Politische Instrumente einsetzen
für einen Wandel in Landwirtschaft und Ernährung
Es gibt Tage, da sind die Nachrichten voll von landwirtschaftlichen Themen: Klimawandel und Ernährung, Nitratüberschüsse, Biodiversitätsverluste, Mehrwertsteuererhöhung für Fleisch... Dann hat man den Eindruck, die gesamte Republik wünschte sich nichts dringlicher, als eine beherzte Wende hin zu einer ganz anderen Landwirtschaft und Ernährung...
... doch die gegenwärtige Landwirtschafts- und Ernährungspraxis sieht anders aus. Dabei sind diese Wünsche ganz und gar im Einklang mit dem breiten wissenschaftlichen Sachverstand, der eine solche Wende dringend einfordert. Denn zu groß, zu offensichtlich und zu beängstigend sind die Probleme angewachsen. Zu teuer kommen uns längst unsere scheinbar so billigen Lebensmittel zu stehen. Umso mehr verwundert, wie wenig konkrete Veränderungsbereitschaft in der Politik wahrzunehmen ist. Denn jenseits der dem Zeitgeist angepassten Rhetorik überwiegt das „Weiter so". Dabei gäbe es so viele Instrumente, mit denen Veränderung erreicht werden könnte.
Regulierungen auf dem Rücken der Bauern
Da ist zum einen die Ordnungspolitik: Von ihr wird bereits reichlich Gebrauch gemacht. Je nachdem, wen man fragt, viel zu wenig oder längst überzogen und zu viel. Ein aktuelles Beispiel ist die Dünge-Verordnung. Mit ihr soll das Ausbringen von Wirtschaftsdünger und Düngemitteln so geregelt werden, dass nicht so viel Nitrat und Phosphat im Wasser landen, dass die europäischen Grenzwerte überschritten werden. Seit 27 Jahren hat es die deutsche Politik, kräftig von den Interessen einer industriellen Landwirtschaft in die Zange genommen, nicht geschafft, die Nitratrichtlinie der Europäischen Union wirksam umzusetzen. Auf den letzten Metern, in Erwartung millionenschwerer Strafzahlungen, werden nun Regelungen gestrickt, die, wenn sie von der Europäischen Union anerkannt werden sollen, den Bauern sehr viel abverlangen werden. Viele befürchten, die Wirtschaftlichkeit ihrer ohnehin schon kaum noch rentablen Betriebe könnte dabei endgültig verloren gehen.
Ähnlich geht es den Ferkelerzeugern, die nicht wissen, welche der derzeit diskutierten Methoden, unter Schmerzausschaltung die Kastration männlicher Tiere vorzunehmen, erlaubt sein und wirken wird. Der Entzug der Zulassung von insektenschädlichen oder die Gesundheit des Menschen bedrohenden Pflanzenschutzmitteln verunsichert die Ackerbauern, die ihre Produktionsmethoden seit Jahrzehnten auf den Einsatz solcher Mittel eingerichtet haben. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Gemeinsam ist all diesen Beispielen, dass es die Landwirtschaft ebenso wie die Politik versäumt haben, Alternativen zu erarbeiten, als sich die Probleme zu zeigen begannen. Und das ist schon sehr lange her! Gewohnt daran, dass sich durch politischen Druck Änderungen verhindern lassen, hat man den Bauern – und den Verbrauchern – suggeriert: Alles kann bleiben wie es ist. Erst dadurch sind die Brüche, die jetzt unausweichlich geworden sind, so schmerzlich geworden.
Wer zahlt die Zeche?
Auch mit Fiskalpolitik könnten Änderungen erreicht werden. Zwar liegen schon seit Langem Vorschläge für eine ökologische Steuerreform in allen Wirtschaftsbereichen vor. Der Anlass für solche Vorschläge ist, dass es viele Produkte (wie Benzin, Flugreisen oder Fleisch) gibt, die nur deshalb billig sind, weil der Großteil der bei ihrer Produktion entstehenden Kosten externalisiert, also auf die Allgemeinheit oder künftige Generationen abgeladen wird. Die Idee ist, diese externalisierten Kosten – wenigstens teilweise – durch Steuern oder Abgaben auszugleichen und so dafür zu sorgen, dass der Markt wieder in die Lage versetzt wird, richtig zu reagieren.
Erst jetzt, mit der Diskussion um Steuern auf CO2-Produktion oder auf Fleisch, gibt es für solche Konzepte eine breitere Wahrnehmung. Spannend sind dabei neue Vorschläge, den Ertrag einer solchen Steuer pauschal auf diejenigen zurück zu verteilen, die sie erbracht haben. So haben im Frühjahr 2019 über 3.500 führende Ökonomen der USA eine hohe CO2-Steuer (ca 300 US $ je t) vorgeschlagen, die 1:1 pro Kopf an die Bevölkerung zurückgegeben wird. Damit würden also diejenigen, die viel CO2 erzeugen (meist reichere Leute) an diejenigen zahlen, die wenig verbrauchen. Gleichzeitig wäre der wirtschaftliche Anreiz, CO2-arme Produkte und Produktionsverfahren zu entwickeln, auf einen Schlag riesengroß. So würde z.B. die Entwicklung Energie sparender Kühlsysteme, wie sie heute schon von Pionieren der Naturkostbranche vorangetrieben wird, sofort auf Massen-Nachfrage treffen.
Analog könnte man z.B. mit Pestiziden verfahren – ein Konzept dafür wurde 2015 vom Hemholtz-Zentrum für Umweltforschung erstellt. Dessen Vorschlag, eine nach Umwelt-Toxizität gestaffelte Abgabe auf Pestizide zu erheben und so die Suche nach nicht-chemischen Alternativen wirtschaftlich interessanter zu machen, könnte man mit der Idee der amerikanischen Ökonomen verbinden: Indem man den Ertrag der Abgabe je Hektar an alle Landwirte zurückgibt, also auch hier eine Umverteilung von Wenig-Verwendern zu Viel-Verwendern vornimmt. Der Vorteil: Das Geld bleibt in der Landwirtschaft, was eine solche Abgabe leichter akzeptabel macht.
Enkeltauglich ist gar nicht so schwer
Eigentlich könnte man die gesamte Landwirtschaft – so wie die gesamte Wirtschaft – per Ordnungs- und Fiskalpolitik enkeltauglich machen. Da gibt es aber zwei Probleme: Erstens hat nicht jeder das Vertrauen, dass von Politikern und Beamten ersonnene Vorschriften immer praktikabel und zielführend sind und dass infolgedessen Eigeninitiative und Kreativität der Wirtschaftsbeteiligten überflüssig würden.
Zweitens – und das wiegt noch schwerer: Solange von Wirtschaftsräumen, in denen schärfere Bestimmungen nicht gelten, Produkte zu uns eingeführt werden können, kann man solche Verschärfungen nur in sehr beschränktem Rahmen vornehmen. Denn sonst würde die Produktion einfach dorthin auswandern, wo man billiger produzieren kann. Es braucht deshalb dringend Regelungen auf Europäischer Ebene und Handelsverträge, durch die der Unterschied zwischen hohen und niedrigen Standards durch eine Grenzabgabe ausgeglichen werden kann. Das ist fatalerweise in derzeitigen Freihandelsabkommen nicht vorgesehen, obwohl selbst die geltenden WTO-Bestimmungen das nicht als „unfaires Handelshemmnis" einstufen würden. Hier ist die Europäische Politik dringend gefordert und solange es nur ein paar Öko- und Umweltverbände sind, die so etwas wollen und solange die großen Player der Wirtschaft zugunsten ihrer Importchancen schon die Diskussion solcher Ideen verweigern, wird im internationalen Handel weiterhin derjenige die besten Chancen behalten, dem es am besten gelingt, seine Kosten zulasten von Umwelt, Natur, Tierwohl oder den Lebenschancen künftiger Generationen zu externalisieren.
Wer zahlt, schafft an
So sagt man zumindest in Bayern und deshalb ist ein letztes Instrument, über das im Zusammenhang mit der Europäischen Agrarpolitik so intensiv diskutiert wird, von so großer Bedeutung: Die Zahlungen der EU an die Landwirte. Diese werden derzeit zum weit überwiegenden Teil per Hektar ausgezahlt. Die Gegenleistung ist die Einhaltung geltender Gesetze. Auch wenn die Bundesregierung dafür eintritt, einen größeren Anteil dieser Zahlungen an die Erfüllung von Umweltleistungen – etwa durch Umstellung auf Ökologischen Landbau – zu knüpfen, will sie trotzdem von den Hektar-Beihilfen nicht abrücken. Zu groß sei die Abhängigkeit der bäuerlichen Einkommen von diesen Zahlungen.
Man fragt sich zwar, weshalb jemand mit mehr Hektar mehr Einkommensübertragung benötigt als jemand mit wenigen. Aber grundsätzlich stimmt der Einwand durchaus. Nur ist es hier wie mit den eingangs geschilderten ordnungspolitischen Maßnahmen: Es ist nicht zu erwarten, dass der europäische Steuerzahler auf ewig damit einverstanden sein wird, dass 40 Prozent des EU-Budgets für die Belohnung von Flächenbesitz, nicht aber für das Erbringen konkreter Leistungen bezahlt wird. Je länger man den Umbau dieses Fördersystems aber hinausschiebt, desto dramatischer werden die Brüche für die landwirtschaftlichen Betriebe. Deshalb ist es unabdingbar, jetzt zu sagen, wie in 10 Jahren ein Fördersystem aussehen soll, das zu 100 Prozent Leistungen bezahlt, die Bäuerinnen und Bauern für die Gesellschaft erbringen sollen, für die der Markt sie jedoch nicht (ausreichend) belohnt. Und dann muss man heute in einen solchen Umbau einsteigen und ihn schrittweise zum erforderlichen Resultat bringen. Nur dann wird es im Übrigen gelingen, das EU-Geld weiterhin für die Landwirtschaft zur Verfügung zu halten – wo es gebraucht wird, um die Anforderungen für Umwelt-, Tier- und Klima- schutz zu erfüllen, auf die wir alle gemeinsam so dringend angewiesen sind.
Natürlich müsste in der Besprechung der politischen Instrumente für einen Wandel in Landwirtschaft und Ernährung noch vieles mehr angesprochen werden: Forschung, Ernährungsbildung, öffentliches Beschaffungswesen – um nur drei Felder zu benennen. Wichtig ist jetzt aber vor allem: Der Druck der öffentlichen Meinung auf die Politikmacher darf nicht nachlassen, sondern muss im Gegenteil sogar noch stärker werden!
Dr. Felix Prinz zu Löwenstein ist Landwirt in Südhessen – allerdings hat er seinen Betrieb schon an die nächste Generation übergeben. Er hat viele Jahre Erfahrung in der Entwicklungshilfe und ist seit 20 Jahren in der politischen Vertretung des Ökologischen Landbaus aktiv – seit seiner Gründung 2002 als Vorstandsvorsitzender des Dachverbandes der Biobranche in Deutschland, Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Seine Recherchen und Gedanken zur Möglichkeit, Ökologische Landwirtschaft weltweit zur Alternative für die Industrielle Landwirtschaft zu machen, hat er in zwei Büchern („Food Crash" und „Es ist genug da für Alle") zu Papier gebracht.
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