Systemrelevant

Warum Wirtschaft ohne die Leistungen der Natur einpacken kann

Das World Economic Forum in Davos steht nicht im Verdacht, eine Vereinigung linker Ökos zu sein, die ein stark emotionalisiertes Verhältnis zu Tieren und Pflanzen haben. Wenn dieser Kreis nach mehr Verantwortung für den Schutz von Biodiversität ruft, sollten in allen Führungsetagen die Köpfe hochgehen.
 
© Pixabay, koachphillipAus dem Global Risk Report 2020 des World Economic Forum geht hervor, dass die größten Risiken für die Menschheit alle „grün" sind. Der Report kombiniert Eintrittswahrscheinlichkeit und Ausmaß von Risiken und stellt ganz oben auf die Liste folgende Gefahren: ein Versagen bei der Bekämpfung des Klimawandels, Extremwetterereignisse, Naturkatastrophen und den Verlust von Biodiversität. Deutlich schlagen diese nach Einschätzung des Forums selbst potenzielle Gefahren, die von Massenvernichtungswaffen, Cyberattacken oder zwischenstaatlichen Konflikten ausgehen.
Das alles lässt sich auch in Zahlen ausdrücken: Laut der World Meteorology Organisation (WMO) starben zwischen 1970 und 2012 pro Jahr im Schnitt circa 45.000 Menschen an den Folgen von Hitzewellen, Hochwasser, Wirbelstürmen und anderen Wetterextremen. Der „Global Report on Internal Displacement 2018" stellt fest, dass allein im Jahr 2017 18 Millionen Menschen vertrieben wurden, weil ihnen wetterbedingte Katastrophen ein Leben in ihrer Heimat unmöglich machten. Und nach Angaben der Munich Re sind seit 1980 bei Naturkatastrophen Schäden in Höhe von 5,2 Billionen US-Dollar entstanden, und der Trend der Schäden zeigt kontinuierlich nach oben. Dabei sind die gigantischen ökonomischen und humanitären Folgen von Pandemien, die auftreten, weil Menschen immer weiter in zuvor unberührte Naturräume vordringen, noch in keiner dieser Statistiken erfasst.
Warum spielt Biodiversität bei all diesen Gefahren eine so zentrale Rolle? Weil ohne sie auf diesem Planeten nichts geht! Beim Schutz von Biodiversität handelt es sich nicht nur um den Schutz von Tier- und Pflanzenarten aus Liebe zur Natur, sondern darum, die Funktionalität von Ökosystemen  sicherzustellen, deren Leistungen wir Menschen gar nicht, nur dürftig oder nur sehr, sehr teuer ersetzen können. Diese Ökosysteme regulieren das Weltklima (und damit auch das Wetter) über die Steuerung des globalen Wasserhaushalts und die CO2-Bindung, sie liefern Rohstoffe wie Holz oder Nahrungsmittel wie Fisch, sie stabilisieren Nährstoffkreisläufe und sie reinigen Luft und Wasser. 
 © WWF
Alle Wirtschaftssektoren sind von den Leistungen der Natur abhängig. Dass Industrien wie Forstwirtschaft, Fischerei, Landwirtschaft, Textilwirtschaft und Tourismus intakte Biodiversität brauchen, erklärt sich von selbst, sind sie doch auf die Verfügbarkeit pflanzlicher und tierischer Rohstoffe oder den Zugang zu attraktiven Naturräumen angewiesen. Wo aber ist der Bezug bei Banken, Versicherungen oder anderen Dienstleistern, in deren Wertschöpfungsketten natürliche Ressourcen keine Rolle spielen?
 
Alle hängen von der Natur ab
Hochwasser und Sturmfluten fordern immer mehr Opfer, weil wir natürliche Schutzzonen wie Auen, Mangroven und Riffe vernichtet haben. Nur weil diese Ökosysteme vernichtet waren, konnte Hurrikan Katrina in den USA einen Schaden von 150 Milliarden US-Dollar verursachen. Schlecht für Banken und Versicherungen.
Die Corona-Pandemie hat zur größten weltweiten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit geführt. Ihren Ursprung hat sie vermutlich in der Zerstörung intakter, tropischer Waldökosysteme, die Coronaviren erst mit Menschen in Berührung brachte. Menschen, die Zugang zu intakter Natur, sauberem Wasser und reiner Luft haben, werden seltener krank und schneller gesund. 70 Prozent aller Krebsmedikamente basieren auf Wirkstoffen aus der Natur, genau wie 118 der 150 am häufigsten in den USA verschriebenen Medikamente insgesamt. Damit wird Natur zum „geldwerten Vorteil" von Pharmaunternehmen, aber auch dem wichtigsten Mitarbeiter von Krankenversicherungen. Intakte Ökosysteme liefern also nicht nur wertvolle Rohstoffe, sie schützen auch Leben und Eigentum und puffern damit Risiken ab, die Finanzdienstleistungen teurer machen oder das Ausfallrisiko von Krediten erhöhen. Zu lange haben wir gedacht, Finanzmittel und Arbeitskraft wären die beiden Kapitalstöcke, die unsere Wirtschaftsleistung bestimmen. Langsam setzt  sich  die Erkenntnis  durch, dass diese Rechnung nicht ohne den dritten Faktor „Naturkapital" auskommt. Bislang wurde der Ge- und Verbrauch  dieses  Naturkapitals selbstverständlich und kostenlos in Anspruch genommen. Genau das hat zu der Übernutzung dieses Allgemeinguts geführt. Zwischen 1970 und 2016 haben die beobachteten Wirbeltierbestände um 68 Prozent abgenommen. Heute sind 96 Prozent aller Säugetiere auf diesem Planeten Menschen, Hausrinder und Hausschweine. Nur noch 4 Prozent sind wilde Säugetiere, zu denen ja Schwergewichte wie Blauwale, Elefanten und Bisons gehören. Pro Erdenbürger verlieren wir jährlich etwa 3,4 Tonnen fruchtbaren Boden, eine Ressource, auf der fast unsere gesamte Nahrungsmittelproduktion basiert. Es ist dringend nötig, dem Kapitalstock Biodiversität und Ökosystemleistungen einen Wert beizumessen, weil er so Einzug in Entscheidungsfindungsprozesse von Unternehmen und Gesellschaften findet. Kurz gesagt: Externe Kosten müssen internalisiert werden. Eine Möglichkeit besteht darin, Ökosystemleistungen einen Wert zuzuschreiben, sie quasi zu monetarisieren, wie es ein Team um den anerkannten Umweltökonom Robert Costanza seit einigen Jahren betreibt. Auch die 2007 im Umfeld des G8-Gipfels ins Leben gerufene TEEB-Initiative (The Economics of Ecosystems and Biodiversity) folgt diesem Ansatz. Sie kommen zu beeindruckenden Zahlen: Der monetäre Wert der globalen Ökosystemleistung liegt demnach bei etwa 145 Billionen US-Dollar jährlich und durch die oft kurzsichtigen, unüberlegten und dauerhaft schädlichen Eingriffe in die Natur wurden alleine zwischen 1997 und 2011 jährlich Ökosystemleistungen im Wert von 4,3 bis 20,2 Billionen US-Dollar vernichtet. Nur zum Vergleich: Das weltweite Bruttosozialprodukt, als Summe aller von Menschen produzierten Wirtschaftswerte, lag 2019 bei 86,6 Billionen US-Dollar. Natürlich, und das betonen auch die Macher solcher Studien, wird ein solches „Preisschild" nicht dem wahren Wert von Natur gerecht, aber es bietet in unserer durch Wirtschaftlichkeitskriterien geprägten Entscheidungswelt doch ein zusätzliches, gewichtiges Argument für ihren Schutz.
 
 
Immer mehr Firmen erkennen den Wert der Biodiversität und fördern sie auch auf ihrem Firmengelände. © BIG – Blühende Industriegebiete 
Die gute Nachricht
Die Gesellschaft begreift, wie wichtig der Schutz von Natur und Biodiversität für unser aller Leben ist, und sieht Unternehmen zunehmend in der Verantwortung, ihre Geschäftstätigkeit darauf hin zu hinterfragen. Wo bislang mit den Schultern gezuckt wurde, wenn es um Transparenz in der Wertschöpfung ging, soll es nun ein Lieferkettengesetz für mehr Transparenz und Kontrolle geben. Die unternehmerische Berichtslegung wird zukünftig neben CO2-Bilanzen sicherlich um solche für Biodiversität ergänzt werden. Doch selbst wenn die Forderung nach Transparenz und Internalisierung von Kosten nicht staatlicherseits geschieht, wird die Nachfragemacht der Konsumenten negative Auswirkungen auf Umwelt und Mensch immer weniger akzeptieren. Der Widerstand lokaler Gemeinden und Umweltverbände gegen Eingriffe in die Natur steigt. Das erleben heute schon Energiebetreiber und Bergbauunternehmen. Aus dem sorglosen Umgang mit natürlichen Ressourcen wird plötzlich eine Frage der zukünftigen Existenz. Wer erhält noch die Lizenz, sein Geschäft zu betreiben, wer die notwendigen Kredite dafür? Wer ist auf mögliche gesetzliche Neuregelungen vorbereitet und wessen Geschäfte lohnen sich dann noch?
Die gute Nachricht ist, dass wir nicht auf Wohlstand und Fortschritt verzichten, sondern lediglich Modelle der nachhaltigen Nutzung finden müssen, die die natürlichen Systeme ihre Arbeit tun lassen, ohne an ihrer Substanz zu graben. Und damit lassen sich wirklich gute Geschäfte machen. So ist der Ertrag in biodiversitätsfreundlichen Agroforstsystemen beim Anbau von Kakao doppelt so hoch wie der in Monokulturen. Durch den Verkauf von Holz, Obst und Gemüse steigt das Einkommen der Bauern zusätzlich. Stehende Wälder können über den Verkauf von CO2-Zertifikaten dauerhaft mehr Einkommen erzielen als gerodete Flächen für den einmaligen Holzverkauf und die oft nur kurzzeitig mögliche landwirtschaftliche Nutzung.
 
Nachhaltige Unternehmen haben die bisherigen Krisen verhältnismäßig gut überstanden. Wer in Zukunft also nicht aus dem Dax fliegen will, muss sich heute auch um den Dachs kümmern!
 
Frauke Fischer ist promovierte Biologin und gründete 2003 die Agentur »auf!«, die Unternehmen bei ihrem Engagement für Nachhaltigkeit, Klimaschutz und den Erhalt von Biodiversität berät.
 
Hilke Oberhansberg ist promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin, studierte Interdisziplinäre Umweltwissenschaften und arbeitet nach vielen Jahren in internationalen Konzernen nun im Bereich Umweltbildung- und beratung.

Lifestyle | Geld & Investment, 01.12.2020

     
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