
Eltern, insbesondere Mütter, haben dank der Heimarbeit mehr Zeit, sich um die Kinderbetreuung und deren Bildung zu kümmern. Das führt dazu, dass Kinder von Familien weiter regelmäßig zur Schule gehen können, auch am Nachmittag betreut werden und Unterstützung bei den Hausaufgaben bekommen. In Bangladesch beispielsweise gehen 96,7 Prozent der 12- bis 13-jährigen Mädchen und Jungen aus Haushalten, in denen Heimarbeit stattfindet, zur Schule. Diese Zahl liegt deutlich über den nationalen Schülerzahlen, die bei 62,7 Prozent liegen. Insgesamt liegt die Schulbesuchsquote in den befragten Ländern beeindruckend hoch: Rund 91 Prozent der Kinder unter
15 Jahren besuchen noch die Schule. Die Schulabbruchsquote in den untersuchten Ländern bei Kindern unter 17 Jahren liegt lediglich bei 9,4 Prozent.
Eine Herausforderung für die Heimarbeiter in manchen Ländern sind allerdings die hohen Bildungskosten, die selbst für das Erlangen eines Basiswissens entstehen. Sie gehören zu den monatlichen Grundausgaben. Trotzdem legen Heimarbeiter Wert auf die Schulbildung ihrer Kinder, was ein Blick auf die Ausgaben der Familie verdeutlicht: rund 38 Prozent des Einkommens wird für Schulgebühren und sonstige Schulkosten ausgegeben. Zum Vergleich: 36 Prozent des Einkommens entfällt auf Nahrung, 9,7 Prozent auf Gesundheitskosten wie Arztbesuche und Medikamente.
Analog dazu sind die Erwartungen an den Bildungsabschluss der Kinder hoch: Die Mehrheit von 61 Prozent der Eltern erhoffen sich einen Hochschulabschluss (College, Fachhochschule oder höher) für ihre Kinder.
Entsprechend viel Zeit wird auch auf den Bildungsbereich verwendet, schaut man sich die Arbeitsstunden pro Tag von arbeitenden Kindern an, die zur Schule gehen. Bei den 12- bis 17-jährigen entfallen durchschnittlich rund 8 Stunden pro Tag auf die Zeit in der Schule mit Erledigung der Hausaufgaben. Vier Stunden pro Tag fallen im Schnitt für die Arbeit an. Zwei Stunden täglich bleiben für die Freizeit übrig.
Bei Kindern zwischen 12 und 14 oder 15 Jahren, die mehr als 14 Stunden wöchentlich neben der Schule arbeiten, sollte genauer hingeschaut werden. Nach Vorgaben des ILO-Übereinkommens Nr. 138, welches die Anzahl an zulässigen Arbeitsstunden je Altersgruppe definiert, grenzt dies oftmals an Kinderarbeit, gerade wenn das gesetzlich zulässige Mindestalter noch nicht erreicht ist.
Es ist nicht empfehlenswert, Kinder mehr als 10 Stunden täglich mit einer Kombination aus Arbeit und Schule zu belasten. Fakt ist, dass Spielen, sportliche Aktivitäten und Zeit für sich selbst oder zur Erholung für die gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen enorm wichtig sind. Bei zwei Stunden Freizeit täglich kommt dies allerdings zu kurz und kann die physische und psychische Gesundheit stark beeinträchtigen.
Anders sieht die Situation in Familien aus, die von dem Einkommen der Kinder abhängig sind. Sie sowie Kinder, die in anderen häuslichen Betrieben als dem ihrer Eltern arbeiten, sind in der Regel zwischen 10 und 13 Stunden pro Tag beschäftigt und einem deutlich höheren Ausbeutungsrisiko ausgesetzt. Sie sind oftmals gar nicht oder nur wenig abgesichert und bekommen, wenn überhaupt, nur einen sehr geringen Lohn oder nur kostenlose Verpflegung und Unterkunft. Die Zeit zur Erholung oder für sich selbst ist bei diesen Kindern entweder stark eingeschränkt oder nicht vorhanden, die Bildung kommt viel zu kurz. In diesen Fällen handelt es sich nach ILO-Konventionen um Kinderarbeit. Auffällig ist, dass derartige Fälle ausschließlich in Kontexten festgestellt wurden, in denen keine Regulierung durch internationale Standards vorherrscht.
Höhere Transparenz durch etablierte Compliance Programme und NGOs
Heimarbeiter stellen in zentralen Branchen wie zum Beispiel Textil- und Bekleidungs-, Leder-, Teppich- und Elektroindustrie einen wesentlichen Teil der Arbeitskräfte und sind in vielen Teilen der Welt eine wichtige Beschäftigungsquelle, so die International Labour Organization (ILO). Insbesondere wirtschaftlich und sozial benachteiligte Frauen sowie arme Familien profitieren von der Heimarbeit. Zu der Frage, inwiefern Kinder an der Heimarbeit beteiligt sind und wie sich dies auf das Kindeswohl auswirkt, gab es bisher keine validen Angaben.
Die Ergebnisse der Studie belegen, dass Heimarbeiter, die in globale Lieferketten eingebunden sind, vor allem in Bezug auf Arbeitsbedingungen, Gesundheit, Sicherheit und Ausbeutung häufig bessergestellt sind als Heimarbeiter ohne Anschluss an globale Lieferketten. Grund hierfür sind die
höhere Transparenz sowie etablierte Compliance-Programme globaler Unternehmen. Auch in Regionen, in denen NGOs tätig sind, geht es Heimarbeitern besser.
Verbot von Heimarbeit verschlimmert oftmals Situation
Rund 52 Prozent der in der Studie befragten Arbeiter stellen Produkte für internationale Unternehmen bzw. Zwischenhändler her. Ein Großteil (67,6 Prozent) ist sich dessen aber nicht bewusst. Auch internationale Unternehmen haben oftmals keinen vollständigen Überblick über ihre Lieferketten und können nicht nachverfolgen, ob Heimarbeiter an der Lieferkette beteiligt sind oder nicht. Kenntnis darüber erhalten sie häufig nur durch Zufall. Die Folge ist, das Unternehmen Heimarbeiter entweder komplett aus der Lieferkette ausschließen, was zum Verlust der dringend benötigten Einkommensquelle für die Familie führt. Oder dass Verhaltenskodizes, die beispielsweise für Werkstätten gelten, eins zu eins auf Heimarbeiter übertragen werden. Eine formale Umsetzung und entsprechende Kontrolle von Standards sind in diesem Umfeld allerdings nicht möglich.
„Obwohl die ILO schätzt, dass ca. 300 Mio. häusliche Arbeiter zur globalen Wirtschaftsschöpfung beitragen, ist die vorliegende umfangreiche Datensammlung die erste länderübergreifende Analyse der Auswirkungen von Heimarbeit auf die Kinder, in deren Heimen diese Arbeit stattfindet. Bisher hat sich niemand damit aus Kinderrechtsperspektive beschäftigt", erklärt Susanna Krüger, Geschäftsführerin von Save the Children Deutschland. „Heimarbeit wird häufig mit Kinderarbeit assoziiert, deshalb verbieten Unternehmen sie lieber gleich ganz, bevor sie einen Imageschaden erleiden, wenn Kinderarbeit in ihren Lieferketten entdeckt wird. Unsere Untersuchungen zeigen, dass ein generelles Verbot die Heimarbeiter lediglich zwingt, sich zu verstecken. Das aber macht sie schutzlos vor Ausbeutung. Wir empfehlen daher Unternehmen sich dem Thema Heimarbeit anzunehmen und gemäß unserem Aktionsplan umzusetzen. Einige Unternehmen gehen hier bereits mit gutem Beispiel voran."
So arbeiten beispielsweise in Südostasien Heimarbeiter in der IKEA-Lieferkette mit Einrichtungsgegenständen aus Naturfasern. Für das Unternehmen war die Beteiligung an der Studie von Save the Children die Gelegenheit, mehr Informationen zu der Situation der Heimarbeiter zu sammeln und daraus entsprechenden Handlungsbedarf zu identifizieren.
"Wir sind bestrebt, die Bedingungen für die Menschen, die in der IKEA-Lieferkette arbeiten, kontinuierlich zu verbessern", sagt Kanwarpreet Singh, Sustainability Compliance Manager für IKEA in Südostasien. „Durch den Zugang zu menschenwürdiger und sinnvoller Arbeit können wir unseren Beitrag zur Schaffung einer fairen und gleichberechtigten Gesellschaft leisten und gleichzeitig zu einer Wertschöpfungskette für IKEA beitragen, in der sich die Menschen respektiert fühlen, motiviert sind, ihre beste Arbeit zu leisten, und in der Lage sind, ein besseres Leben für sich zu schaffen. Die Unterstützung dieser Studie hat uns weitere Ideen geliefert, wie wir einen positiven Einfluss auf Menschen, Gesellschaft und den Planeten ermöglichen. "
Auch Dr. Uwe Mazura, Geschäftsführer des Gesamtverbands textil + mode, dem Branchenverband der deutschen Textil- und Modeindustrie, ist von dem positiven Beitrag der Studie überzeugt:
"Die Unternehmen der deutschen Textil- und Modeindustrie arbeiten nach weltweit höchsten Umwelt- und Sozialstandards. Dabei sind uns der Schutz von Kindern und ihre Rechte besonders wichtig. Einen überaus wertvollen Beitrag leistet die neue Studie von Save the Children. Hier wurde erstmalig in großem Umfang Heimarbeit in globalen Lieferketten unter die Lupe genommen. Wenn Eltern zuhause arbeiten, hat dies laut Studie durchaus positive Auswirkungen auf die Kinder, ihre Erziehung und ihre Bildungschancen. Hier wollen wir auch künftig zusammenarbeiten, da wir Save
the Children als kompetenten und verlässlichen Partner für unsere mittelständische Textilindustrie schätzen."
„Aktionsplan Heimarbeit" von Save the Children sorgt für mehr Transparenz
Im Ergebnis belegt die Studie, dass an globale Lieferketten angebundene Heimarbeiter in Bezug auf Arbeitsbedingungen, Gesundheit, Sicherheit und Schutz vor Ausbeutung häufig bessergestellt sind. Verantwortlich dafür sind die höhere Transparenz sowie etablierte Compliance-Programme globaler Unternehmen. Auch Heimarbeitern, die in Regionen arbeiten, in denen NGOs aktiv sind, geht es häufig besser. Um die Rahmenbedingungen für Heimarbeiter insgesamt stärker zu verbessern und das Wohl des Kindes sicherzustellen hat Save the Children einen „Aktionsplan Heimarbeit" erstellt. Dieser gibt Unternehmen und Zulieferern Empfehlungen, wie das Wohl des Kindes in Heimarbeit sichergestellt werden kann. Die Intention von Save the Children mit diesem Aktionsplan ist, Unternehmen dazu zu bewegen, sich mit etablierten NGOs vor Ort um mehr Transparenz in ihren Lieferketten zu bemühen, damit die Kinder auch in diesen Umständen zu ihren international verbrieften Rechten kommen.
Über die Studie
Die Studie wurde vom Center for Child Rights & Corporate Social Responsibility (CCR CSR), einem Tochterunternehmen von Save the Children, durchgeführt. Die Non-Profit Beratungsfirma mit Hauptsitz in Hongkong wurde vor 10 Jahren von Save the Children Schweden gegründet und berät Unternehmen bei der Umsetzung von Kinderrechten in ihren Lieferketten. Unterstützt wurde die Organisation dabei unter anderem von IKEA Purchasing & Logistics South East Asia, Zalando (vormals zLabels), der Ethical Trading Initiative und der NGO NEST, die Kontakte zu Heimarbeitern zur Verfügung gestellt haben.
Im Rahmen der Studie wurden 601 Interviews mit Heimarbeitern in China, Bangladesch, Indien, Indonesien, Myanmar, Malaysia und Vietnam durchgeführt. 542 Interviews wurden mit Erwachsenen und 37 mit Kindern unter 18 Jahren durchgeführt. Von den 601 Interviews konnten 579 Interviews für eine aggregierte Analyse genutzt werden. 87 Prozent der befragten Heimarbeiter waren Frauen. Insgesamt haben alle Heimarbeiter zusammen 952 Kinder unter 18 Jahren. Zusätzlich wurden weitere 50 Kinder von Heimarbeitern befragt, die bei den Interviews anwesend waren.
Nähere Informationen zu den Ergebnissen der Studie, wie zum Beispiel zu Rechts-, Hygiene- und Sicherheitsstandards, erhalten Sie in der Zusammenfassung.
Kontakt: Save the Children Deutschland e.V., Pressestelle – Claudia Kepp
Claudia.kepp@savethechildren.de | www.savethechildren.de
Claudia.kepp@savethechildren.de | www.savethechildren.de
Gesellschaft | Bildung, 27.01.2020
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