White Deal
Ein Vorbild für den Green Deal?
Europa kämpft entschlossen und erfolgreich gegen das CoronaVirus an. Warum greifen wir nicht auf die nunmehr erprobten Maßnahmen zur Bewältigung der Klima und Sozialkrise zurück? Als revolutionäre Chance für wirkliche Veränderung.

Die Einsicht, dass in einer globalisierten, modernen Welt nationale Befindlichkeiten nicht helfen, sondern Kooperation und Koordination, aber auch Mut, Sachlichkeit und Konsequenz (koste es was es wolle) gefordert sind, scheint sich durchzusetzen. Beispielhaft werden Maßnahmen zur Sicherstellung einer medizinischen Autarkie inklusive einer Lockerung kartellrechtlicher oder vergaberechtlicher Bestimmungen genannt. Besondere Bedeutung kommt dem grenzüberschreitenden Datenaustausch oder der Behandlung von Patienten zu, denn dass Menschen in einem Land sterben, weil nicht genug Kapazitäten zur Verfügung stehen, wohingegen in Nachbarländern die Betten leer sind, ist selbst für eine zivilisierte Gesellschaft schwer akzeptierbar.
Grenzenlose Akzeptanz
Jedenfalls sind die national ergriffenen Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Pandemie, deren parteiübergreifende Unterstützung und deren gesellschaftliche Akzeptanz einzigartig. Einerseits haben wir in den demokratischen Strukturen der Nachkriegszeit bisher nicht ansatzweise ein derart rigides und konsequenten Vorgehen der Politik gesehen. Andererseits haben in den letzten Wochen still und einvernehmlich gesellschaftliche Veränderungen stattgefunden, für die die Bezeichnung White Deal gar nicht weit genug gegriffen ist. Demokratische und parlamentarische Strukturen wurden „zum guten Zweck" wie einvernehmlich missachtet. Der Verlust des Arbeitsplatzes oder die Einschränkung der persönlichen Freiheit zum Schutz von Risikogruppen ohne Murren in Kauf genommen. Vor dem Hintergrund der Bilder aus Italien wollte kein Oppositionspolitiker und kein Journalist mittels kritischer Fragen für vermeidbare Todesfälle verantwortlich sein. Gegen etwaigen Unbill der Bevölkerung und der Wirtschaft wird tief in die Kasse gegriffen. Die Frage, wie das alles finanziert werden kann, wurde lange nicht gestellt. Plötzlich war möglich, was bisher niemand für denkbar gehalten hat.
Große Hoffnung
Diese revolutionäre Erkenntnis, die sicherlich zu einer Neufassung der Volkswirtschaftslehre und auch der Demokratiewissenschaft führen wird, gibt Hoffnung. Die Hoffnung, dass auch andere Krisen gemeistert werden können. Zentral für eine lebenswerte Zukunft und für das Überleben einer zivilisierten Menschheit ist die Bewältigung der Klimakrise mit ihren ökologischen und sozialen Auswirkungen.
Doch offenbar beschreibt der Begriff Klimakrise das Problem nicht. Denn die bisher zur Bekämpfung der Klimakrise ergriffenen Maßnahmen sind im Vergleich zu den Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 geradezu lächerlich.
Die 500.000 Klima-Toten, die laut Klima-Risiko-Index, basiert auf einer Datenbank des Rückversicherers Munich Re und Daten des Internationalen Währungsfonds (IWF) In den vergangenen 20 Jahren in Folge von Extremwetterereignisse zu beklagen waren, berühren die Menschen in Europa und damit auch die Politik nicht. Auch, dass der Klimawandel eine der Hauptursachen für Hunger ist, geht den wohlhabenden Teil der Welt nichts an. 811 Millionen Menschen (2019) leiden laut WFP (World Food Programme) an Hunger. Millionen, vor allem Kinder, sterben jährlich. Obwohl der Klimawandel bereits ein Vielfaches an Toten im Vergleich zu Corona verursacht hat, können diese Zahlen das Leid und die negative Veränderung des zu erwartenden Zusammenlebens nur teilweise beschreiben. Überflutete Küstenregionen, überhitzte Städte, verödete Landschaften, künstliche Nahrungsmittel usw. würden das Bild einer Zukunft für kommende Generationen ergeben.
Die Europäische Kommission unter Van der Leyen hat dieser Horrorvision von Klimawandel und Umweltzerstörung den Kampf angesagt und im Dezember 2019 den europäischen Green Deal als Fahrplan für eine nachhaltige EU-Wirtschaft auf Schiene gebracht. Bis 2050 sollen keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr freigesetzt werden. Das Wirtschaftswachstum soll von der Ressourcennutzung abgekoppelt und niemand, weder Mensch noch Region, soll im Stich gelassen werden. Wenn man die noch unkonkreten Maßnahmen und die Zeitachse des Green Deals mit den Maßnahmen des White Deals vergleicht, dann wird klar, dass der Green Deal ein mühsamer und ergebnisoffener Weg ist. Die Politik fühlte sich von den Wählern bislang nicht legitimiert gegen die Klimakrise wirkungsvoll vorzugehen. Oder wussten die Politiker bisher nicht wie es geht? Die Corona-Situation hat jedenfalls gezeigt, wie es gehen kann.
Das Wirtschaftswachstum soll von der Ressourcennutzung abgekoppelt und niemand, weder Mensch noch Region, im Stich gelassen werden.
Persönliche Betroffenheit
Vielleicht muss man also der Klimakrise einen anderen Namen geben und sie in unsere Wohnzimmer und vor allem unser Limbisches System, also jenen Teil des Gehirns, der für Emotionen zuständig ist, holen. Klimaseuche, oder der Filmtitel eines der apokalyptischen Horrorfilme als Begriff und Bilder wie auf Zigarettenpackungen auf jedem Auto, Schnitzel oder im Reiseprospekt wären vielleicht taugliche Tools zur Emotionalisierung. Die netten Kennzeichen wie grüne Punkte auf ökologischen Verpackungen, oder ansprechende Bio-Labels für Naturprodukte werden wohl keine Betroffenheit erzeugen. Die Klimaseuchen müssten das Hauptthema in den täglichen Nachrichten zumindest der öffentlich-rechtlichen Sender und Gegenstand von Einschaltungen und Pressekonferenzen der Regierung und des Staatsoberhauptes sein. Die Klimaseuche muss allgegenwärtig sein und darf weder Thema von NGOs und Greta Thunberg bleiben, noch weichgespült von den Marketingabteilungen und Pressestellen großer Konzerne und Parteien vereinnahmt werden.
Globale Solidarität
Mit der Betroffenheit einher geht die Solidarität. Das neoliberale Weltbild, in dem man statt auf Gemeinwohl auf Eigenvorsorge setzt, weil ja jeder seines Glückes Schmied ist, wurde angesichts der Corona-Pandemie zumindest für das Gesundheitswesen zerstört. Nur ein öffentliches Gesundheitswesen kann alle versorgen. Ohne Spitalsbett nützt die beste Zusatzkrankenversicherung nichts. Unter Quarantäne oder Ausgangssperre kann das Ferienhaus nicht besucht werden und die noch so luxuriösen eigenen vier Wände führen zur Vereinsamung. Solidarität ist nicht auf den alleinstehenden Nachbarn begrenzt, sondern umfasst unsere Gesellschaft als Ganzes. Solidarität muss global sein. Und wenn vor allem Wirtschaftstreibende Solidarität als politisches Reizwort sehen, dann sollen sie den Begriff des kollektiven Eigennutzen verwenden. Zur Bewältigung von Pandemien brauchen wir einen starken Sozialstaat oder besser eine starke soziale EU. Und zur Bewältigung der Klimaseuche brauchen wir ebenfalls eine starke Lenkung. Der viel gepriesene freie Wettbewerb sucht immer nach Optimierung. Doch diese Optimierung erfolgt auf Kosten jener Güter, die keinen fairen Preis haben. Die Umwelt hat noch immer keinen solchen Preis, jedenfalls nicht global. Auch die Arbeitsleistung hat in vielen Ländern der Erde keinen fairen Preis. Die Politik muss diesen Preis bestimmen und eine Lenkungsrichtlinie vorgeben.
Schonungslose Transparenz
Ein konkretes Beispiel wo man mit jüngsten Erfahrungen nachbessern könnte, sind die ESG-Offenlegungspflichten für Finanzmarktteilnehmer, die schon vor dem Green Deal verlautbart wurden. Die Offenlegungspflichten sind sinnvolle Maßnahmen zur Lenkung und somit indirekt auch zur Preisfindung. Allerdings viel zu sanft und langfristig. Denn es geht nur um die Verpflichtung zur Offenlegung von Strategien zur Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken bei Investitionsentscheidungen oder zur Beschreibung, inwieweit ökologische oder soziale Merkmale eines Finanzproduktes erfüllt wurden. Es geht aber nicht um die Verpflichtung zu einer Nachhaltigkeitsstrategie oder zur ökologischen und sozialen Produktgestaltung. Der europäische Gesetzgeber hofft, dass mehr Transparenz zu mehr Nachhaltigkeit führt. Also irgendwie wie das Modell Schweden bei der Corona- Bekämpfung.
Schneller Ausstieg

Die Entscheidung zum Schließen der Geschäfte oder zum Verbot von Kultur- und Sportveranstaltungen zur Verhinderung eines rasanten Ausbreitens des Corona-Virus hat es nach wenigen Stunden der Verhandlungen mit den Sozialpartnern und den Parlamentsparteien gegeben. Zum Ausstieg aus der Kohle nimmt sich Deutschland hingegen bis 2038 Zeit. Andere Länder wie China benötigen dafür bis 2045 und in fast allen Ländern der Dritten Welt ist ein Kohleausstieg nicht absehbar. Dabei wäre nicht nur ein radikales Verbot von Kohlekraftwerken oder von Verbrennungsmotoren wirksam. Bereits ein adäquates Preissystem für CO2 hätte große Wirkung und wäre dabei ganz leicht eingeführt. Derzeit sind nur 20 Prozent der Emissionen Bestandteil eines Preissystems und nur 5 Prozent werden laut Internationaler Energieagentur (IEA) so bepreist, wie es notwendig wäre, um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen. Die massive Besteuerung fossiler Brennstoffe ist politisch und administrativ leichter umzusetzen, als die Administration des Kurzarbeitsgeldes oder der Corona-Soforthilfe – wenn man es will und ernst meint. Unsere Politik verhält sich diesbezüglich eher so vorbildlich wie Donald Trump, der sich mit 15 Anwesenden auf engstem Raum im Oval-Office fotografieren lässt, wenn er die Richtlinie gegen die Ansammlung von mehr als zehn Personen und einen Sicherheitsabstand von zwei Metern der Öffentlichkeit näherbringt.
Wann, wenn nicht jetzt?
Es gibt viele weitere Handlungsfelder. Zum Beispiel der Kampf gegen den Landverbrauch, der halbherzig bis gar nicht geführt wird. Mittels Bauordnung kann man in unseren Breitengraden sehr schnell etwas ändern. Und den Entwicklungsländern muss man solidarisch unter die Arme greifen und darüber nachdenken, wieviel uns der Schutz von ein Quadratkilometer Regenwald wert ist.
So dramatisch und traurig das Corona-Virus von unserem Gesellschafts- und Wirtschaftsleben Besitz ergriffen hat, so groß ist die Chance, die wir durch Corona auch bekommen haben. Wir können Großes leisten. Lasst uns harte, aber wirksame Maßnahmen ergreifen. Lasst uns Demut und kollektiven Eigennutz gegen Corona und die Klimaseuche zeigen.
Markus Zeilinger war schon als Schüler von der Idee des fairen Handels fasziniert und beschäftigte sich während seines Studiums der Handels- und Politikwissenschaft vertiefend mit Fragen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ungleichheit. Nach erfolgreichen Jahren in der Finanzindustrie gründete er 2010 fair-finance. Die Unternehmensgruppe umfasst neben einer Betrieblichen Vorsorgekasse je eine Immobilienentwicklungsgesellschaft in Österreich und in Deutschland, eine Asset Management Gesellschaft zur Verwaltung der fair-finance Fonds und seit 2019 auch ein Versicherungsberatungsunternehmen.
Wirtschaft | Ethisches Wirtschaften, 10.06.2020
Dieser Artikel ist in forum 02/2020 - die Corona-Sonderausgabe - Einfach zum Nachdenken... und Handeln erschienen.

Save the Ocean
forum 02/2025 ist erschienen
- Regenerativ
- Coworkation
- Klimadiesel
- Kreislaufwirtschaft
Kaufen...
Abonnieren...
02
APR
2025
APR
2025
5. Runder Tisch der Infrarotheizungsbranche
& Konferenz "Infrarotheizung: Wirtschaftlichkeit im Fokus"
97070 Würzburg
& Konferenz "Infrarotheizung: Wirtschaftlichkeit im Fokus"
97070 Würzburg
03
APR
2025
APR
2025
CSRD-Verschiebung & wirtschaftliche Unsicherheit - Was jetzt zählt
Auswirkungen verstehen, Chancen nutzen, wirtschaftlich erfolgreich handeln
Webinar
Auswirkungen verstehen, Chancen nutzen, wirtschaftlich erfolgreich handeln
Webinar
Professionelle Klimabilanz, einfach selbst gemacht

Einfache Klimabilanzierung und glaubhafte Nachhaltigkeitskommunikation gemäß GHG-Protocol
Megatrends

Christoph Quarch empfiehlt Thilo Maschke, die Moderation von ttt zurückzugeben
Jetzt auf forum:
LVR-Kulturkonferenz 2025: Kultur. Nachhaltig. Wirtschaften. | Krefeld, 21. Mai
Friede sei mit uns – ein christlicher Wunsch!
Damen-Deodorant ohne Schadstoffe:
Product Compliance, Herstellerverantwortung und Nachhaltigkeit in einem Event
CBD: Anwendungsgebiete & therapeutisches Potenzial
Getriebeölwechsel bei Kleinwagen und Kompaktwagen
circulee stattet WWF Deutschland zukünftig mit grüner IT aus