Widerstand der Wissenschaftsgemeinde gegen Ver-Dammung der Vjosa in Albanien
776 Wissenschaftler verlangen in einer Petition ein Ende der Staudammprojekte an der Vjosa in Albanien
In einer Pressekonferenz am 15. Februar in Tirana haben albanische Wissenschaftler, unterstützt von Kollegen aus Österreich und Deutschland, ihre Stimme für die Vjosa erhoben und dabei insbesondere die laufenden Vorgänge in Bezug auf das Kalivaç-Staudammprojekt kritisiert.
Ihre Position hat enormen Rückhalt in der Wissenschaftsgemeinde erfahren: 776 Wissenschaftler aus 46 Ländern unterzeichneten die Petition, darunter einige der renommiertesten Wissenschaftler der Welt. Sie fordern, die geplanten Wasserkraftprojekte an der Vjosa zu stoppen und internationale Standards in solchen Verfahren einzuhalten. Die Petition ist eine der größten Unterschriften-Aktionen für den Schutz von Fließgewässern weltweit. Bemerkenswert ist, dass die Petition auch von 129 Experten aus Albanien unterzeichnet wurde. Dies ist das erste Mal in der Geschichte des Landes.
Die Petition richtet sich an die albanische Regierung, namentlich an Premierminister Edi Rama, den Tourismus- und Umweltminister Blendi Klosi und die Infrastruktur- und Energieministerin Belinda Balluku. Die Unterzeichner warnen vor den Risiken und Folgen der Staudammprojekte an der Vjosa: Die ökologische Einmaligkeit des Gebiets wäre verloren, die Wasserqualität würde abnehmen, die Grundwassersituation sich verschlechtern, es bestünde Gefahr durch seismische Aktivität, es käme zu Küstenerosion etc. Leider waren weder der Premierminister, noch der Umweltminister bereit, die Petition entgegenzunehmen. An ihrer Stelle, und im Namen des albanischen Volkes, empfing Staatspräsident Ilir Meta am Freitag, 14. Februar, eine Wissenschaftlerdelegation und nahm die Petition entgegen. Er betonte dabei seine Unterstützung für den Schutz des letzten großen Wildflusses in Europa. Die Petition wurde außerdem an den Parlamentspräsidenten, den Vizeminister für Infrastruktur und Energie sowie den Ombudsmann in Tirana übergeben.
Die Sorgen der Wissenschaftler erweisen sich als berechtigter denn je. Erst kürzlich wurde in Memaliaj die Zusammenfassung der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für das Kalivaç-Wasserkraftprojekt präsentiert. Deren geringe Qualität lässt darauf schließen, dass wissenschaftlichen Standards nicht entsprochen wurde: Der Zeitrahmen für die gesamte Untersuchung war bei weitem zu gering (nur Monate statt 2-3 Jahre), grenzübergreifende Auswirkungen wurden nicht betrachtet, wichtige Daten fehlen. "Ich fürchte, der gesamte Prozess ist unaufrichtig. Jahrelang haben Wissenschaftler aus Albanien und Kollegen aus anderen Ländern Unterstützung im Vjosa-Fall angeboten, aber die albanischen Politiker haben uns beharrlich ignoriert. Wir werden aber weiterhin nicht nur für die Vjosa unsere Stimme erheben, sondern auch für die Einhaltung wissenschaftlicher Standards in Albanien - für die Menschen und für die Natur", sagt Prof. Aleko Miho von der Universität Tirana.
Prof. Ferdinand Bego, ebenfalls von der Universität Tirana, ergänzt: "Die Vjosa ist der einzige Wildfluss, der uns wie von der Natur geschaffen erhalten geblieben ist, und wir schulden diesem Fluss den nachfolgenden Generationen. Es gibt keinen anderen Weg für uns und die künftigen Generationen dieses Landes, als unsere Fehler auszubessern und das Leben in den Flüssen zurückzugewinnen, auch für andere Flüsse des Landes. Keine Umweltprüfung, schon gar nicht die fragliche UVP, kann angesichts einer solchen nationalen Notsituation angemessen sein."
Prof. Fritz Schiemer von der Universität Wien führt aus: "Heute ist die Vjosa mehr als nur ein schöner Fluss in Albanien. Sie ist unter Wissenschaftlern in ganz Europa und darüber hinaus eine Berühmtheit. Leider deutet alles darauf hin, dass die Kalivaç-UVP eher eine Karikatur einer Umweltverträglichkeitsprüfung ist als wirklich eine seriöse UVP. Unsere eigenen Studien beweisen den enormen Wert des Vjosa-Flusssystems. Für eine valide Prüfung würde es jedenfalls detaillierte Erhebungen über mindestens 2-3 Jahre brauchen. Offenkundige Risiken und Gefahren für die Natur, die Menschen und die Wirtschaft des Landes müssen erst noch behandelt werden."
Darüber hinaus streicht Dr. Klodian Skrame von der Polytechnischen Universität Tirana einen sehr aktuellen Aspekt heraus, nämlich die Erdbebengefahr: "Es wäre ein Fehler, einen Damm im Vjosa-Becken zu errichten, denn das Gebiet ist eine der seismisch aktivsten Regionen Albaniens. Der Bereich zwischen Kalivaç und Poçem grenzt an eine aktive Störungszone im südlichen Teil. Deren Auswirkungen auf die gegenwärtigen Erdrutsche und auf Wasserkraftwerke müssten ausführlich geklärt werden. Dämme mit großen Stauseen würden die Gefahr für die flussabwärts lebende Bevölkerung vergrößern."
Alle Wissenschaftler bestätigen, dass sie gerne bereit sind, die Regierung zu unterstützen, wenn sich die Regierung dafür entscheidet, ein ordnungsgemäßes Verfahren zu beginnen, das heutigen wissenschaftlichen und rechtlichen Anforderungen genügt. Die Experten rufen daher die verantwortlichen Behörden einmal mehr dazu auf, einen ehrlichen Prozess zu starten und die derzeitige irreführende und unaufrichtige Prozedur in Bezug auf das Kalivaç-Projekt zu stoppen. "Die Vjosa ist für Albanien und für ganz Europa von enormem Wert und daher werden wir in unseren Bemühungen nicht nachlassen", sind sich alle Wissenschaftler einig.
Hintergrundinformationen:
Es gibt eine Vielzahl an wissenschaftlichen Argumenten gegen Dammbauten an der Vjosa. In Kurzvideos erklären Wissenschaftler die zahlreichen Aspekte wie Küstenerosion, Biodiversitätsverlust, Gefahr von Dammbrüchen durch Erdbeben, wirtschaftliche Einbußen und vieles mehr.
Die Vjosa in Albanien ist einer der letzten intakten Wildflüsse Europas außerhalb Russlands. Während die albanische Regierung Dammbauten plant, beginnend mit dem Kalivaç-Damm, sieht die alternative Vision die Schaffung des ersten Wildflussnationalparks Europas vor. Wissenschaftler aus Albanien, Österreich, Deutschland und Frankreich haben in den letzten vier Jahren an der Vjosa geforscht und kamen zu dem Ergebnis, wie wichtig der Schutz des Flusses ist.
Die Kampagne "Rettet das Blaue Herz Europas" will die wertvollsten Flüsse der Balkanhalbinsel vor einem Damm-Tsunami aus ca. 3000 geplanten Projekten bewahren. Die Kampagne wird von den NGOs Riverwatch und EuroNatur koordiniert und gemeinsam mit Partnerorganisationen in den Balkanländern umgesetzt. Der lokale Partner in Albanien ist EcoAlbania. Weitere Informationen finden Sie auf der Website.
Umwelt | Umweltschutz, 17.02.2020
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