Aufklärung ist das A und O
Jedes 10. Kind in Sierra Leone erlebt seinen 5. Geburtstag nicht
Von 1.000 Säuglingen sterben 109 vor ihrem 5. Lebensjahr. In Sierra Leone gibt es im Alter zwischen 18 und 45 Jahren fast keine Frau, die noch nie ein Kind verloren hat. Der westafrikanische Staat gehört zu den Ländern mit der höchsten Kindersterblichkeitsrate der Welt.
Im internationalen Vergleich belegt Sierra Leone Platz fünf, noch vor zehn Jahren Platz eins. Das bedeutet, dass Sierra Leone für Schwangere und Kinder das gefährlichste Land der Welt war. Um die hohe Sterblichkeit von Müttern und Kinder zu reduzieren, wurde 2010 mit der Unterstützung des Vereinigten Königreiches und der UN ein Programm zur kostenlosen Versorgung von schwangeren Frauen und Müttern mit Kindern unter fünf Jahren eingeführt. Seitdem hat sich die Lage etwas verbessert. Doch ora Kinderhilfe international e. V. weist darauf hin, dass gebührenfreier Zugang zu medizinischer Versorgung nicht automatisch eine gute Versorgung bedeutet.
„Die meisten Frauen entbinden immer noch allein in ihren Hütten – meist unter unhygienischen Bedingungen; ohne Strom, ohne Wasser, ohne Medikamente, nur selten mit einer Hebamme", beschreibt Carmen Schöngraf, Geschäftsführerin von ora Kinderhilfe, die Situation. „Viele Mütter sind schon vor der Geburt unterernährt, deshalb kommen viele ihrer Kinder untergewichtig zur Welt. Dazu kommen traditionelle Riten wie das Einreiben der Nabelschnur mit Spinnenfäden." Infektionen oder Durchfallerkrankungen sind allgegenwärtig. Sie kosten Mütter und Kinder kurz nach der Geburt häufig das Leben.
Erst emotional verletzt, dann sozial geächtet
Die Frauen wissen wenig über Gesundheit, erst recht nicht über Schwangerengesundheit. Komplikationen während der Schwangerschaft oder der Entbindung bedeuten oftmals den Tod für Mutter und Kind. Nicht schnell genug können ein Krankenhaus und die nötige medizinische Hilfe erreicht werden. „Die wenigen Gesundheitsstationen befinden sich in Städten und sind so weit entfernt, dass die armen Familien aus den Dörfern sie nicht zu Fuß erreichen können", erklärt Schöngraf. Geschultes Personal findet sich kaum. Nicht mal ein Dutzend Frauenärzte gibt es in dem Land. Auch Kinderärzte sind eine Rarität. Es fehlt an Medikamenten und selbst an einfachen Untersuchungsgeräten. Aufgrund dieser unzureichenden Versorgung kann es zu Geburten kommen, die Verletzungen und Fisteln mit sich bringen. Diese wiederum sind oft mit Inkontinenz und daraus folgender gesellschaftlicher Ausgrenzung verbunden.
„Die hohe Kindersterblichkeit ist nicht nur ein emotionales, sondern auch ein soziales Problem", erklärt Carmen Schöngraf. „Die Frauen sind traditionsgemäß dafür verantwortlich, Leben zu schenken. Es ehrt den Mann. Gelingt das den Frauen nicht, sinkt in Sierra Leone ihr sozialer Status innerhalb der Gemeinschaft, in der sie leben. Bleiben gesundheitliche Beeinträchtigungen nach einer komplizierten Geburt zurück, tragen die Frauen ein Stigma. Sie gelten in der von Männern dominierten Gesellschaft als weniger wert."
Aufklärung ist das A und O
An den zwei Projektstandorten, an denen ora Kinderhilfe in Sierra Leone tätig ist, werden die Frauen und Kinder medizinisch gut betreut. Ein weiterer Schwerpunkt liegt zudem auf Aufklärung. Nicht nur die Frauen werden zu Gesundheit und Schwangerengesundheit geschult, auch die Männer erhalten Seminare zum Umgang mit ihrer Frau in der Schwangerschaft. „Es ist ja nicht so, als würde der Tod eines Kindes die Väter nicht traurig machen", erklärt Schöngraf. „Schlichtweg das große Unwissen, der harte Existenzkampf sowie das Streben nach sozialer Anerkennung verhindern Empathie und Mitgefühl. Im Normalfall wollen auch die Männer, dass es ihren Frauen und Kindern gut geht." Die richtige Ernährung, der richtige Umgang mit Hygiene sowie das Schonen des eigenen Körpers während der Schwangerschaft sind Bestandteil der Kurse. Hinzu kommen Inhalte zum Umgang mit den Babys, das Unterrichten der hygienischen Standards, der richtigen Ernährung, der hohen Bedeutung von Impfungen sowie das Mutmachen zum Arzt zu gehen, wenn es nötig ist. Schöngraf erläutert: „Wir vermitteln neben Wissen auch Körper- und Selbstbewusstsein. Natürlich in allererster Linie bei den Frauen, aber auch bei den Männern."
Gesellschaft | Spenden & Helfen, 10.11.2020
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