Klare Zielvorgabe: Klimaneutraler Beton
Wie ist klima- und ressourcenschonende Baustoffproduktion möglich?
Der CO2-Fußabdruck der Baustoffindustrie ist derzeit noch erheblich, mit eine der größten Herausforderungen ist die Dekarbonisierung der Zementindustrie. Das Reallabor-Projekt WESTKÜSTE100 in Schleswig-Holstein testet die Verzahnung unterschiedlicher Stoffkreisläufe.
Der CO2-Fußabdruck der Baustoffindustrie ist derzeit noch
erheblich; innovative Produkte und Lösungen ermöglichen
jedoch, schneller und effizienter zu bauen und dabei die Auswirkungen auf die Umwelt zu reduzieren. Klimaneutralität
in der Wertschöpfungskette Bau ist ein wichtiges Ziel. Zum
nachhaltigen Bauen gehören aber auch Ressourceneffizienz
sowie das Denken in Stoffkreisläufen und Lebenszyklen von
Bauwerken. Alle Akteure in der Wertschöpfungskette Bau
sind aufgefordert, ihre Beiträge zum Klimaschutz und zur
Ressourceneffizienz zu leisten.
Dekarbonisierung der Zementindustrie
Ohne Zement gibt es keinen Beton. Die Hauptansätze zur
Reduktion von CO2-Emissionen in der Zementproduktion
sahen bislang wie folgt aus: Steigerung der Effizienz bei der
Verwendung von thermischer und elektrischer Energie, Substitution des gebrannten Zwischenprodukts Zementklinker
durch andere Stoffe sowie Substitution fossiler Brennstoffe
durch energetische Verwertung alternativer Brennstoffe mit
Biomasseanteil.
Ein wirksamer Hebel zur CO2-Reduktion ist auch der Einsatz
von hüttensandhaltigem Zement. Doch genügt dies nicht,
um die Zementproduktion nachhaltig umzubauen, denn
beim Brennen von Zementklinker entweicht prozessbedingt
weiterhin viel CO2 aus dem Rohmaterial. Um Zement noch
emissionsärmer herzustellen, sind neue Technologien und
sektorenübergreifende Lösungen notwendig – Allianzen
mit den Bereichen Grüne Energie, Wasserstoffproduktion,
Wärme, Grundstoffindustrie oder Mobilität.
Reallabor-Projekt WESTKÜSTE100
2019 hat sich in Schleswig-Holstein die branchenübergreifende Partnerschaft WESTKÜSTE100 gebildet. Mit dabei
sind EDF Deutschland, Holcim Deutschland, OGE, Ørsted, Raffinerie Heide, Stadtwerke Heide, thyssenkrupp Industrial
Solutions und Thüga, außerdem die Entwicklungsagentur
Region Heide und die Fachhochschule Westküste. Ziel der
Partnerschaft ist, aus Offshore-Windenergie grünen Wasserstoff zu produzieren und die dabei entstehende Abwärme
zu nutzen. Im Anschluss soll der Wasserstoff sowohl für
die Produktion klimafreundlicher Treibstoffe für Flugzeuge
eingesetzt als auch in Gasnetze eingespeist werden. Bei der
Treibstoffproduktion ohne fossile Brennstoffe wird unvermeidbares CO2 aus der regionalen Zementproduktion für
den Herstellungsprozess verwendet. Anfang August 2020
erhielt WESTKÜSTE100 die Förderzusage des Bundeswirtschaftsministeriums.
Das Besondere und Innovative an diesem Reallabor-Projekt
ist die Verzahnung unterschiedlicher Stoffkreisläufe innerhalb
einer bereits bestehenden regionalen Infrastruktur. So soll
die Dekarbonisierung von Industrie, Mobilität und Wärmemarkt zunächst getestet und anschließend bis Ende des
Jahrzehnts in eine großindustrielle Lösung skaliert werden.
Damit wird das Zementwerk Lägerdorf zu einem der weltweit ersten Net-Zero-Zementwerke: CO2 wird dann aus der
Klinkerproduktion abgeschieden und als Rohstoff in anderen
Wirtschaftssektoren eingesetzt. Fachleute sprechen hier von
Carbon Capture and Usage (CCU).
Verstärkte Zusammenarbeit entlang der
Wertschöpfungskette
Um das nachhaltige Bauen zu fördern und den CO2-Fußabdruck spürbar zu reduzieren, sind neben weiteren Anpassungen in der Zementproduktion auch im Produktportfolio der
Zemente, Betone und Betonfertigteile selbst Veränderungen
notwendig. Durch eine verstärkte Zusammenarbeit entlang
der Wertschöpfungskette müssen vor allem Planer und Architekten sowie Investoren für das Thema „CO2-Reduktion am
Bauteil" sensibilisiert werden. Denn bei der Ökobilanzierung
von Gebäuden ist der Baustoff insbesondere für die Bauphase ein entscheidender Einflussfaktor. Daher kann hier
ein bedeutender Beitrag zur Steigerung der CO2-Effizienz
von Gebäuden und Infrastrukturbauten über den gesamten
Lebenszyklus geleistet werden.
Beton, Betonfertigteile und optimiertes Design
Die Senkung des CO2-Gehalts von Betonen ist technisch noch
nicht an ihre Grenzen gekommen, doch Normen und Vorschriften erlauben nicht, die technischen Möglichkeiten voll
auszuschöpfen. So bleibt auf dem Weg zum klimaneutralen
Beton derzeit nur, die Rezepturen bestmöglich zu optimieren
und noch unvermeidbare CO2-Emissionen durch die Unterstützung verschiedener zertifizierter Umweltprojekte zu
kompensieren. Auch das Bauen mit Betonfertigteilen trägt zum nachhaltigen
Bauen bei. Es spart wie keine andere Bauweise Zeit und
Ressourcen auf der Baustelle, denn die industrielle, aber
individuelle Maßfertigung in der Halle ist kaum fehleranfällig,
und auf der Baustelle fällt kein Verpackungsmüll an.
Eine weitere Lösung ist, die Bauteile im Design weiter zu
optimieren und die benötigte Betonmenge bei gleicher Lastausnutzung um bis zu 75 Prozent zu verringern. So lassen
sich etwa leistungsfähige dünne Betonplatten aus hochfestem Beton produzieren, die mit vorgespanntem Carbon
anstelle von Stahl bewehrt sind. Dadurch wird die Eigenlast
des Bauwerks massiv reduziert und der Transportaufwand
sinkt deutlich. Durch den zusätzlichen Einsatz CO2-armer
Zemente wird der CO2-Gehalt im Vergleich zu konventionell
mit Portlandzement hergestellten Stahlbeton-Bauteilen auf
nur 12 Prozent gesenkt.
EPDs – eine wichtige Grundlage für die
Nachhaltigkeitsbewertung von Bauwerken
EPD steht für Environmental Product Declaration. Eine EPD beschreibt Baustoffe, Bauprodukte oder Baukomponenten im Hinblick auf ihre Umweltwirkungen auf Basis von Ökobilanzen sowie
ihre funktionalen und technischen Eigenschaften. Diese quantitativen, objektiven und verifizierten Informationen beziehen sich auf
den gesamten Lebenszyklus des Bauprodukts und sind als international akzeptiertes Format von den gängigen Gebäudezertifizierungssystemen (DGNB, BNB, LEED, BREEAM) anerkannt.
Im Rahmen des EPD-Programms des Institut Bauen und Umwelt
e.V. (IBU) können Unternehmen und Verbände Umwelt-Produktdeklarationen für ihre Produkte erstellen und in unterschiedlichen
Formaten veröffentlichen. Damit ist u.a. auch die automatische
Integration in weiterführende Software-Tools möglich. Als Typ III-Umweltkennzeichen ist die EPD bewusst nicht bewertend; sie stellt
die Daten bereit, die für die Ökobilanzierung und damit die ökologische Bewertung und Optimierung von Bauprojekten unabdingbar
sind. Sie basiert auf den internationalen Normen ISO 14025 und
EN 15804.
Beteiligte Akteure sind neben dem Hersteller selbst und dem IBU
als EPD-Programmbetreiber auch der Sachverständigenrat des IBU
sowie unabhängige Prüfer und die interessierte Öffentlichkeit. Das
gewährleistet Objektivität und Transparenz. |
Thorsten Hahn übernahm 2018 die Verantwortung für die Geschäfte des Baustoffproduzenten Holcim in Deutschland und in den Niederlanden. Er
engagiert sich darüber hinaus in verschiedenen Verbandsgremien
der deutschen Baustoffindustrie und ist zudem Vizepräsident des
europäischen Transportbetonverbandes ERMCO.
Quelle: BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
Technik | Green Building, 01.12.2020
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