Erhalt der Wacholder-Wälder in Zentralasien

Das Holz der Wacholderwälder wird seit Generationen genutzt

Mit mehr als 4.000 verschiedenen Arten ist das Pamiro-Alai-System einer der Biodiversitäts-Hotspots der Welt. In diesem Zusammenhang spielen die autochthonen Wacholderarten in den Waldökosystemen der Bergregionen eine herausragende Rolle. Die Universität Stuttgart und die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) arbeiten aktuell mit kirgisischen und tadschikischen Wissenschaftler*innen daran, den Zustand und die gegenwärtige Nutzung der Wacholderwälder in Zentralasien (Zeravshantal in Nordtadschikistan) exemplarisch zu erforschen und ihren dauerhaften Erhalt durch die Entwicklung wissensbasierter Managementmodelle zu unterstützen. 
 
Muslim Bandishoev (l.) und Zhoomart Otambaev (beide MSRI) interviewen einen Viehhirten in einem Weidelager zur Brennholznutzung und zu den Wechselwirkungen zwischen Beweidung und Waldwachstum. © Universität StuttgartDie Menschen, welche in den montanen Bereichen des Zeravshantals in Nordtadschikistan auf Höhen von mehr als 1000 Metern über dem Meeresspiegel leben und Weidewirtschaft betreiben, nutzen das Holz der Wacholderwälder seit Generationen. Trotz der zunehmend besseren Verfügbarkeit von alternativen Brennstoffen spielt Wacholderholz bei der lokalen Bevölkerung weiterhin eine entscheidende Rolle als günstige und regionale Energiequelle.
 
"Zwar wird das Wacholderholz vor allem auf den abgelegenen Sommerweiden und in den entlegeneren Ortschaften genutzt. Es ist jedoch für bestimmte Zwecke wie etwa Brotbacken, Feuer entzünden und Teekochen auch in den gut erschlossenen Gebieten attraktiv für die lokale Bevölkerung.", berichtet Dr. Georg Hohberg, Leiter im Projekt "Bilanzierung und Optimierung der multifunktionalen Bewirtschaftung von zentralasiatischen Wacholderwäldern" (JuniperCA), Mitarbeiter am Institut für Landschaftsplanung und Ökologie (ILPÖ) an der Universität Stuttgart und Absolvent der HNEE.
 
Unterstützung lokaler Akteure von der Verwaltung bis zum Hirten
Die lokale Verwaltung hat nur geringe Kontrolle über die Wacholdernutzung. Der Großteil des Holzeinschlags findet illegal statt. Inwieweit die Nutzung der Wacholderbestände dabei nachhaltig erfolgt weiß gegenwärtig niemand zu sagen. Die lokale Verwaltung und internationale NGOs hegen starke Zweifel daran, dass die Wacholderwälder und die damit verbundenen einzigartigen Ökosysteme unter dem gegenwärtigen Management langfristig stabil sind. Die Liste der möglichen Konsequenzen ist lang: Bodenerosion und Verlust von Bodenfruchtbarkeit, fehlende Wasserregulierung, erhöhtes Risiko von Schlammlawinen, Verlust der positiven Mikroklimawirkung von dichten Wäldern, weniger Kohlenstoffspeicherkapazität, geringere Menge und Qualität von Futterpflanzen etc.
 
Innerhalb dieser Rahmenbedingungen besteht das Ziel des Projekts darin, den Zustand der Wacholderwälder und die gegenwärtigen legalen als auch illegalen Nutzungsmechanismen zu erforschen. "Durch Bilanzierung von Zuwachs und Ernte können Aussagen über die Nachhaltigkeit der Nutzung getroffen werden. Die Unterstützung der verschiedenen Akteure von lokaler Verwaltung bis hin zum Hirten durch wissensbasierte Managementmodelle eröffnet Chancen für die dauerhafte Erhaltung der Wacholderwälder", fasst Doris Kramm, HNEE-Mitarbeiterin, zusammen.
 
Bei der Diskussion über die bisherigen Forschungsergebnisse während des Zwischentreffen des Projekts, welches Anfang April als Onlinekonferenz abgehalten wurde, wurde deutlich, in welchem schwierigen Rahmen sich die Wissenschaftler*innen bewegen. "So gibt es keine genauen Daten zur Waldentwicklung und zum Zustand der Waldbestände, da seit dem Ende der Sowjetunion keine Forstinventur mehr durchgeführt wurde. Letzte Altdaten für das Untersuchungsgebiet stammen aus den Jahren 1982 bis 1983", sagt Ludmila Schäfer-Griffel, HNEE-Mitarbeiterin. Zwar habe es danach verschiedene Projekte in der internationalen Zusammenarbeit gegeben, bei welchen jedoch nur lokal begrenzte Probeinventuren in anderen Regionen durchgeführt wurden.
 
Satellitenbilder der ESA helfen, die Wachholderbiomasse zu ermitteln
Aus diesem Grund hat das Projekt im September 2019 Kontakt mit der ESA aufgenommen, um eine Befliegung des Untersuchungsgebietes zu erwirken. Auf Basis des hochaufgelösten Tri-Stereo-Satellitenbildes, welches mit Hilfe von Bodendaten kalibriert wird, soll im Projekt von dem lokalen Forschungspartner University of Central Asia (UCA) die gegenwärtige Wacholderbiomasse in der Region ermittelt werden. Im Sommer 2019 wurden insgesamt 20 Probeflächen im Pasrudtal und in der Nähe von Artuch zur Erhebung von Daten zu Zustand, Wachstum, Nutzung und Regeneration der lokalen Wacholderbestände angelegt. "Zur Ermittlung einer passenden Volumenfunktion wurden zudem Stammscheiben von einzelnen Bäumen entnommen. Diese werden auf Durchmesser- und Höhenzuwachs über das Alter untersucht. Sie dienen der Bestimmung der Baumförmigkeit", erklärt Doris Kramm. Die Auswertung dieser Bestandes- und Einzelbaumdaten erfolgt seit Herbst 2019. Neben der Bestandsabschätzung ist die Ermittlung des jährlichen Zuwachses der Holzmasse entscheidend, um daraus nachhaltige Nutzungsmengen ableiten zu können. Die Ergebnisse sollen auch Hinweise zur Auswahl von weiteren Probeflächen liefern. Diese sollen im Sommer 2020 angelegt werden, um die Datenbasis zu verbreitern und die Erkenntnisse ausreichend statistisch abzusichern.
 
Experteninterviews mit Dorfältesten, Förstern und Schüler*innen
Während die HNEE die waldbaulichen Aspekte untersucht, widmet sich die Universität Stuttgart den sozioökologischen Aspekten im Projekt und der Bilanzierung und Optimierung der Holznutzung. So fand im September 2019 ein erster Workshop mit verschiedenen lokalen Stakeholdern in der Dorfschule der Ortschaft Marghuzor, dem am nächsten an den Wacholderwäldern gelegenen Dorf des Pasrudtales, statt. Dieser richtete sich im Gegensatz zur vorangegangenen Auftaktveranstaltung, die auf höherer Ebene angesiedelt war, an die unteren Verwaltungsorgane und die lokale Bevölkerung. Daran beteiligten sich u.a. der Dorfvorsteher sowie die Dorfältesten, interessierte Bürger*innen, die lokale Frauenvereinigung, der örtliche Förster und Vertreter*innen des örtlichen Weidekomitees.
 
"Der Workshop lieferte erste Erkenntnisse über die sozial-ökologischen Zusammenhänge im Untersuchungsgebiet. Diese Erkenntnisse wurden in einzelnen Experteninterviews, z.B. mit dem Dorfältesten, dem Förster, Hirten, aber auch Schüler*innen und einfachen Bürger*innen vertieft", berichtet Dr. Georg Hohberg, Wissenschaftler am ILPÖ. Trotz großer Vorbehalte seitens der lokalen Bevölkerung offen über die illegale Wacholdernutzung zu sprechen, ergab sich mit der Zeit ein gewisses Verständnis der sozialen Organisation der Wald- und Weidenutzung. Dieses wurde durch gezielte Exkursionen und teilnehmende Beobachtungen verfeinert. Auf Basis der gewonnenen Informationen wurde durch die Universität Stuttgart ein erstes digitales Managementmodell erstellt, welches die bisher unerforschte Systematik der Wacholderernte in den Untersuchungsgebieten abbildet. Ein Schwerpunkt dieses Modells liegt in der räumlichen Ausdehnung der Wacholdernutzung. Zur späteren Kalibrierung des Modells wurden in Zusammenarbeit mit der UCA die Forstinventurkarten aus den 1980er Jahren digitalisiert. Ebenfalls zur Kalibrierung des Managementmodells wurden durch die UCA systematische Haushaltsinterviews und Interviews in einzelnen Weidecamps durchgeführt.
 
Hintergrund zum Projekt
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat der Anteil der Waldflächen in Kirgisistan und Tadschikistan dramatisch abgenommen. Mit dem Zerfall der Sowjetunion und der einsetzenden Energiekrise setzte ein zusätzlicher Nutzungsdruck auf die verbleibenden Waldbestände ein. Auch die verbliebenen Wacholderwaldfragmente werden potenziell nicht nachhaltig genutzt. Die Forstsektoren Kirgisistans und Tadschikistans weisen eine Vielzahl von Strukturproblemen auf, die derzeit keine geregelte Forstwirtschaft zulassen.
 
Die sehr schwache hoheitliche Kontrolle in dem Projektgebiet und die damit einhergehende scheinbar unkontrollierte Nutzung in der Vergangenheit und der Gegenwart haben nach gängiger Meinung vielerorts zu einer derartigen Degradierung der Wälder geführt, dass deren ohnehin aufgrund von sensitiven Gebirgsstandorten und Klimawandel bedrohte nachhaltige Entwicklung zusätzlich gefährdet ist. Die vielfältigen sozioökonomischen und ökologischen Funktionen der Wälder sind dadurch potenziell stark beeinträchtigt. Gemeinsam mit den lokalen wissenschaftlichen Partnern in den Zielländern Tadschikistan und Kirgisistan und anderen Umsetzungspartnern soll das geplante Projekt die Handlungsfähigkeit der Forstverwaltungen und der lokalen Akteure verbessern. Lokale Akteure sollen in die Lage versetzt werden, das Ökosystem Wacholderwald nachhaltig zu nutzen und zu erhalten. Im Rahmen des Projekts wird eine detaillierte Untersuchung von zwei Wacholderwaldsystemen und deren Nutzung in Fallstudien durchgeführt.
 
Eckdaten zum Projekt
  • Projektname: Bilanzierung und Optimierung der multifunktionalen Bewirtschaftung von zentralasiatischen Wacholderwäldern (Akronym: JuniperCA)
  • Projektkoordinator: Dr. Georg Hohberg, Institut für Landschaftsplanung und Ökologie, Universität Stuttgart
  • Partnerländer: Tadschikistan / Kirgistan
  • Projektpartner: Mountain Societies Research Institute der University of Central Asia (MSRI), Bischkek (Kirgistan) und Khorog, (Tadschikistan); Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) (Deutschland); Institut für Landschaftsplanung und Ökologie der Universität Stuttgart, ILPÖ (USTUTT) (Deutschland)
  • Beratende Partner: Welthungerhilfeprojekt "Rural Development Programme I "(Ayni, Tadschikistan); Osh State University (Osh, Kirgistan); Sary Chelek Biosphärenreservat (Kirgistan)
  • Projektlaufzeit: 01.03.2019 - 30.08.2021
  • Förderer: Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung
Weiterführende Informationen
Kontakt:
Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) | presse@hnee.de | www.hnee.de

Umwelt | Naturschutz, 05.05.2020

     
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