Was macht nachhaltiges Bauen wirklich aus?
Von grauer Energie und klimarobusten Gebäuden
Die Frage, was nachhaltiges Bauen wirklich ausmacht, stand im Mittelpunkt der Entwicklung der Bewertungskriterien für den vom Umweltbundesamt 2020 erstmals ausgelobten Bundespreis UMWELT & BAUEN. Dabei ist klar: Der Energiebedarf im Gebäudebetrieb ist nicht allein entscheidend.
Immer noch bringt man nachhaltiges Bauen überwiegend mit der Minimierung des Energiebedarfs in Verbindung: Wer energiesparend baut, baut auch nachhaltig. Nachhaltiges Bauen umfasst aber weitaus mehr. Um ein klimaneutrales Gebäude zu erreichen, ist die Art der Energieversorgung und der Anteil der erneuerbaren Energien mitentscheidend. Und auch die sog. graue Energie muss in die Gesamtbilanz zum Nachweis der Klimaneutralität einbezogen werden.
Was ist graue Energie?
Hinter dem Begriff verbirgt sich die Energie, die für die
Gewinnung von Rohstoffen, zur Erzeugung von Baustoffen
und Herstellung von Bauprodukten aufgewendet werden
muss, aus denen ein Gebäude besteht. Hierzu gehören
Beton, Bewehrungsstahl, Glas, Kunststoffe, Holz, Dämmstoffe, Beschichtungen wie Farben oder Lacke – um nur
einige der Stoffe zu nennen, die im Bauprozess zum Einsatz
kommen. Der Anteil dieser hierfür aufgewendeten Energie kann bis zu 50 Prozent des gesamten Energiebedarfs
betragen. Und je weniger Energie der Gebäudebetrieb
benötigt, desto größer kann der Anteil der grauen Energie
an der Gesamtmenge sein. Wird die graue Energie minimiert, führt dies gleichzeitig zur Reduzierung der grauen
Emissionen und damit auch der Treibhausgase (gemessen
an der emittierten CO2e-Menge), die den Klimawandel
maßgeblich bestimmen.
Mit der Methode der Ökobilanzierung wird auch die graue
Energie erfasst. Vom Bundesbauministerium werden den
Planenden und Beratenden zur Berechnung dieser Bilanz
sowohl die Datenbank Ökobaudat mit ca. 800 Baustoffdaten
wie auch das Online-Berechnungstool eLCA kostenfrei zur
Verfügung gestellt.
Kreislaufgerecht bauen
Weitere Aspekte, die bei der Planung, Realisierung und
dem Betrieb nachhaltiger Gebäude berücksichtigt werden,
basieren auf dem Prinzip, den gesamten Lebenszyklus eines
Gebäudes zu betrachten. Dies bedeutet, kreislaufgerecht zu
bauen und damit heute bereits den späteren Rückbau der
Gebäude mit zu planen oder bereits Baustoffe oder Bauteile
bereits rückgebauter Gebäude zu verwenden.
Selbstverständlich sollten auch nur Baustoffe und Bauprodukte zum Einsatz kommen, die keine besonders kritischen Stoffe
enthalten und freisetzen. Dies schont nicht nur die Umwelt,
sondern sorgt auch für eine optimierte Raumluftqualität
für die Nutzer und Nutzerinnen der Gebäude. Nachhaltiges
Bauen hilft somit auch, Risiken zu minimieren, die u.a. durch
eine falsche Baustoffwahl entstehen können.
Klimarobust und nutzergerecht bauen
Weitere Aspekte, die heute nachhaltige Gebäude auszeichnen, sind die Berücksichtigung der Folgen des Klimawandels
und das Bemühen, bislang selbstverständliche Nutzeransprüche zu hinterfragen und neu festzulegen. Resiliente Gebäude
sind in der Lage, auf Wetterereignisse zu reagieren, die durch
den Klimawandel verursacht werden, und sich entsprechend
„klimarobust" zu verhalten. Dies schließt Risikoanalysen des
Standortes und zukünftige Klimadaten ein.
Nachhaltige Gebäude können auch mit einfachen und robusten Lösungen realisiert werden. Suffizienz als Maß für eine
angemessene Bedarfsermittlung hilft, eigene Ansprüche realistisch zu bewerten und zu hinterfragen und sich einem im
Lauf der Zeit verändernden Bedarf anzupassen. Ein Beispiel
hierfür ist die Wohnfläche pro Person, die in den letzten 30
Jahren um nahezu ein Drittel zugenommen hat.
Beispielhafte Lösungen
Die im Bundespreis UMWELT & BAUEN mit einem Preis oder
einer Anerkennung ausgezeichneten Projekte zeigen, wie
innovative Lösungen unter Berücksichtigung aktueller Nachhaltigkeitszielsetzungen realisiert werden können. Beispielhaft hierfür ist die Berliner Wohnbaugesellschaft HOWOGE,
deren Gebäudeensemble den Bundespreis in der Kategorie
Wohngebäude erhalten hat. Nachhaltige Quartiere
zeichnen sich nicht nur durch eine hohe Energieeffizienz
und durch gute Umweltqualitäten im Sinne eines städtischen
Umweltschutzes aus, sondern beziehen bereits in der Konzeptfindung mit innovativen Prozessen und Instrumenten –
beispielsweise durch Dialogforen – Bauherren, Nutzerinnen
und Nutzer sowie Anwohnerinnen und Anwohner ein, wie
z.B. im Quartier WIR in Berlin Weißensee.
Gebaute Beispiele für den Einsatz von Recyclingbaustoffen
oder die Wiederverwertung ganzer Bauelemente sind drei
Projekte, die mit einer Anerkennung ausgezeichnet wurden:
Die Umweltstation in Würzburg ist das erste öffentliche Bauvorhaben in Bayern, bei dem Recyclingbeton zum Einsatz
kam. Der Neubau der Stadtwerke Neustadt in Holstein zeichnet sich durch die Verwendung von gebrauchten Bauteilen,
Recyclingbaustoffen sowie nachwachsenden Rohstoffen
aus. Das Recyclinghaus in Hannover schließlich verwendet
nahezu ausschließlich Recycling- und Gebrauchtmaterialien
und zeigt die Möglichkeiten und Potenziale, die mit einer
kreislauforientierten und ressourcenschonenden Planung
erreicht werden können.
„Die wichtigsten Informationen zu allen Preisträgern und Auszeichnungen wie auch die Aufzeichnung der Preisverleihung sind auf der Website des Umweltbundesamts zusammengestellt."
Thomas Rühle ist Prokurist im Öko-Zentrum NRW. Der Bauingenieur verfügt über
langjährige Erfahrung als Berater. Er ist u.a. DGNB Senior Auditor
und Energieauditor BAFA.
Quelle: B.A.U.M. e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
Technik | Green Building, 01.12.2020
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