BIOFACH 2025

Die Wissenschaft meldet sich zu Wort

Ernst Ulrich von Weizsäcker, Ehrenpräsident des Club of Rome, im forum-Interview

Die aktuelle Pandemie hat Wissenschaftler zu vielbefragten Stars in den Fernsehstudios gemacht. Doch auch schon davor, spätestens seit dem Entstehen der Friday for Future-Bewegung haben Wissenschaftler aktiv das Wort ergriffen und als Netzwerk der Scientists for Future (S4F) Klartext in Sachen Klimawandel gesprochen. forum Nachhaltig Wirtschaften kooperiert mit diesem Zusammenschluss von mehr als 26.800 Wissenschaftlern aller Disziplinen und stellt Forscher und Konzepte vor, die positive Denkanstöße für die zukünftige Transformation geben und vorleben. 

Herr Weizsäcker, überraschen Sie diese neue Wertschätzung und auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit?
Ernst Ulrich von Weizsäcker © James BadhamGute Wissenschaftler haben die Eigenschaft, Antworten auf neue Fragen und Probleme zu suchen. Nicht nur Virologen, Epidemiologen und Lungenärzte. Auch Pädagogen, Ökonomen, Psychologen sind gefragt. Unbefriedigend wäre ihr Denken, wenn es nicht interdisziplinär wäre! 

Können wir über die Coronakrise hinaus bereits Lehren ziehen für kommende Herausforderungen, wie etwa die Bekämpfung des Klimawandels?
Für das sich dramatisch ändernde Klima muss man erstmal festhalten, dass es für uns langfristig viel wichtiger und gefährdender ist, als eine sehr ansteckende Viruskrankheit. Wenn diese zurückgeht und gute Impfstoffe und Heilmittel da sind, ist die globale Erhitzung immer noch für viele Jahrzehnte ein Megaproblem. Über die Coronakrise hinaus sollten wir die Globalisierung so korrigieren, dass etwa die Abhängigkeit von Medikamenten aus Indien und China vermindert wird. Auch die Überspezialisierung und Feldflächengröße der Landwirtschaft war krankhaft geworden und dass Menschen und die von Menschen gehaltenen Schlachttiere 97 Prozent des Gesamtgewichts der Wirbeltiere auf der Erde ausmachen, ist ja auch irgendwie krank.

Sie propagieren ja schon lange eine ressourceneffizientere und zyklische Wirtschaftsweise. Woran hapert es bei der Umsetzung?
Wenn man als Wissenschaftler weiß, dass Energie und Rohstoffe mindestens fünfmal so effizient genutzt werden könnten und man ansehen muss, wie die Vergeudung und Wegwerfmentalität ungebremst fortgesetzt werden, könnte man melancholisch werden. Das ist aber nicht meine Mentalität. Es hapert an der Umsetzung, weil die Wirtschaft und Politik auf der billig-billig-billig Tour sind. Das ist ja die Aufforderung zum unausgesetzten Konsumwachstum, zum Vergeuden und Wegwerfen. Aber diese Tour bringt Wachstum und Arbeitsplätze, und das macht die Billig-Ideologie enorm stark. Damit kann man Wahlen gewinnen. Erst wenn die Kipppunkte ganz nah sichtbar werden, hat man die Chance zur Umkehr. Und zu Preisen, die halbwegs die ökologische Wahrheit sagen.  

Seit langem setzen Sie sich ein für Recycling und Remanufacturing, wo stehen wir Ihrer Einschätzung nach in dieser Entwicklung, und welche Impulse fehlen uns noch, gerade aus Privatwirtschaft und Forschung?
Es gibt Fortschritte, aber eher langsame. Die Abfallwirtschaft sortiert nach Möglichkeit Wertstoffe und Giftstoffe. Und das Remanufacturing wird als eleganter angesehen als das Verbrennen, Verschrotten und zaghafte Rezyklieren. Die Kreislaufwirtschaft ist zentraler Bestandteil des European Green Deal. Man schätzt, dass die Kreislaufwirtschaft etwa 50 Prozent der künftigen Klimapolitik ausmachen wird! Aber die rasch und billig-Mentalität ist der große Gegner. Die Coronakrise hat die primitive Mentalität der globalisierten Verbilligung ins Wanken gebracht, z.B. bei Medikamenten, wo wir plötzlich von indischen Lieferungen abhängig wurden. Wir brauchen intelligentere Optimierungen als das Kostendrücken auf Teufel komm raus.

Den zentralen Hebel für die notwendige grüne Transformation sehen Sie ja bei den Energiepreisen. Welche Ratschläge haben Sie heute für Entscheider, weswegen sich eine Marktkorrektur mit Verteuerung von Energie langfristig lohnt, und das gerade auch nach einer Disruption wie der durch Corona? 
Seit dreißig Jahren rufe ich nach Preisen, die einigermaßen die ökologische Wahrheit sagen (aber bitte nicht auf Heller und Pfennig quantifizieren!). Ich schlage der Politik vor, Energie oder CO2-Preise jedes Jahr um soviel Prozent zu verteuern, wie im abgelaufenen Jahr die diesbezügliche Effizienz zugenommen hat. Kann nach 3 oder 4 Branchen getrennt gemacht werden. Mit Border Tax Adjustment (Grenzausgleich) sollte man verhindern können, dass die europäische Wirtschaft Wettbewerbsnachteile erleidet. In 25 Jahren sollten energetisch plumpe Techniken sowieso vom Weltmarkt verschwunden sein.

Welche grundlegenden Veränderungen brauchen wir im Wirtschaftssystem, um überlebensfähig zu werden?  
Wieder mehr Langfrist, statt bloß Vierteljahresabschlüsse. Allianzen zwischen Politik, Industrie und Investoren (am besten auf EU-Ebene) zum Festlegen von Rahmenbedingungen, die den ökologischen Fortschritt begünstigen. Natürlich mit den Werten der Sozialen Marktwirtschaft. Mit einfachen, verlässlichen Preissignalen und ganz wenig Bürokratie! Für die Innovation, für die Ingenieure wäre eine Langfristperspektive ein Geschenk. Nur die Digitalisierung als Fortschritt zuzulassen, wäre jämmerlich und unfruchtbar.

Und wie können diese Änderungen erreicht werden?
Die Anbetung der Kostendrückerei sollte gesellschaftlich geächtet werden. Der „ehrbare Kaufmann" hatte hohe moralische Standards, auch wenn er natürlich auch auf die Kosten schauen musste. Journalisten müssen anerkennen, dass die vorhin genannten „Allianzen" etwas ganz anderes sind als Lobbyismus; sie müssen eben auch am Gemeinwohl orientiert sein.

Ernst Ulrich von Weizsäcker (*1939) ist Ehrenpräsident des Club of Rome, Past Co-Chair des International Resource Panel der UNEP und zusammen mit 130 weiteren Wissenschaftler*innen im Beirat von Scientists for Future.
Im Laufe seiner langen wissenschaftlichen Karriere war er Professor und Direktor mehrerer Universitäten und Institute. So entwickelte er als Gründungspräsident ab 1991 das Wuppertal Institut zu einem führenden Think-Tank für Energieeffizienz, Stoffströme und Klimapolitik. Von 1998 bis 2005 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und leitete die Ausschüsse für Globalisierung und Umwelt. 

Technik | Wissenschaft & Forschung, 11.05.2020

     
        
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