Mitte Altona
Inklusiv von Anfang an
Diesen Beitrag von Michael Wulf, Bauverein der Elbgemeinden eG, finden sie im B.A.U.M.-Jahrbuch 2020 - Nachhaltige Stadt. Unternehmen als Akteure im urbanen Raum.
Mitte Altona gehört zu den größten Stadtentwicklungsprojekten Hamburgs: Auf einem ehemaligen
Eisenbahngelände entstehen rund 3.500 neue Wohnungen sowie Gewerbeflächen, Kitas und eine
Schule mitten im zentralen Stadtteil Altona. Von Anfang an wurde Mitte Altona als inklusives Quartier
geplant – eine Premiere in der Hansestadt. Das Ziel ist, ein Viertel zu schaffen, in dem jeder Mensch
am Leben teilhaben kann, und zwar unabhängig von seinen Fähigkeiten, körperlicher Verfassung,
Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung und Alter.
Während der gesamten Planungsphase wurden die Bürger*innen an der Entwicklung von Mitte Altona
beteiligt. Sehr früh zeigte sich, dass sie sich ein möglichst vielfältiges Viertel wünschen. Im Masterplan für
Mitte Altona wurde deshalb als Nutzungskonzept ein „familienfreundliches, durchmischtes Quartier" mit
„verschiedenen Wohnformen und vielfältigen Arbeitsplätzen" festgelegt. Seit 2012 arbeitet die Initiative
Q8 der Evangelischen Stiftung Alsterdorf und der Nordmetall-Stiftung daran, diese Forderung mit Leben
zu füllen. Sie hat dafür das Forum „Eine Mitte für Alle" ins Leben gerufen, ein offenes Gremium aus
Bewohner*innen, Bauinteressierten, Sozialverbänden und Vereinen. Es trifft sich zweimal im Jahr, um
Empfehlungen für Mitte Altona zu erarbeiten. Diese gibt Q8 an die Eigentümer*innen weiter. So wird
die Entwicklung des neuen Quartiers als Ort der Inklusion begleitet. Zu den Anforderungen gehört, dass
- öffentliche Räume barrierearm zu gestalten sind,
- die Kitas im Quartier inklusiv sein müssen,
- ein Quartiersmanagement eingerichtet wird und
- fünf bis zehn Prozent der Flächen für Integrationsprojekte zur Verfügung stehen.
Als sichtbarer Ausdruck der sozialen Vielfalt werden die Fassaden der Häuser in Mitte Altona möglichst
abwechslungsreich gestaltet. Jedes soll einen eigenen Charakter erhalten. Die Wohnungen im Quartier
entstehen im Drittelmix, der in Hamburg mittlerweile die Regel ist: je ein Drittel geförderte Mietwohnungen, frei finanzierte Mietwohnungen und Eigentumswohnungen.
Der Bauverein der Elbgemeinden eG (BVE) hat in Mitte Altona zwei Gewerbeeinheiten und 89
Wohnungen gebaut, 79 davon öffentlich gefördert. Die Gewerbeeinheiten vermietet der BVE an
den Verein „Leben mit Behinderung". Dreizehn der neuen Wohnungen sind der Baugemeinschaft
„Flickwerk" vorbehalten – einer Gruppe von Menschen, die sich zusammengetan haben, um gemeinsam
ein Bauprojekt für den eigenen Bedarf zu realisieren. In diesem Fall bleibt der BVE Eigentümer des
Gebäudes und vermietet an die Mitglieder der Baugemeinschaft.
„Flickwerk" setzt sich zusammen aus Familien mit mehreren Kindern, Alleinerziehenden, Paaren
und Singles. Die Mitglieder möchten ihren Alltag ressourcenschonend organisieren, indem sie zum
Beispiel so weit wie möglich Dinge teilen, anstatt alles neu zu kaufen. Mit einer Food-Coop wollen sie
Betriebe aus der Region unterstützen. Wenn ein Mitglied der Baugemeinschaft auszieht, hat diese ein
Vorschlagsrecht für die Nachmieterin oder den Nachmieter.
In Mitte Altona ist ein ganzes Baufeld Baugemeinschaften vorbehalten. Darunter sind ein interkulturelles
Wohnprojekt für Senioren sowie eine Baugemeinschaft für Blinde, Sehbehinderte und Sehende. Um Eigentümer, Bauherren und Baugemeinschaften zusammenzubringen, hat die Hamburger Behörde
für Stadtentwicklung und Wohnen eine Agentur eingerichtet. Sie führt Informationsveranstaltungen
durch, veröffentlicht passende Grundstücksausschreibungen und bringt Bauherren und -gemeinschaften
zusammen – so auch „Flickwerk" und den BVE.
Auch in Hamburg gibt es Siedlungen, die sehr deutlich zeigen: Wenn zu viele Menschen mit ähnlichen
Voraussetzungen in einem Quartier zusammenleben, entstehen kaum stabile Nachbarschaften. Deshalb
achten heute sowohl die Stadt als auch die Wohnungsunternehmen darauf, die Quartiere überall gut
zu durchmischen. Geförderte Wohnungen und Wohnungen mit Belegungsrechten werden über das
gesamte Stadtgebiet verteilt. Wenn Grundstücke vergeben werden, sollte nicht der Preis entscheiden,
sondern das Konzept. Solide Maßnahmen zahlen sich aus.
Niemanden von vornherein ausschließen
„Flickwerk" ist nicht die erste Baugemeinschaft in den Häusern des BVE. Denn die Erfahrung zeigt,
dass diese Gruppen sich gut integrieren und engagiert einbringen. Als Genossenschaft muss der BVE
in Zeiträumen von 75 bis 100 Jahren denken. Ziel ist es, dauerhaft funktionierende Nachbarschaften
und Quartiere zu schaffen. Deshalb baut der BVE heute grundsätzlich so, dass keine Menschen oder
Nutzungen von vornherein ausgeschlossen sind. Alle Maßnahmen sind dafür ausgelegt, dass die Häuser
über diesen langen Zeitraum und von vielen Menschen gut zu nutzen sind.
Innerhalb der Genossenschaft spielt in dieser Hinsicht die Vermietungsabteilung eine zentrale Rolle.
Sie behält im Auge, ob die Menschen in die Nachbarschaft passen, und dass eine gute Mischung
geschaffen wird. Wenn das akzeptiert und toleriert wird, ist es ein Gewinn für alle.
Michael Wulf ist einer von zwei Vorständen des Bauvereins der Elbgemeinden eG (BVE). Dieser besteht seit 1899
und verfügt über einen Bestand von mehr als 14.000 Wohnungen in Hamburg und im Umland und zählt rund
22.000 Mitglieder. Damit ist er die größte Wohnungsgenossenschaft der Stadt und die drittgrößte bundesweit.
Quelle: B.A.U.M. e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
Gesellschaft | Green Cities, 01.12.2020
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