Das Problem der Lebensmittelüberschüsse lösen
Impact-orientierter Seriengründer Alexander Piutti im Interview
Eine Krebs-Fehldiagnose im Jahr 2014 als einschneidender und persönlicher Moment in seinem Leben und die Geburt seines ersten Kindes im Jahr 2015 gaben Alex Piutti den Anstoß dazu, seine Erfahrungen als Unternehmer und Start-up-Gründer für eine gerechtere und nachhaltigere Welt einzusetzen. Seither engagiert sich Alex für die Lösung des weltweit ungelösten Problems der Lebensmittelverschwendung.
Herr Piutti, Ihr Start-up
SPRK.global widmet sich dem Problem der Lebensmittelüberschüsse – können Sie
etwas genauer erzählen, was ihr bei SPRK macht?
Unsere
Ziel ist, die Lebensmittelverschwendung in der Lieferkette massiv zu
reduzieren. Alleine in Deutschland werden pro Jahr 12 Mio. Tonnen Lebensmittel
vergeudet. Eine unvorstellbare Zahl. 60 Prozent der Lebensmittelüberschüsse,
die in der Tonne landen, fallen am Anfang und in der Mitte der Lieferkette an –
hier wollen wir ansetzen und zwar im Schulterschluss mit den Akteuren der
Lieferkette. Kurz- und mittelfristig geht es darum, die überschüssigen aber
bestens genießbaren Lebensmittel umzuverteilen oder zu verarbeiten. Langfristig
sollen die Überschüsse deutlich reduziert werden.
Wie soll das gelingen?
Wir
verwenden dazu eine Plattform unter Einbeziehung von KI. Dort werden die
Teilnehmer der Lieferkette – also Produzenten, Groß- und Einzelhändler,
verarbeitende Betriebe und gemeinwohlorientierte Organisationen – als Abnehmer
angeknüpft und vernetzt. Mit Hilfe von zuvor abgestimmten Regelwerken und
nahezu in Echtzeit wird ermittelt, bei wem wann welche Art von
Lebensmittelüberschüsse anfallen und welche Abnehmer welchen Bedarf haben. Mit
der Zeit erkennt die Technologie Muster, sie lernt mit und kann zielgenau für
die Umverteilung der Lebensmittel sorgen. So können langfristig Überschüsse reduziert
werden.
Das klingt ja fast zu schön, um wahr
zu sein?
Nur
auf den ersten Blick. Wir müssen uns erlauben groß zu denken, wollen wir die
großen Probleme lösen und da gehört Lebensmittelverschwendung in der
Lieferkette ganz klar dazu. Ob es um Armut oder Hunger geht, um die Vergeudung
wertvoller Ressourcen wie Wasser und Boden oder um den Schutz des Klimas – im
Bereich Lebensmittel gibt es einen großen Hebel direkt vor unseren Augen, wir
müssen ihn nur nutzen.
… und wie genau gestaltet sich das?
Indem
wir die überschüssigen Lebensmittel als einen Sekundärmarkt betrachten, der
aktuell noch nicht bedient wird.
Also geht es am Ende um Zahlen?
Es
geht vor allem um messbaren Impact: Vermeiden wir, dass Millionen von Tonnen an
Lebensmitteln verschwendet werden, sparen wir zugleich Millionen von Tonnen an
unnötigen CO2 Emissionen ein. Grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass das
Potenzial nachhaltigen Wirtschaftens größer ist und werden kann als das, was
wir aktuell als klassisches Industriepotential wahrnehmen.
Natürlich sind Zahlen dabei wichtig – vor allem, wenn es um die Ermittlung der überschüssigen Lebensmittel geht und darum, Angebot und Nachfrage zusammenzubringen. Es geht schließlich um riesige Volumina und letztlich auch um signifikante Entsorgungskosten, die der Handel einspart, wenn die Lebensmittelsüberschüsse sinnvoll umverteilt oder verarbeitet werden.
Sind die Entsorgungskosten das
ausschlaggebende Argument, mit dem Sie Handel und Produzenten auf Ihre Seite
ziehen wollen?
Wir
wollen nicht nur, wir haben auch schon wichtige Handelspartner für uns gewinnen
können. Bevor wir mit SPRK offiziell im März 2020 gestartet sind, haben wir
unser Konzept getestet. Gut fünf Jahre lang bin ich in die Welt der
Lebensmittelwirtschaft eingetaucht, habe mit unterschiedlichen Stakeholdern
gesprochen und recherchiert. Ich habe immer mehr verstanden, wie das System
funktioniert, was beachtet werden muss. Wir sind stolz darauf, dass uns einige
Händler und Abnehmer ihr Vertrauen bereits schenken. Im Berliner Umfeld konnten
wir bislang rund 69 Tonnen Lebensmittel verarbeiten oder umverteilen, 35 Tonnen
davon alleine an gemeinnützige Organisationen in Berlin, darunter auch SOS
Kinderdorf, Straßenkinder e.V. und die Kinderstiftung die Arche.
Da würde ich gerne nachhaken – was
genau haben Sie gelernt?
Lange
bevor die Technologie zum Einsatz kommt, geht es vor allem darum, Beziehungen
zu den Entscheidern in der Lieferkette aufzubauen, Vertrauen zu schaffen und in
einen intensiven Dialog einzutreten. Letztendlich kann das Problem der
Lebensmittelverschwendung in der Lieferkette nur partnerschaftlich gelöst
werden. Die Lieferkette muss dabei klare wirtschaftliche Vorteile vor Augen
haben, wie Kostenersparnis, Umsatzwachstum, oder Produktdifferenzierung.
Ich habe zum Teil sechs bis neun Monate auf ein Treffen mit Entscheidern gewartet, aber das Warten hat sich gelohnt. In der Konsequenz habe ich als Familienvater seit 2015 ohne Gehalt gelebt und privat in das SPRK-Vorhaben investiert. Volle Überzeugung, volles Risiko. Ohne Plan B. Oft hing das Vorhaben in den letzten zwei Jahren am seidenen Faden: keine externe Finanzierung, wachsende Logistikanforderungen und dynamisches Agieren im Corona-Kontext. Dabei habe ich Federn gelassen. Wenn ich allein an die Gespräche beim Abendbrot denke, wo es darum ging, ob ich mich verrannt habe und wie lange das mit der Eigenfinanzierung noch gehen kann – da kommt man schon ins Grübeln. In der Zeit habe ich eine Menge über mich selbst gelernt und wie ich die Gratwanderung zwischen Risiko, Überforderung und Chance meistern kann. Ich bin froh, dass SPRK durch die Skalierung und den Erfolg nun in ein sicheres Fahrwasser gekommen ist.
Sie gehen das Thema vor allem aus
der technologischen Perspektive an. Hat das beim Kontaktaufbau geholfen?
Absolut.
Ich bin Ingenieur der Elektrotechnik mit Fachrichtung Automatisierung. Später
habe ich meinen MBA an der Wharton School in Philadelphia gemacht, mit Fokus
auf Entrepreneurship. Das ist ja auch der Kern von SPRK: Einsatz von High-Tech
im Kontext eines innovativen Lösungsansatzes, an einer Stelle wo es nichts
Vergleichbares gibt. Das macht es unglaublich spannend, insbesondere wenn man
KI dazu nimmt als Lösungsbeschleuniger. Ich habe seit den 90er Jahren eine
Reihe von Technologie Start-ups gegründet und geholfen, entsprechende Vorhaben
zu skalieren. Das hat unterm Strich gut funktioniert, wenn auch mit
Bodenwellen.
Herr Piutti, sie sind ausgebildeter
Ingenieur, haben über 20 Jahre lang Tech-Companies mit aufgebaut, nun widmen
Sie sich dem Thema Lebensmittelverschwendung & Klimaschutz – woher der
Sinneswandel?
2014
hatte ich eine Krebs-Fehldiagnose, ein Jahr später wurde unsere Tochter
geboren. Das waren zwei einschneidende Erlebnisse, die zugleich ein Weckruf
waren. Ich habe mich gefragt, was ich aus meinem Leben machen möchte. Ich fühle
mich als Gründer und Innovator super wohl, aber es hat mir etwas gefehlt. Und
dann bin ich eher durch Zufall auf das Thema Lebensmittelverschwendung in der
Lieferkette gestoßen, das hat mich seitdem fasziniert und nicht mehr
losgelassen – weil ich fest davon überzeugt bin, es stellt enormes Potenzial
dar und ist lösbar.
Von heute auf morgen wird das
allerdings nicht klappen, oder?
So
traurig es auch in der aktuellen Pandemie ist – Covid hat uns tatsächlich in
die Karten gespielt. Bedingt durch den plötzlichen Lockdown im März 2020 haben
viele Hotels, Catering-Services und Restaurants Massen an Lebensmitteln aus den
Lagern der Großhändler nicht mehr abgerufen. Diese Chance haben wir ergriffen
und kurzerhand mit verschiedenen Partnern in Berlin aus dem Problem eine Lösung
gemacht. So konnten wir Tonnen an Lebensmitteln schnell umverteilen und die
Lager so leer bekommen. Optimahl-Catering ist als Partner seit Beginn an
unserer Seite und hat freie Kapazitäten dafür genutzt, um uns zu unterstützen.
So konnten wir in kurzer Zeit ein Berlin-weites Netzwerk aufbauen und zeigen:
es geht. Damit wird auch vorstellbar, dass es im großen Stil funktionieren
kann. Dafür treten wir an.
Wo soll die Reise hingehen?
Es
ist in Deutschland nicht üblich, groß zu denken. Jedoch oft gefordert – dann wiederum belächelt. Wir haben den Mut, große Zahlen
auszusprechen und gehen gern in einen Dialog zu Annahmen, Logik und
Plausibilisierung. So haben wir im Sommer 2020, quasi in der Corona-Hochzeit,
16 Investoren überzeugt, einen siebenstelligen Betrag in das Vorhaben zu
investieren, u.a. Industrie-Insider wie das Haas Family Office aus Österreich,
Corporate Executives wie Samsung Electronics President Young Sohn,
Gründerkollegen wie Christian Vollmann als auch nachhaltig-orientierte
Investoren wie der Fußball-Profi Mario Götze.
Im Januar 2021 haben wir eine Modellrechnung für die nächsten zehn Jahre erstellt. Im Ergebnis kommen wir auf 15-17 Millionen Tonnen vermiedener Lebensmittelüberschüsse über die Landesgrenzen von Deutschland hinaus. Das entspricht einem Vermeidungspotenzial von ca. 40 Millionen Tonnen unnötiger CO2-Emissionen. Das wäre ein gigantischer Effekt und würde die berühmte Nadel bewegen. Das geht nur mit Hilfe einer mächtigen und skalierfähigen Technologie-Plattform.
Neben der Umverteilung möchten wir Lebensmitteln auch ein zweites Leben schenken, indem wir sie zu neuen Produkten verwandeln. Aus Europaletten an Tomaten kann Tomatensuppe als B2B-Vorprodukt oder Ketchup für Konsumenten entstehen, Fleisch können wir zu Buletten verwandeln und z.B. eingefroren deutlich länger haltbar machen. Durch die Transformation in neue Lebensmittel schaffen wir ein neues Mindesthaltbarkeitsdatum. Zugleich stellen wir nachhaltige Produkte her, die auch von Handels-Abnehmern und Verbrauchern immer stärker nachgefragt werden. Zurück im Regal profitieren davon alle. Das ist gelebte Kreislaufwirtschaft. Wie wunderbar wäre es, dies im großen Stil zu skalieren. Das schönste Feedback, was wir oft hören ist "sag mal, warum gibt es das nicht schon?”
Was brauchen Sie, damit SPRK zum
Erfolg wird?
Wir
arbeiten daran, dass der Funke unserer Idee überspringt auf die gesamte
Lieferkette und eine Bewegung entsteht – in Berlin und Deutschland. Unsere
Technologie kann weltweit eingesetzt werden, daher können wir uns gut
vorstellen, den Ansatz auch in anderen europäischen Ländern, den USA oder Asien
zu verbreiten. Wichtig ist dafür, dass wir partnerschaftlich mit dem Handel und
den Produzenten zusammenarbeiten. Es geht darum Brücken zu schlagen, die stabil
sind. Dafür freuen wir uns über neue Partner wie Agrarbetriebe, Produzenten und
Lieferkettenpartner, die sich gemeinsam mit uns auf die Reise begeben und die
Lösung hochfahren. Um das alles zu ermöglichen, starten wir demnächst eine
weitere Finanzierungsrunde.
Alexander Piutti ist ein Impact-orientierter Seriengründer, Angel-Investor und Innovationscoach. Alex liebt zwei Dinge: Innovationen und die enge Zusammenarbeit mit ambitionierten und kreativen Köpfen. Dies führte dazu, dass Alex mehrere Technologie- und Impact-Unternehmen aufbaute, darunter Global Venture Partners, Overture (verkauft an Yahoo! für $1,6 Mrd.), GameGenetics, Bjooli, SirPlus, Rehago und zuletzt SPRK.global.
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