Spontaner Wald für frühere Agrarflächen: naturnah und kostengünstig
Wildwuchs könnte naturnahe Wiederbewaldung befördern
Kostengünstig & naturnah: Uni Hohenheim erforscht Vorteile & Potenzial sog. „spontaner Waldbildung", bei der Ackerflächen zur Wiederbewaldung sich selbst überlassen werden.
Bäume statt Ackerland: in vielen Teilen Europas werden landwirtschaftliche Flächen aufgrund von Landflucht und mangelnder Rentabilität aufgegeben. Die EU unterstützt diese Wiederaufforstung nachdrücklich. Eine Methode zur Wiederaufforstung wäre, die Flächen einfach sich selbst zu überlassen, so dass sich sogenannter „spontaner Wald" aus Wildwuchs entwickelt. Das wäre nicht nur kostengünstig – vermutlich entstehen dadurch auch Wälder, die besonders an ihren Standort angepasst sind. Solche spontan entstehenden Wälder erforschen derzeit Forscher der Universität Hohenheim in Stuttgart im Verbund mit europäischen Kolleginnen und Kollegen. Was sie ebenfalls bemerken: Die gesellschaftliche Akzeptanz der neuen Wälder fällt von Land zu Land stark unterschiedlich aus. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Projekt „Sponforest" mit rund 600.000 Euro und macht es damit zu einem der Schwergewichte der Forschung in Hohenheim. Jetzt veröffentlicht die Fachzeitschrift Annals of Forest Science erste Zwischenergebnisse in einem Sonderband zum 1. September 2020.
Neben der Holzproduktion spielen Wälder heute eine Schlüsselrolle bei der Erhaltung der biologischen Vielfalt. Sie dienen als CO2-Speicher, unterstützen die Luftreinhaltung, dienen als Wasserspeicher, Erosionsschutz und ? nicht zu vergessen ? als Erholungsraum für den Menschen. Die EU unterstützt deshalb nachdrücklich die Wiederaufforstung ehemaliger landwirtschaftlicher Flächen.
Denn in vielen Teilen Europas erobert sich der Wald aufgegebene landwirtschaftliche Nutzflächen zurück: Seit 1950 nahm die mit Wald bedeckte Fläche in Europa um rund 300.000 Quadratkilometer zu, das entspricht in etwa der Größe von Italien. Ursachen hierfür sind in erster Linie die Aufgabe von Ackerland aus wirtschaftlichen Gründen und die allgemeine Landflucht der Bevölkerung.
Vorhandene Wälder und neue Waldflächen bilden Netzwerk von Lebensräumen
Die Möglichkeiten, die eine passive Wiederherstellung der Landschaft bietet, wurden bislang jedoch nur wenig beachtet, erklärt Prof. Dr. Frank Schurr, Pflanzenökologe der Universität Hohenheim. Das soll sich mit dem Kooperationsprojekt „Potenzial spontaner Wiederbewaldung für Ökosystemfunktionen und -dienstleistungen in dynamischen Landschaften" oder kurz „Sponforest" ändern.
Tatsächlich entstehen auf den brach liegenden Feldern nämlich oft spontan Wälder. So entwickeln sich vielfältige Landschaften, die einen hohen ökologischen Nutzen haben. „Gerade angesichts des Klimawandels könnten so Wälder heranwachsen, die optimal an die neuen Bedingungen angepasst sind", ist Prof. Dr. Schurr überzeugt.
Meist handelt es sich dabei um zahlreiche kleine Wälder, die wenig oder gar nicht bewirtschaftet werden. Zusammen mit den vorhandenen naturnahen Wäldern bilden diese neuen Waldflächen ein Netzwerk von Lebensräumen, die zur Erhaltung der biologischen Vielfalt und der Ökosystemleistungen beitragen können.
Ablauf und Nutzen spontaner Wiederbewaldung für Mensch, Umwelt und Natur abschätzen
Im Projekt „Sponforest" untersuchen acht Partner aus vier europäischen Ländern, inwieweit diese spontane Waldentstehung in den stark zergliederten Landschaften Europas ein kosteneffizientes und auch politisch umsetzbares Mittel sein kann, um die Waldbildung zu fördern. Sie erfassen dabei nicht nur erwünschte und unerwünschte Ökosystemleistungen, sondern auch die Akzeptanz der Wiederbewaldung in der breiten Öffentlichkeit und bei verschiedenen Interessengruppen und entwickeln Handlungsanleitungen.
Um mehr über die natürliche Waldregeneration zu erfahren, nutzen sie ein breites Spektrum von wissenschaftlichen Disziplinen, wie beispielsweise Dendroökologie, Populationsgenetik, Funktionsökologie, Fernerkundung und Landschaftsanalyse, aber auch sozialwissenschaftliche Methoden kommen zum Einsatz.
Fünf Landschaften, zwei in Frankreich und drei in Spanien, wurden exemplarisch für verschiedene mediterrane und gemäßigte Klimata und sozioökonomische Regionen ausgewählt. Sie spiegeln die Bandbreite unterschiedlichster Landschaften wieder, von der Metropolregion Barcelona bis hin zu dünn besiedelten Bergregionen.
Akzeptanz der neu entstanden Waldflächen differiert stark in der Bevölkerung
So unterschiedlich wie die ausgewählten Regionen, so unterschiedlich ist auch die Einstellung, mit der die Bevölkerung diesen neu entstanden Waldflächen gegenübersteht.
Prof. Dr. Schurr verdeutlicht dies an zwei Beispielen: „Vor allem in Zentralspanien stehen große Teile der Bevölkerung diesem Prozess skeptisch gegenüber. Die Menschen sehen zwar durchaus den ökologischen Nutzen. Gleichzeitig sind diese Flächen für sie aber auch ein Symbol des wirtschaftlichen Niedergangs, weil sich die Bewirtschaftung nicht mehr lohnte. Zudem wächst die Angst vor einer erhöhten Feuergefahr."
Er fährt fort: „In Frankreich dagegen haben wir Gebiete, wo schon die ersten Bäume auf diesen Flächen gefällt und verkauft werden. Hier ist die Akzeptanz wesentlich höher."
Spontane Waldentstehung verstehen und daraus Vorhersagen für die Zukunft ableiten
Prof. Dr. Schurr und sein Team mit Dr. Dominique Lamonica und Dr. Jörn Pagel befassen sich vor allem mit der Frage, wie neue Wälder entstehen und welche Konsequenzen der Gründungsprozess für deren Charakter und Funktionsweise hat. „Dabei haben wir das fast Unmögliche versucht, nämlich aus den aktuellen Daten Rückschlüsse auf die Entwicklung der vergangenen 60 bis 70 Jahre zu ziehen."
So nutzten sie zum Beispiel die Breite der Jahrringe von Bäumen, um daraus Aussagen über die Wachstumsbedingungen ableiten zu können. „Aus diesen Jahrring-Daten sowie genetischen und ökologischen Datensätzen haben wir eine computergestützte Simulation entwickelt, die ein möglichst realistisches Abbild der Waldentwicklung wiedergibt", erklärt Dr. Pagel.
„Dieses Werkzeug ermöglicht uns nicht nur eine gute Rekonstruktion der Vergangenheit, sondern wir können auch Aussagen über die Zukunft treffen. Etwa, wie entwickeln sich die Wälder weiter und welcher ökologische und wirtschaftliche Nutzen ist von ihnen zu erwarten. Dabei lässt sich die Methode auch auf andere Waldgebiete übertragen," erläutert er weiter.
Ebenso wertvoll: „Auch Aussagen über die Brandgefahr lassen sich so treffen, denn unser Modell sagt vorher, wie viele dünne Stämme es gibt, die leichter brennbar sind als dicke."
Hohe natürliche genetische Vielfalt für große Widerstandsfähigkeit
Zudem beschäftigte sich das Team auch mit der genetischen Vielfalt spontan entstandener Wälder. „Uns interessierte vor allem die Frage, welcher Baum von welchem abstammt. Denn je höher die genetische Vielfalt der Bäume, desto widerstandsfähiger ist der Wald gegenüber Umweltveränderungen. Leider greifen forstwirtschaftliche Anpflanzungen oft nur auf einen kleinen Genpool zurück", bedauert Prof. Dr. Schurr.
Umso erfreulicher ist es für ihn, „dass wir in den spontan entstandenen Wäldern eine hohe genetische Variabilität haben, die vor allem durch Pollen eingetragen wird. Die Ausbreitung durch Samen spielt eher eine untergeordnete Rolle." Allerdings seien die Zuwachsraten im Vergleich zu vom Menschenhand aufgeforsteten Wald, weniger planbar und stark standortabhängig.
Publikation
Sonderband der Fachzeitschrift Annals of Forest Science:
Hampe A, Alfaro-Sánchez R, Martín-Forés I (2020) Establishment of second-growth forests in human landscapes: ecological mechanisms and genetic consequences. Annals of Forest Science.
Projekt SPONFOREST
Das EU-Forschungsprojekt ERA-NET BiodivERsA3 „Potenzial spontaner Wiederbewaldung für Ökosystemfunktionen und -dienstleistungen in dynamischen Landschaften" (SPONFOREST) versammelt unter der Koordination des französischen Institut national de recherche pour l’agriculture, l’alimentation et l’environnement (INRAE) acht Partner aus Frankreich, Spanien, Finnland und Deutschland. Hauptziel ist das Potenzial des spontanen Nachwachsens von Wäldern als kostengünstiges und politisch machbares Instrument zur Stärkung von Netzwerken autarker Wälder in fragmentierten ländlichen Landschaften aufzuklären.
Das Projekt startete am 1.1.2017 und wird im November 2020 enden.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert die Forschung an der Universität Hohenheim mit 598.800 Euro. Aufgrund dieser Fördersumme wird das Projekt hier zu den Schwergewichten der Forschung gezählt.
Wissenschaftsjahr 2020|21 Bioökonomie
In den Jahren 2020 und 2021 steht das Wissenschaftsjahr im Zeichen der Bioökonomie – und damit einer nachhaltigen, biobasierten Wirtschaftsweise. Es geht darum, natürliche Stoffe und Ressourcen nachhaltig und innovativ zu produzieren und zu nutzen und so fossile und mineralische Rohstoffe zu ersetzen, Produkte umweltverträglicher herzustellen und biologische Ressourcen zu schonen. Das ist in Zeiten des Klimawandels, einer wachsenden Weltbevölkerung und eines drastischen Artenrückgangs mehr denn je notwendig. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ausgerichtete Wissenschaftsjahr Bioökonomie rückt das Thema ins Rampenlicht.
Die Bioökonomie ist das Leitthema der Universität Hohenheim in Forschung und Lehre. Sie verbindet die agrarwissenschaftliche, die naturwissenschaftliche sowie die wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Fakultät. Im Wissenschaftsjahr Bioökonomie informiert die Universität Hohenheim in zahlreichen Veranstaltungen Fachwelt und Öffentlichkeit zum Thema.
Schwergewichte der Forschung
33,9 Millionen Euro an Drittmitteln akquirierten Wissenschaftler der Universität Hohenheim 2019 für Forschung und Lehre. In loser Folge präsentiert die Reihe „Schwergewichte der Forschung" herausragende Forschungsprojekte mit einem finanziellen Volumen von mindestens 350.000 Euro für apparative Forschung bzw. 150.000 Euro für nicht-apparative Forschung.
Text: Stuhlemmer / Klebs
Weitere Informationen:
Projekthomepage | Link zum Projekt auf BiodivERsA3 | Twitteraccount des Instituts: @ecol_ho
Kontakt:
Dr. Jörn Pagel, Institut für Landschafts- und Pflanzenökologie | joern.pagel@uni-hohenheim.de
Prof. Dr. Frank Schurr, Institut für Landschafts- und Pflanzenökologie | frank.schurr@uni-hohenheim.de
Umwelt | Naturschutz, 30.08.2020
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