Götzendämmerung
Kunst und KI als ästhetischer Diskurs im Zeitalter von Trans- und Posthumanismus.
Die hypermoderne Verschiebung der Aufmerksamkeit vom Künstler zum maschinellen Prozess, der den künstlerischen Akt zur Mittelwertermittlung von Datenstrukturen reduziert, ist vollzogen. Der KI-Prozess ist der neue Mythos.
Hatte der Künstler in der Spätmoderne den Fokus vom Kunstwerk auf den
Künstler selbst verschoben, sich selbst zum Kunstwerk erhoben und damit
seinen künstlerischen Akt zum Mythos manifestiert, droht ihm jetzt die
gänzliche Abschaffung. Selbst wenn der Künstler der erste Impulsgeber
und somit der Urheber ist, wird sich die KI langfristig gesehen davon
emanzipieren und die Urheberschaft wird sich verlagern.
Der Kunstmarkt jedenfalls reagiert bereits auf diese neue Situation. Das durch KI-Prozesse hergestellte Werk des französischen Kollektivs Obvious erzielte bei einer Auktion den Wert von über 400.000 $.
Der Mensch ist in ein neues, epochales Verhältnis zur Maschine eingetreten. Gleichzeitig wächst Kunst immer mehr in den Alltag des politisch-sozialen Raumes hinein und generiert ein neues Verhältnis zwischen Mensch und Maschine im ästhetischen Kontext. So entstehen ästhetische „Maschinen-Wesen". Sophia heißt die erste Robotermaschine, die die saudische Staatsbürgerschaft besitzt. In China spricht ein humanoider Roboter die Abendnachrichten. In Japan heiratet ein Mann die Hologramm-Popsängerin Miku Hatsune. Im Rückschluss können diese Verwachsungen von Mensch und Maschine auch für die Kunst nicht folgenlos bleiben. Immer schon haben neue technische und materielle Möglichkeiten auch neue Formen von Kunst hervorgebracht.
Die Fragestellung „kann/wird die Kunst durch die stückweise Ersetzung und endliche Abschaffung des Menschen überwunden werden?", setzt eine unauflösliche Kohäsion zwischen Mensch und Kunst voraus. Folgerichtig wäre das Ende des Menschen mit dem Ende der Kunst gleichzusetzen. Dies geht davon aus, dass der trans- und posthumane Cyborg nicht mehr in der Lage ist, Kunst wahrzunehmen, wert zu schätzen, sich daran zu erfreuen oder aus ihrer Betrachtung Erkenntnis zu gewinnen. Und es setzt voraus, dass der Cyborg eine eigene, nicht humanoide Genetik besitzt, aufgrund derer er urteilt. In einer seltsamen Verkleisterung von Science-Fiction und Vorstellungen von KI, sowie Kenntnissen ihrer momentanen wissenschaftlichen Realität, ist der Golem eines neuen fehlerfrei und unbestechlich agierenden, maschinell-digitalen Superhirns erschaffen worden. An dieses kann die Verantwortung für richtiges Handeln delegiert werden, dieses dient der humanoiden und sozialen Optimierung. Dieser Golem könnte aber auch ein aus dem Wunsch nach Entlastung generiertes Trugbild sein; denn letztendlich wurde es als Ebenbild des Menschen erschaffen und basiert auf der Summe der Genetik seiner menschlichen Schöpfer. Tritt sich der Mensch im Cyborg also als einem mechanisierten Spiegel seiner Selbst gegenüber, der ihm lediglich an Geschwindigkeit und Kombinatorik von Wahrscheinlichkeitszuständen überlegen ist? Überrascht und überwältigt er uns mit seiner strahlenden Artistik schlicht und einfach und imaginieren nicht wir in ihn gerade wegen unserer Überraschung eine Lebendigkeit, die er gar nicht besitzt?
Der Skandalerfolg
Am 25.Oktober 2018 wurde bei Christie‘s in New York das Porträt „Edmond de Belamy" im Stil der Jahrhundertwende für 432.500 $ versteigert. An sich ein alltäglicher Vorgang in einem der größten Auktionshäuser der Welt. Nur dass das Porträt nicht aus dem 19.Jahrhundert stammte und nicht von einem humanoiden Maler gemalt worden war, sondern von einer KI, die von dem französischen Kunstkollektiv obvious benutzt wurde, aber von dem 19-jährigen Robbie Barrat als freeware ins Netz gestellt worden war. Wer war hier der Autor? Und was suchte ein solches Werk in einem Kunstauktionshaus und warum wurde es zu diesem Überraschungspreis verkauft?
Der Markt war offensichtlich reif für den ersten Sensationsverkauf eines Gemäldes des Schöpfers KI, ganz egal, wer ihn dressiert hatte. Beide, das Kunstkollektiv und das Auktionshaus wollten Geschichte schreiben und haben es getan. Der heftige Skandalerfolg in der Presse gab ihnen recht, die schon totgeglaubte Diskussion, um Bedeutung, Wert, Ästhetik, Reichweite und Vermarktbarkeit von Kunst ging in eine völlig neue, aber längst fällige Runde. Das Ziel von obvious war erreicht. Der Kunstbetrieb geschockt, die Kunstwelt erschüttert, das Künstlertum in einzigartiger Weise in Frage gestellt: Künstlergenie doch eher programmierbarer artifizieller Handwerker mit Bauernschläue, Kunst als Offenbarung oder doch als frei verfügbare Ware und Markt als Trendsetter oder doch relevanter und dominanter Kunstbewerter?
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Warum aber arbeiten Künstler mit KI? Was versprechen sie sich davon?
Warum setzen sie die einst analoge Kunst einem Raub an ihrer
metaphorisch künstlerischen Geste durch den transformatorischen Akt
„analog – digital" aus? Und wie kann in der cleanen Ästhetik der KI das
Moment der Authentizität, Autonomie und Metaphorik zurückgewonnen
werden? Instrumentalisiert der Künstler die KI oder wird er von ihr
instrumentalisiert? Bestiehlt der Künstler mit der Hilfe der KI sein
eigenes Werk, um es dann in einer neuen Dimension selber wieder
verwerten zu können? Und ist das nicht sogar notwendig geworden durch
einen schon vor Jahren in Gang gesetzten Prozess einer Freisetzung der
Kunst als ästhetische Oberfläche im Rahmen einer kaum mehr eindämmbaren
„copy-paste" Kultur? Droht damit nicht ohnehin eine Auflösung der
Kohäsion von Künstler und Kunst?
Reduziert auf ihre ästhetische, digitale Oberfläche löst sich die Kunst aus ihrem humanoiden Zusammenhang und kondensiert zu einer eigenständigen, kreativen Größeneinheit. So erst wird sie zu einem algorithmisch verwertbaren Faktor, der als solcher in den Prozess der Transhumanisierung einbezogen werden kann, d.h. je transhumaner der Mensch wird, desto transhumaner wird die Kunst, die er produziert und konsumiert. In diesem Prozessansatz löst sich Kunst nicht auf und verschwindet auch nicht aus der Gesellschaft, sondern wird wie diese mit- und umgeformt.
Dieses Szenario ist vorstellbar. Aber wird es sich ereignen und wenn ja – will man das überhaupt? Muss man in der Innovationsspirale vor oder zurück, beschleunigen oder verlangsamen, sich entäußern und preisgeben oder auf ethischen Werten beharren? Götzendienst oder Götzendämmerung oder ganz was anderes?
Noch stehen wir am Anfang des transhumanen Entwicklungsschritts und können unser demokratisches Wertepotential realistisch befragen und abwägen. Das sollten wir auch tun, bevor uns die Zukunft überholt.
Gesellschaft | Megatrends, 01.12.2020
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