Der Ton macht die Musik
Christoph Quarch hofft, dass ein neuer Spirit nicht nur die Seele Amerikas heilen wird, sondern auch die Seele der Welt
Einen Beitrag von Christoph Quarch zur Situation der Kulturschaffenden in der Corona-Krise lesen Sie in
forum Nachhaltig Wirtschaften 4/2020 im Brennpunkt Events. |
Rund eine Woche ist es nun her, als sich so langsam abzeichnete, dass Joe Biden das Rennen bei den Präsidentschaftswahlen macht. Am Sonntag feierten und tanzten Menschen auf den Straßen in den USA. Trump, der von seiner Niederlage auf dem Golf-Platz erfuhr, zieht sich seitdem zurück und twittert eifrig weiter, dass er ja eigentlich gewonnen habe. Dieser Streit wird sich noch wochenlang hinziehen, aber eine entscheidende Sache hat sich in den Augen unseres Philosophen Christoph Quarch schon verändert: Mit dem Präsidententeam Joe Biden und Kamala Harris sei ein neuer Ton, eine neue Sprache eingekehrt.
Herr Quarch, an was machen Sie diesen neuen Ton denn fest?Es geht mir gar nicht so sehr um den Ton als solchen. Der Ton ist eher ein Symptom. Und zwar ein Symptom für etwas schwer Greifbares, das aber für die Politik von entscheidender Bedeutung ist. Lassen Sie es mich probeweise den „Spirit" nennen, der sich in Stil, Stimmung, Tonalität und Sprache der politischen Protagonisten manifestiert. Man braucht ja nur genau hinzusehen, um zu erkennen, dass in den Auftritten von Kamala Harris ein erfrischend anderer Geist weht, den man mit Prädikaten wie „herzlich", „zugewandt", „offen" oder „empathisch" beschreiben kann. Das nährt in mir die Hoffnung, dass sich in den USA und von dort ausgehend in der Welt ein neuer Politikstil durchsetzt, der die finsteren Jahre des Trumpismus hinter sich lassen könnte.
Bei Obama wars ja „Yes we can” – Bei Trump "Make America
Great again!” und bei Biden fällt einem auf Anhieb überhaupt kein eingängiger
Slogan ein, kein echtes Alleinstellungsmerkmal … Und rhetorisch ist Joe Biden,
wenn man ehrlich ist, auch nicht so charismatisch wie ein Barack Obama –
Überzeugt sie der Ton des neuen Präsidenten trotzdem?
Joe Biden sprach in
seiner Siegesrede wiederholt davon, dass er die Seele Amerikas heilen wolle. Das ist ein bemerkenswertes Wording. Ich glaube nicht, dass
Donald Trump jemals von der Seele der USA oder von Heilung gesprochen hat, wenn er posaunte „Make America great again". Aus allen
Worten und Taten Trumps sprach eine hemmungslose Egozentrik – persönlich
und national. Bei Biden und Harris tritt das Ego hinter die Seele zurück.
Das ist interessant, denn darin manifestiert sich ein umfassenderes,
ganzheitlicheres Verständnis von Mensch und Welt – eines, dass den
Menschen auch in seiner Emotionalität, Spiritualität und Sozialität
ernstnimmt. Wer antritt, um die Seele seines Landes zu heilen, hat etwas
vom Wesen des Politischen verstanden.
Aber es heißt doch immer – Taten sprechen lauter als
Worte – und noch wissen wir doch gar nicht, ob die Handlungen der neuen
US-Regierung wirklich so viel besser für die Weltgemeinschaft und die USA sein
werden. Ist ein herzlicher, offener, vertrauenswürdiger Ton da nicht eher
Nebensache?
Nein, der Ton macht die
Musik, auch in der Politik. Jede demokratische Regierung gründet in der
Macht, die vom Volk ausgeht. Und Macht – das hat die Philosophin Hannah
Arendt gezeigt – verdankt sich der Zustimmung und des Vertrauens der
Bürgerinnen und Bürger. Beides lässt sich aber nicht gewaltsam erzwingen,
weder durch Fakenews noch durch rhetorische Tricks oder
Konditionierungstechniken. Beides gewinnt man aber auch nicht bloß durch
rationale Argumente, sondern nur durch Authentizität, Offenheit und
Verbindlichkeit. Für nachhaltigen politischen Erfolg muss man die tieferen
Ebenen des Menschen ansprechen, und das kann nur, wer wie Biden und Harris
den Mut hat, offenherzig und beseelt zu reden.
Zu sein, zu leben, das ist genug.
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Verlag Legenda Q, 16,90 EUR
ISBN 978-3-948206-03-1
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Allein die Sprache hilft im Moment offensichtlich nicht
den Widerstand des abgewählten Präsidenten brechen. Nur wenn das passiert, gibt
es eine funktionierenden Amtsübergabe und Bidens Präsidentschaft hat Chancen
auf einen guten Start. Was für einen Ton müsste man also einschlagen, um Trump
zu besänftigen?
Den eigenen. Das
wichtigste ist, sich nicht auf das verlogene Spiel einzulassen, das Trump
Biden und Harris aufzwingen will. Denn das hat die Wahl ja deutlich
gezeigt: Trump kann lügen, wie er will, die Hälfte der Amerikaner wählt
ihn trotzdem. Tatsächlich geht es nur bedingt um Zahlen und Fakten. Am
finalen Wahlergebnis wird sich nichts wesentliches mehr verändern. Wichtig
ist nun, dass es Biden und Harris gelingt, die Menschen mit Herz und Seele
anzusprechen, ihnen den Glauben an das Gemeinwesen und dessen Zukunft
zurückzugeben. Den ersten Schritt dahin haben Sie getan. Jetzt ist zu
hoffen, dass weitere Schritte folgen werden, so dass nicht nur die Seele
Amerikas geheilt wird, sondern auch die Seele der Welt.
Gesellschaft | Politik, 16.11.2020
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