Studie: Digitalisierung gleich Klimaschutz? Bislang Fehlanzeige

Wachsender IKT-Sektor, Rebound-Effekte und Wirtschaftswachstum erhöhen Energienachfrage

Die Digitalisierung gilt als Hoffnungsträger, um den globalen Energiebedarf zu verringern und damit zum Klimaschutz beizutragen. Bislang gibt es hierfür allerdings keine Belege. Ein neuer wissenschaftlicher Artikel von Digitalisierungsexperten des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und der Technischen Universität Berlin zeigt, dass sich dieser Trend bislang nicht einstellt. Im Gegenteil: Steigende Energieverbräuche des Informations- und Kommunikationstechnologie-Sektors (IKT) und höheres Wirtschaftswachstum konterkarieren eine Reduktion des Energiebedarfs.
 
Die Digitalisierung entkoppelt das Wirtschaftswachstum nicht vom Energieverbrauch. © IÖWDer Artikel „Digitalization and energy consumption. Does ICT reduce energy demand?” im Journal Ecological Economics entstand in dem fünfjährigen Forschungsprojekt „Digitalisierung und sozial ökologische Transformation", das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als Nachwuchsgruppe im Förderschwerpunkt „Sozial-ökologische Forschung" gefördert wird.
 
Welche Effekte entstehen durch IKT?
In dem Artikel analysieren die Autorin und die Autoren, wie sich die Digitalisierung auf den Energieverbrauch auswirkt. Indem sie ein umweltökonomisches Modell mit einer Vielzahl empirischer Studien kombinieren, untersuchen sie folgende Fragen: Welche direkten Effekte haben die Produktion, Nutzung und Entsorgung von Informations- und Kommunikationstechnik? In welchem Umfang führt die Digitalisierung zu einer steigenden Energieeffizienz von Prozessen? Wie wirken sich höhere Arbeits- und Energieproduktivität auf das Wirtschaftswachstum aus?
 
Energieverbrauch durch Digitalisierung steigt
„Zwar kann durch die Digitalisierung Energie eingespart werden – durch Effizienzsteigerungen in verschiedenen Wirtschaftssektoren, aber auch bei technischen Geräten des täglichen Gebrauchs", erläutert Wirtschaftsforscher Steffen Lange vom IÖW. „Legt man diese Einsparungen in die eine Waagschale und vergleicht sie mit den Effekten des wachsenden IKT-Sektors und den Auswirkungen des durch gesteigerte Produktivität ausgelösten Wirtschaftswachstums, wiegen die letzteren deutlich schwerer. Die Hoffnung, dass die Digitalisierung den Gesamtenergieverbrauch senkt, erfüllt sich derzeit nicht."
 
Rebound-Effekte wirken Einsparungen entgegen
Die Wissenschaftler erklären das mit Mechanismen aus der Umweltökonomie: Physisches Kapital und Energie lassen sich nur begrenzt gegenseitig ersetzen, was es schwermacht, den Energieverbrauch vom Wirtschaftswachstum zu entkoppeln. Zudem wirken Rebound-Effekte den Einsparungen entgegen. „Wir können nicht erkennen, dass sich diese Entwicklung ändern wird. Die Gleichung lautet höchstwahrscheinlich weiter: Energieeinsparungen führen an anderer Stelle zu mehr Nachfrage", erklärt Johanna Pohl von der Technischen Universität Berlin.
 
Wie kann die Digitalisierung nachhaltiger werden?
In Zukunft kann die Digitalisierung nur nachhaltiger werden, wenn sie gezielt für Energieeffizienzsteigerungen eingesetzt wird oder um Sektoren energiesparend zu verändern. Gleichzeitig müssten aber auch Maßnahmen greifen, die den Energiebedarf des Sektors selbst eindämmen und Rebound- und Wachstumseffekten entgegensteuern. „Aber selbst dann würden die Energiespareffekte der Digitalisierung nicht ausreichen, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Wir müssen noch einen Schritt weitergehen und daran arbeiten, die digitalen Möglichkeiten in den Dienst einer ökologischen Transformation der Ökonomie zu stellen", so Steffen Lange vom IÖW. „Anstatt die Nebenwirkungen der Digitalisierung zu bekämpfen, sollten alle ökonomischen Sektoren transformiert werden, insbesondere Industrie, Landwirtschaft, Energie, Bau und Verkehr. Hierbei könnten digitale Technologien – richtig eingesetzt – eine wichtige Rolle spielen."
 
Über das Projekt
Die Forschungsgruppe „Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation" untersucht die Chancen und Risiken der Digitalisierung für eine Verringerung der Energie- und Ressourcenverbräuche und erarbeitet Ansätze für die politische und gesellschaftliche Gestaltung der Digitalisierung, damit sie zum notwendigen Wandel der Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit beiträgt. Die Forschungsgruppe wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Förderschwerpunkt Sozial-ökologische Forschung (SÖF) gefördert. Kooperationspartner sind neben dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) das Institut für Berufliche Bildung und Arbeitslehre, Fachgebiet Arbeitslehre/Ökonomie und Nachhaltiger Konsum (ALÖNK), sowie das Zentrum Technik und Gesellschaft (ZTG) der Technischen Universität Berlin. Das Projekt wird geleitet von Prof. Dr. Tilman Santarius von der Technischen Universität Berlin.www.nachhaltige-digitalisierung.de
 
Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) ist ein führendes wissenschaftliches Institut auf dem Gebiet der praxisorientierten Nachhaltigkeitsforschung. Über 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erarbeiten Strategien und Handlungsansätze für ein zukunftsfähiges Wirtschaften – für eine Ökonomie, die ein gutes Leben ermöglicht und die natürlichen Grundlagen erhält. Das Institut arbeitet gemeinnützig und ohne öffentliche Grundförderung. 
 
Kontakt: Richard Harnisch, Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) | richard.harnisch@ioew.de

Technik | Digitalisierung, 07.09.2020

     
        
Cover des aktuellen Hefts

Pioniere der Hoffnung

forum 01/2025 ist erschienen

  • Bodendegradation
  • ESG-Ratings
  • Nachhaltige Awards
  • Next-Gen Materialien
Weiterlesen...
Kaufen...
Abonnieren...
03
JAN
2025
48. Naturschutztage am Bodensee
Vorträge, Diskussionen, Exkursionen mit Fokus: Arten-, Klima- und Naturschutz
78315 Radolfzell
17
JAN
2025
Systemische Aufstellungen von Familienunternehmen und Unternehmerfamilien
Constellations machen Dynamiken sichtbar - Ticketrabatt für forum-Leser*innen!
online
06
FEB
2025
Konferenz des guten Wirtschaftens 2025
Mission (Im)Possible: Wie Unternehmen das 1,5-Grad-Ziel erreichen
80737 München
Alle Veranstaltungen...
NatuVision Forum

Professionelle Klimabilanz, einfach selbst gemacht

Einfache Klimabilanzierung und glaubhafte Nachhaltigkeitskommunikation gemäß GHG-Protocol

Politik

Ohne Vertrauen ist alles nichts
Christoph Quarch wirft einen besorgten Blick auf den Zustand der politischen Kultur
B.A.U.M. Insights
Hier könnte Ihre Werbung stehen! Gerne unterbreiten wir Ihnen ein Angebot

Jetzt auf forum:

Profiküche 2025: Geräte-Innovation spart mehr als 50 Prozent Energie für Grill-Zubereitung ein

Sichere Abstellmöglichkeiten für Fahrräder:

Fotoausstellung Klimagerecht leben

Ohne Vertrauen ist alles nichts

Zeit für Regeneration

The Custodian Plastic Race 2025

Niedriger Blutdruck: Wie bleibt man aktiv, ohne sich schwindlig zu fühlen?

Hacker vs. Host: Wie man Angreifer überlistet

  • Protect the Planet. Gesellschaft für ökologischen Aufbruch gGmbH
  • Energieagentur Rheinland-Pfalz GmbH
  • Global Nature Fund (GNF)
  • BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
  • World Future Council. Stimme zukünftiger Generationen
  • circulee GmbH
  • ECOFLOW EUROPE S.R.O.
  • DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen
  • Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG
  • NOW Partners Foundation
  • Engagement Global gGmbH
  • Kärnten Standortmarketing
  • Futouris - Tourismus. Gemeinsam. Zukunftsfähig