Afrika ist ein Kontinent der Chancen
Minister Dr. Gerd Müller im forum-Interview zu den Herausforderungen und Chancen der Entwicklungszusammenarbeit
Am Rande des deutschen Nachhaltigkeitspreises traf forum den Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dr. Gerd Müller und fragte nach den Herausforderungen und Chancen der Entwicklungszusammenarbeit.
Herr Dr. Müller, ein großes Augenmerk von Ihnen liegt auf Afrika. forum hat dazu eine Serie aufgelegt und fragt: Wie kann man helfen? Warum sollten wir helfen?
Zunächst einmal ist es ein Gebot der Menschlichkeit, dass wir Menschen in Not, Hunger und Armut helfen. Der Starke hilft dem Schwachen. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass jeder Mensch ein Leben in Würde haben kann. Aber es liegt auch in unserem Interesse. Afrika liegt nur 14 km vor Europas Haustür. Die Bevölkerung verdoppelt sich in den nächsten Jahrzehnten auf über 2 Milliarden. All die jungen Menschen brauchen eine gute Zukunft vor Ort. Deswegen investieren wir in Ernährungssicherung, Gesundheit, Bildung und Ausbildung und vor allem Arbeitsplätze.
Gibt es weitere Gründe zu helfen?
Ja, Afrika ist vor allem ein Chancenkontinent. Sechs der zehn am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften sind auf unserem Nachbarkontinent. Länder wie Äthiopien, Ghana oder die Elfenbeinküste haben ein Wirtschaftswachstum von sieben Prozent. Und die jetzt entstehende gesamtafrikanische Freihandelszone schafft einen riesigen Markt. Die deutsche Wirtschaft darf diese Entwicklung nicht verschlafen. Sie hat lange Zeit gute Geschäfte in Asien gemacht. Aber die künftigen Wachstumsmärkte liegen in Afrika. Die Chinesen haben dies längst erkannt. Bislang investieren von den 300.000 exportorientierten deutschen Unternehmen aber nur tausend in ganz Afrika. Deswegen sage ich: auf nach Afrika!
Wie wollen Sie das erreichen? Wirtschaft, private Investitionen?
Wir müssen Brücken bauen, insbesondere für deutsche Mittelständler, damit sie auf den afrikanischen Märkten Fuß fassen können: Die Hermes-Risikoabsicherung haben wir bereits verbessert. Wenn ein Mittelständler eine Million Euro in den Aufbau einer Mangosaftfabrik investieren will, dann braucht er Investitions- und Rechtssicherheit. Deshalb versichert der Bund solche Anfangs-Investitionen. Und wir haben unseren Entwicklungsinvestitionsfonds mit bis zu einer Milliarde Euro auf den Weg gebracht. Deutsche Mittelständler bekommen so zinsgünstige Darlehen für nachhaltige Investitionen in Afrika. Seit dem Start vor wenigen Monaten sind schon 230 Anträge bei uns eingegangen. Deutsche Unternehmen haben allein in Tunesien 60.000 Arbeitsplätze geschaffen, unter anderem in der Textilindustrie. Im Übrigen: Mit einer wirtschaftlichen Integration Nordafrikas in den europäischen Binnenmarkt könnten wir das vervielfachen. Das würde einen wirtschaftlichen Aufschwung erzeugen wie die Ostererweiterung der EU. Davon profitieren am Ende beide Seiten.
Wollen wir mit Äthiopien ein Land, das ich gerade bereist habe, konkret herausgreifen und hier insbesondere den hervorragenden Kaffee. Wo sind die Problempunkte aus ökologischer, sozialer und ökonomischer Sicht?
Kaffee ist das Lieblingsgetränk der Deutschen. Pro Jahr werden rund eine Million Tonnen Rohkaffee importiert. Aber wir zahlen häufig keine fairen Preise dafür. Ein Kilo Kaffee kostet in Berlin 8 bis 12 Euro. Auf die Bohnen entfallen nur 50 Cent. Davon können die Menschen doch nicht vernünftig leben. Nötig wären 2 Euro. Die Arbeiter auf den Plantagen schuften bis zum Umfallen, oft für einen Hungerlohn. Deswegen müssen noch immer Kinder mitarbeiten. Das darf uns nicht länger egal sein! Die Menschen am Anfang der Lieferkette müssen von ihrer harten Arbeit leben können und existenzsichernde Löhne erhalten. Wir müssen hier bei uns selbst anfangen: Jede Amtsstube, jedes Unternehmen kann morgen auf fairen Kaffee umstellen. Bei mir im Ministerium servieren wir nur noch fairen Kaffee und Tee. Dazu gehört auch, dass die Wertschöpfung künftig anders verteilt wird. Nicht nur der Rohkaffee, sondern auch das Rösten und Verpacken muss künftig „Made in Africa" sein. So lösen wir Entwicklungssprünge vor Ort aus.
Ihr besonderes Interesse gilt der Textilbranche und damit dem „Grünen Knopf". Wie funktioniert dieses neue Siegel und was bringt es dem Verbraucher?
Der Grüne Knopf zeigt: Faire Lieferketten sind möglich. Er ist das neue Leit-Siegel für sozial und ökologisch hergestellte Kleidung. Kunden müssen jetzt nicht mehr zig verschiedene Textilsiegel vergleichen. Der Staat legt die Kriterien fest. Die Einhaltung wird von unabhängigen Prüfern wie dem TÜV kontrolliert. Das alles schafft Klarheit und Vertrauen. Insgesamt müssen 46 anspruchsvolle Sozial- und Umweltkriterien eingehalten werden, von A wie Abwassergrenzwerte bis Z wie Zwangsarbeitsverbot. Bei den Produkten wie T-Shirts oder Bettwäsche bauen wir auf anerkannte Standards wie GOTS oder Fairtrade auf. Dies verbinden wir mit einer unabhängigen Überprüfung des jeweiligen Unternehmens: Werden alle Lieferanten offengelegt? Haben die Näherinnen in Bangladesch Beschwerdemechanismen? Das ist das Besondere am Grünen Knopf: Das gesamte Unternehmen wird zusätzlich überprüft. Einzelne zertifizierte Produkte reichen nicht aus. In dieser Tiefe prüft sonst keiner.
Wer arbeitet schon mit dem Grünen Knopf?
27 Unternehmen machen von Beginn an mit. Darunter sind bekannte Unternehmen wie Tchibo, Lidl, Aldi, Rewe sowie Nachhaltigkeits-Vorreiter wie Hessnatur und Vaude oder auch Trigema. Die Otto Group und Boss werden als nächste mitmachen. Seit dem Start haben sich 100 weitere Unternehmen bei uns gemeldet. Erste Produkte mit dem Grünen Knopf sind schon im Handel. Jetzt kommt es auf die Verbraucher an, zuzugreifen. Auch in der Beschaffung wird der Grüne Knopf genutzt: Das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck stellt seine Bettwäsche komplett auf den Grünen Knopf um. Und der Discounter Norma stattet alle seine 15.000 Mitarbeiter mit Grüner Knopf-Arbeitskleidung aus. Ich würde mich freuen, wenn Kirchen und städtische Einrichtungen auf faire Tischdecken, Arztkittel oder Dienstkleidung umstellen.
So kurz vor Jahresende ist es auch Zeit für einen Jahresrückblick. Was waren Ihre persönlichen Highlights?
Neben dem Grünen Knopf vor allem die Beharrlichkeit, mit der Deutschland beim internationalen Klimaschutz vorangeht. So haben wir unsere Investitionen in den Grünen Klimafonds der Vereinten Nationen auf 1,5 Milliarden Euro verdoppelt und den internationalen Waldschutz verstärkt. Als Persönlichkeit hat mich vor allem der Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed beeindruckt. Schon kurz nach seinem Amtsbeginn hatte ich Gelegenheit, den äthiopischen Premierminister in der Hauptstadt Addis Abeba zu treffen. Ich habe ihn als einen Menschen kennengelernt, der weiß, welch große Verantwortung er trägt – und der trotzdem mit einem Optimismus an die Aufgaben herangeht, der ansteckt. Ich hoffe, dass sich die junge Demokratie im Vielvölkerstaat Äthiopien halten kann.
Blicken wir in die Zukunft: Sie setzen auf Themen wie Fair Trade, Nachhaltigkeit sowie die 17 SDG. Was ist für das kommende Jahr geplant?
Deutschland übernimmt nächstes Jahr den Ratsvorsitz in der Europäischen Union. Unser Schwerpunkt ist eine neue Partnerschaft mit Afrika: bei Energie, Bildung, Digitalisierung und im Handel. Und wir streben eine europäische Regelung für die Unternehmensverantwortung in globalen Lieferketten an. Das zweite große Thema ist der Klimaschutz. Hier dürfen wir nicht nachlassen. Deswegen setze ich auf die Entwicklung klimaneutraler Kraftstoffe wie „grüner" Wasserstoff und Methanol, die wir für die Verkehrs- und Energiewende in Deutschland, aber auch für Afrika dringend brauchen. Für die Herstellung sind große Mengen an erneuerbaren Energien nötig. Vor allem Länder in Nordafrika, mit ihrer unendlichen Sonnenenergie, bieten sich so als Produktionsstandorte an. Mit Marokko haben wir daher vor wenigen Wochen eine Forschungsplattform und den Start von Pilotprojekten vereinbart. Damit helfen wir, die internationalen Klimaziele wirksam zu erreichen, stärken die deutsche Technologieführerschaft bei dieser Zukunftstechnologie und schaffen Arbeitsplätze vor Ort, die die afrikanischen Länder mit ihrer jungen Bevölkerung dringend brauchen.
Herr Minister Müller, wir danken für das Gespräch und freuen uns auf eine Fortsetzung.
Das Interview führte Fritz Lietsch.
Gesellschaft | Globalisierung, 04.12.2019
Dieser Artikel ist in forum 04/2019 - Food for Future erschienen.
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