Von der Energie- zur Klimaschutzgenossenschaft
Klimaschutz als Volkssport
In den letzten zehn Jahren haben sich immer mehr Menschen zusammengefunden, um Solaranlagen, Windräder oder Stromnetze gemeinschaftlich in ihrer Region zu realisieren. Erfolgreich! Nun suchen diese Energiegenossenschaften neue Geschäftsfelder für den Klimaschutz.

Eine nachhaltige Entwicklung
Allein in den vergangenen zehn Jahren sind mehr als 800 Energiegenossenschaften in Deutschland gegründet worden. 2019 konnten durch ihre Solaranlagen, Windräder und sonstigen Projekte 3,39 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente vermieden werden. Die Energiegenossenschaften zeigen, wie man ökologische Ziele im Sinne der Sustainable Development Goals (SDG) aus der Agenda 2030 der Vereinten Nationen erreichen kann, insbesondere zu den SDG 7 (Bezahlbare und saubere Energie) und 13 (Maßnahmen zum Umweltschutz). Die 843 Energiegenossenschaften erbringen aber nicht nur einen entscheidenden Beitrag zum Klimaschutz. Sie stehen mit ihren 200.000 Mitgliedern auch für eine breite Akzeptanz der Energiewende und bieten die Möglichkeit, sich aktiv vor Ort einzubringen. Die Genossenschaften eröffnen damit vielfältige Handlungs- und Gestaltungsspielräume. Das Besondere an dieser Rechtsform: Jedes Mitglied hat nur eine Stimme. Projekte können so mit vielen gleichberechtigten Partnern demokratisch und lokal verwurzelt durchgeführt werden.
Das Genossenschaftsmodell bringt lokale Wertschöpfung
Energiegenossenschaften ermöglichen das gemeinsame Engagement verschiedener Akteure vor Ort und vereinigen gesellschaftliche, wirtschaftliche, kommunale und umweltpolitische Interessen. Die Anlagen werden oft gemeinsam mit kommunalen Entscheidungsträgern, öffentlichen Einrichtungen und regionalen Banken initiiert. Dadurch können auch Flächen bestückt werden – beispielsweise Dachflächen von kommunalen Einrichtungen wie Kindergärten oder Schulen –, die von Einzelnen nicht genutzt werden könnten. Installation und Wartung übernehmen oft Handwerksbetriebe aus der Region. Das stärkt regionale Lieferketten. Lokale Ressourcen wie Holzhackschnitzel oder biogene Reststoffe werden so verwendet und ersetzen importierte Ressourcen wie Öl oder Gas. Dadurch bleibt Geld in der Region und die Wärmepumpen, Pelletheizungen und Holzhackschnitzelanlagen machen ganze Dörfer unabhängig von fossilen Energieträgern. Daneben fallen Steuern aus dem Betrieb der Anlagen an. Doch neben betriebswirtschaftlichen Überlegungen bleibt für viele Mitglieder der Klimaschutz die entscheidende Motivation, um sich in einer Energiegenossenschaft zu engagieren.
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Rahmenbedingungen behindern Engagement
Geänderte Rahmenbedingungen stellen die Energiegenossenschaften derzeit jedoch vor große Herausforderungen. Über 80 Prozent sind in der Stromerzeugung aus Solaranlagen aktiv. Doch nur noch etwa die Hälfte der Energiegenossenschaften plant neue Solarstromprojekte, denn als kleine und mittlere Unternehmen stehen sie immer mehr in Konkurrenz zu den großen Marktakteuren, die über riesige Kapitalmengen und eine starke Lobbymacht verfügen. Dieses Ungleichgewicht wird durch die Ausschreibungen für Windenergie- und Solarstromanlagen noch verschärft. Eine Ausweitung der Ausschreibungspflicht auch für kleinere und mittlere Solarstromanlagen würde diesen Trend weiter verstärken. Daneben behindern die juristische Komplexität von Projekten, fehlende kommunale Unterstützung sowie ungünstige rechtliche Rahmenbedingungen beziehungsweise die aktuelle Fördersituation ihre Arbeit. Obwohl also im Kerngeschäft der Energiegenossenschaften ein Abschwung zu erwarten ist, bedeuten die Errichtung und der Betrieb von Solar- und Windstromanlagen immer noch das vielversprechendste Einstiegsprojekt für neue Energiegenossenschaften. Neben der Stromerzeugung bieten sie oft auch ein eigenes Stromprodukt an, denn die Stromerzeugung der Energiegenossenschaften reicht aus, um alle Mitglieder mit sauberem Strom zu versorgen. Allein das Windrad der Energiegenossenschaft Starkenburg auf der Neutscher Höhe beliefert etwa 1.250 Dreipersonenhaushalte mit Strom – rein bilanziell.
Es ist also im Sinne einer genossenschaftlichen Versorgung, den Strom nicht einfach nur ins öffentliche Stromnetz einzuspeisen (produce and forget), sondern die lokale Erzeugung mit dem lokalen Verbrauch zusammenzubringen (produce and use). Eine direkte Versorgung der Mitglieder über das öffentliche Stromnetz erschweren jedoch die derzeitigen Regelungen. Die Energierichtlinien der Europäischen Union fordern zwar, dass die Mitgliederversorgung (energy sharing) ermöglicht werden muss, doch die Bundesregierung hat noch keine Anzeichen gemacht, diese Forderung umsetzen zu wollen. Der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV) setzt sich deshalb für die Mitgliederversorgung, für Mieterstrom und gegen die Ausweitung der Ausschreibungen ein.
Neue Geschäftsfelder sind gefragt

Ein weiteres neues Geschäftsfeld für Energiegenossenschaften sind Elektromobilität und Carsharing. Dabei werden Ladeinfrastrukturen und gemeinsame Flotten von Autos oder E-Bikes aufgebaut. Verschiedene Energiegenossenschaften haben sich zusammengetan, um die für ein Sharingangebot notwendigen mobilen Anwendungen und Abrechnungssysteme gemeinsam anzubieten. Der DGRV unterstützt mit dem Drittmittelprojekt mobileG aktiv die Entwicklung und Umsetzung kooperativer Mobilitätskonzepte.
Auch Maßnahmen zur Energieeffizienz und Energieeinsparung geraten ins Visier der Genossenschaften. Sie tauschen etwa die Straßenbeleuchtung oder die Beleuchtung in öffentlichen Einrichtungen aus und erzielen Erträge aus den eingesparten Energiekosten. Solche Contracting-Modelle können auch beim Heizungsaustausch und weiteren Energieeffizienzmaßnahmen Anwendung finden.
Die Gründung einer Energiegenossenschaft
Energiegenossenschaften sind so vielfältig wie ihre Mitglieder. Hier kommen ökologischer, betriebswirtschaftlicher und technischer Sachverstand zusammen. Besonders inspirierend ist das Gespräch mit anderen Energiegenossenschaften, daher halten zum Beispiel die Initiatoren der Energiegenossenschaft Starkenburg andernorts viele Vorträge. Bei Bürgerversammlungen machen sie die Erfahrung, dass sich die Menschen immer mehr für den Klimaschutz und die Gründung einer Genossenschaft begeistern.
Für die Gründung einer Energiegenossenschaft braucht es mindestens drei Personen oder Unternehmen mit den gleichen Zielen. Mögliche Kooperationspartner und potentielle Mitglieder gilt es rechtzeitig einzubinden und für den notwendigen technischen, juristischen und kaufmännischen Sachverstand zu sorgen. Ein Businessplan gehört zu den wichtigsten Vorbereitungsarbeiten, denn das wirtschaftliche Konzept bildet die Grundlage für das Gründungsgutachten, Gespräche mit Banken und Geschäftspartnern sowie das zukünftige Controlling. Die Satzung regelt die rechtlichen Beziehungen zwischen Mitgliedern und Genossenschaft. Neben den individuellen Regelungen gibt es zwingend notwendige Satzungsinhalte. Auf der Gründungsversammlung, der ersten offiziellen Versammlung der (potentiellen) Mitglieder werden das wirtschaftliche Konzept und der rechtliche Rahmen erläutert, die Satzung verabschiedet, der Vorstand bestellt und die Genossenschaft in Gründung (eG i.G.) offiziell ins Leben gerufen.
Um die Interessen der Mitglieder und Gläubiger der eG i.G. zu sichern, muss ein Antrag auf Mitgliedschaft bei einem genossenschaftlichen Prüfungsverband gestellt werden. Dieser überprüft die wirtschaftliche Tragfähigkeit, den rechtlichen Rahmen und die Mitgliederförderung. Nach erfolgreicher Gründungsprüfung erfolgt der Eintrag in das Genossenschaftsregister. Fachberater der genossenschaftlichen Prüfungsverbände unterstützen bei allen Fragen rund um den Gründungsprozess. Auf einem Portal findet man dazu persönliche Ansprechpartner, aktuelle Gründungsbeispiele, innovative Modelle und viel Wissenswertes rund um die Genossenschaft. Für Micha Jost von der Starkenburger Energiegenossenschaft hat diese Unternehmensform eine sehr emotionale Seite: „Der Genossenschaftsgedanke hat so etwas wie eine Seele, damit wird der Kopf, aber auch das Herz angesprochen."
Das Genossenschaftsmodell schafft Akzeptanz
Gerade der Ausbau der Windenergie stößt oft auf Gegenwind. So war es auch beim Windrad der Starkenburger Energiegenossenschaft auf der Neutscher Höhe. „Die öffentliche Meinung in der unmittelbaren Nachbarschaft war eindeutig gegen das Vorhaben und auch die lokale Presse war sehr zurückhaltend", berichtet Micha Jost, Vorstand der Energiegenossenschaft. „Wir sind am Anfang gewissermaßen gegen den Wind gestartet." Doch als die Bürger der angrenzenden Gemeinden die Möglichkeit bekamen, sich über die Genossenschaft an der Windkraftanlage zu beteiligen, stieg die Akzeptanz für das Projekt WindSTARK 1.
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Benjamin Dannemann ist Referent für Kommunikation beim Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband. Der DGRV vertritt die gemeinsamen Interessen von 19,8 Millionen Genossenschaftsmitgliedern in Deutschland und vereint über die Mitgliedsverbände 5.330 Unternehmen. Die Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften beim DGRV setzt sich für eine bürgernahe Energiepolitik ein.
Technik | Energie, 01.12.2020
Dieser Artikel ist in forum 04/2020 - Jetzt reicht's! erschienen.

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