Wo Plastik die Umwelt schützt
Landwirte in den Provinzen Almería und Granada in Südspanien sind für Europa wichtige Lieferanten von frischem Obst und Gemüse.
Rund 4,5 Millionen Tonnen Tomaten, Paprika, Gurken, Zucchini & Co. werden hier jedes Jahr produziert, und 28 Prozent der Gesamtproduktion landen im Verlauf des Winters auf deutschen Tellern. Der Anbau erfolgt in Solargewächshäusern unter Plastikfolie. Und so merkwürdig das klingt: Diese Methode schützt nicht nur die Umwelt, sondern wirkt auch lokal dem Klimawandel entgegen.
Auf rund 3,4 Prozent der Fläche von Almería und Granada prägen die mit weißer Plastikfolie überzogenen Solargewächshäuser das Landschaftsbild. Im Vergleich zu den rund 40 Prozent der Region, die als geschützter Naturraum erhalten werden, ist dies nur ein recht kleiner Anteil. Und doch sind diese 3,4 Prozent für die Versorgung von rund 500 Millionen EU-Bürgern mit frischen Vitaminen von großer Bedeutung. „Almería und Granada tragen in den Wintermonaten maßgeblich zu der Versorgung des europäischen Markts mit Obst und Gemüse bei. Was aber kaum ein Verbraucher weiß: Diese intensive Erzeugung ist sehr effizient und umweltfreundlich – und wirkt sogar lokal dem Klimawandel entgegen", berichtet Aránzazu Martín Moya, Beauftragte der andalusischen Regierung für Umweltangelegenheiten in Almería.
Auch Umweltschutz ist ein Produktionsziel
Die Umweltbeauftragte nimmt schon einmal interessierte Gäste mit zu ihren Besuchen auf einen der rund 14.000 landwirtschaftlichen Familienbetriebe der Region. „Es macht Spaß, den überraschten Besuchern erst den Blick auf die ‚Folienlandschaft‘ zu zeigen und dann in einem der Solargewächshäuser zu erklären, warum dieses Verfahren tatsächlich so umwelt- und klimafreundlich ist", erzählt Martín. Das Grundgerüst dieser Gewächshäuser besteht aus Stahl, Aluminium und zum Teil auch aus Holz und kann über viele Jahre genutzt werden. Die Folie wird in der Region produziert und hat sich inzwischen sogar zum Exportartikel entwickelt. Laut der Umweltexpertin laufen derzeit Versuche, bei der Herstellung der Folie in größerem Umfang auch nachwachsende Rohstoffe zu nutzen. „Schon heute werden rund 90 Prozent des Plastiks von Fachunternehmen recycelt, wenn die Folien nach rund drei Jahren ausgewechselt werden müssen." Damit können laut Aránzazu etwa 80 Prozent des eingesetzten Materials in die Wertschöpfungskette zurückgeführt werden.
Die Solargewächshäuser sind dank der Sonne fast vollständig energieautark. Die Landwirte benötigen kaum fossile Energie, um die Innentemperatur hoch genug zu halten, oder für Bewässerung, Nährstoffzufuhr und Belüftung. Überdies wird das Regenwasser von über 80 Prozent der Betriebe gesammelt und recycelt. Zusammen mit der sehr sparsamen Tröpfchenbewässerung und weiteren effizienzsteigernden Maßnahmen wie der Verwendung von Sand, um die Verdunstung aus dem Boden zu reduzieren, schont dies die in Südspanien äußerst knappe Ressource Wasser. Aránzazu ergänzt: „Pflanzenschutz ist ebenso ein wichtiges Thema. Nützlinge spielen seit Jahren eine große, stetig wachsende Rolle. Sie kommen wo immer möglich statt chemischer Pflanzenschutzmittel zum Einsatz. Über die Lüftung steuern die Landwirte auch die Feuchtigkeit in der Gewächshausluft; so kann oft auch auf Pflanzenschutzmittel gegen Pilzkrankheiten der Pflanzen, sogenannte Fungizide, verzichtet werden." Die überwiegende Mehrzahl der Betriebe wirtschaftet nach den Prinzipien des integrierten Pflanzenschutzes und greift intensiv auf die Fachberatung zurück. „Chemische Pflanzenschutzmittel sind hier nur ‚letzte Wahl‘", stellt die Expertin zufrieden fest.
„Anti-Klimawandel" mit dem Albedo-Effekt
Eins der wichtigsten Argumente, das für die Solargewächshäuser spricht, hebt sich Aránzazu Martín gerne bis zum Schluss auf: „Unsere Gewächshäuser schützen das Klima!" Diese überraschende Aussage stützt sich auf wissenschaftliche Untersuchungen, die für den Zeitraum 1973 bis 2007 im Südosten und Osten Spaniens einen beschleunigten Anstieg der durchschnittlichen Temperaturen um +0.54°C pro Jahrzehnt gezeigt haben. „Ganz anders in der Region Almería: Die Wetterstationen im Umfeld der Gewächshäuser haben im gleichen Zeitraum mit -0.30ºC pro Jahrzehnt einen leichten Rückgang der Temperaturen nachgewiesen", erläutert die Expertin. „Dies liegt an dem sogenannten Albedo-Effekt. Darunter verstehen wir die Reflexion von Teilen des eingestrahlten Sonnenlichts durch das natürliche Kalziumkarbonat, das in die Folienhülle der Gewächshäuser eingearbeitet ist."
Sehr positive Gesamtbilanz
„Der Klimawandel bedroht die Menschheit weltweit – und erfordert dringend effektive Gegenmaßnahmen. Gerade in den Trockengebieten wie hier in Südspanien sind auch der Schutz des Wassers und eine extrem sparsame, effiziente Wassernutzung zwingend erforderlich. Für beide Herausforderungen bieten die Solargewächshäuser eine nachhaltige Strategie", sagt Aránzazu Martín mit Überzeugung. Dazu trage auch bei, dass kaum fossile Energie aufgewandt werde und der CO2-Fußabdruck der Obst- und Gemüseerzeugung in diesen Gewächshäusern deshalb sehr gering sei.
„Hier wird kaum klimaschädliches Kohlendioxid emittiert. Auf jedem Hektar mit solchen Gewächshäusern bindet die Region 8 bis 10 Tonnen CO2 pro Jahr." Um diese Zahl zu verdeutlichen, ergänzt die Umweltexpertin: „Damit kompensieren die Anbauer auf jedem Hektar und an jedem Tag den CO2-Aussstoß von acht Autos. Auch das ist ein Beitrag zum Klimaschutz, der neben dem positiven Temperatureffekt mit den Solargewächshäusern möglich ist", macht Martín abschließend deutlich.
Aránzazu Martín im Kurzinterview:
Frage: Für welche Behörde sind Sie tätig und warum beschäftigen Sie sich dort mit den Solargewächshäusern?
Antwort: Ich eine Vertreterin des Ministeriums für Landwirtschaft, Viehzucht, Fischerei und nachhaltige Entwicklung der andalusischen Regierung und für die Provinz Almería zuständig. Solargewächshäuser sind ein wichtiger Motor für Andalusiens Wirtschaft und ein führendes Produktionsmodell in Sachen Umweltmanagement und Nachhaltigkeit auf internationaler Ebene. Mein klares Ziel ist es, alles dafür zu tun, dass so viele Bauernfamilien wie möglich ihre hervorragende Frischobst- und Gemüseproduktion auf immer nachhaltigere und umweltfreundlichere Weise weiter verbessern können.
Was zeichnet die Solargewächshäuser aus Ihrer Sicht besonders aus?
Sie ermöglichen es auf kleiner Fläche, Einkommen zu erwirtschaften, die Umwelt und die natürlichen Ressourcen zu schonen, dem Klimawandel entgegenzuwirken und dabei den europäischen Markt im Winter sehr effizient mit hochwertigem und frischem Obst und Gemüse zu versorgen.
Sie erwähnten eine immer nachhaltigere und umweltfreundlichere Obst- und Gemüseproduktion. Können Sie das mit einem Beispiel erläutern?
Der „Wasser-Fußabdruck" der Gartenbauprodukte aus Almería und Granada ist 19-mal kleiner als der durchschnittliche Wert für die spanische Landwirtschaft insgesamt. Dazu tragen die Solargewächshäuser, die Tröpfchenbewässerung und die Sammlung bzw. Wiedernutzung von Regenwasser sehr effektiv bei.
Über CuTE SOLAR:
CuTE Solar (Cultivating the Taste of Europe in Solar Greenhouses) ist eine von der Europäischen Union (EU) mitfinanzierte Informations- und Förderkampagne, die vom Dachverband andalusischer Obst- und Gemüseanbauverbände APROA-Spanien, dem branchenübergreifenden spanischen Obst- und Gemüseverband HORTIESPAÑA und dem europäischen Obst- und Gemüseproduktions- und Handelsverband EUCOFEL getragen wird. Ziel der Informations- und Förderkampagne ist es, Verbraucher über die nachhaltigen und umweltfreundlichen Produktionsmethoden in den Solargewächshäusern zu informieren. Insbesondere geht es dabei um die Produktqualität und die Anbaumethoden für Obst und Gemüse aus der EU, basierend auf dem Respekt vor Mensch und Umwelt. Die Kampagne läuft bis 2022 in den Zielländern Belgien, Deutschland und Spanien.
Text: Andreas Frangenberg | a.frangenberg@factum-est.de
Wirtschaft | Lieferkette & Produktion, 13.01.2021
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