Das Recht der ersten Siedler
Die Tatsache, dass Krieg der Vater der
heutigen Bodenbesitzverhältnisse ist, macht uns besonders deutlich
bewusst, dass diese nicht gerecht sein können. Die eigentliche Ursache
des Bodenproblems beginnt in unserem Wertesystem jedoch schon mit den
ersten Siedlern, die den Boden, den sie nicht selbst erzeugt, sondern
nur vorgefunden haben, als eine Ware betrachteten: als ihre private
Ware, die sie gegen Geld verkaufen können oder für die sie durch
Vererbung oder Schenkung willkürlich neue Privatbesitzer ernennen.
Viele Philosophen suchten nach Erklärungen,
wie sich heutiger Bodenbesitz aus der Vergangenheit rechtfertigen lässt,
und stellten die Frage: Was berechtigte die ersten „Besitzer", ein
Stück des noch unverteilten Bodens ihr Eigen zu nennen? Die gängige
Antwort der Philosophen war und ist: die Bearbeitung des Bodens; die
ersten Siedler durften so viel Land ihr Eigen nennen, wie sie
bearbeiten, also nutzen konnten. Das ist einleuchtend. Heißt das aber,
dass der Boden, sobald er einmal bearbeitet worden ist, bis auf alle
Ewigkeit der Privatbesitz derjenigen ist, die zufällig die Erben oder
Käufer der erstmaligen Nutzer sind, egal, ob sie den Boden immer noch
nutzen oder nicht?
Wer zuerst kommt, mahlt zuerst
Liberalistische Philosophen bejahen dies. Sie
sagen, der Boden durfte von den erstmaligen Nutzern an neue Besitzer
übertragen werden, sofern die Übertragung gerecht war; eine gerechte
Übertragung ist nach dieser Sichtweise Verkauf, Vererbung oder Schenkung
durch die vorherigen Besitzer; und auf diese Weise dürfe der Boden von
Privatbesitzer zu Privatbesitzer weitergereicht werden. Dies ist heute
die herrschende Sichtweise über das Bodenrecht.
Sie ist nicht nur deshalb problematisch, weil
es zwischendurch unzählige Kriege gegeben hat, die die lückenlose
Besitzübertragung des Bodens durch Vererbung und Verkauf unterbrachen.
Sie ist vor allem deshalb problematisch, weil von einem unparteiischen
Standpunkt aus gesehen nicht gerechtfertigt werden kann, warum die
Nachfahren derjenigen Familien, die ein Land erstmals bebauten,
Privilegien in der Nutzung des Landes haben sollten; und warum die
Nachkommen derer, die daran nicht beteiligt waren, benachteiligt sein
sollten.
Leistungslose Wertsteigerung
Insbesondere in Verbindung mit unserem
Geldsystem hat unser heutiges Bodenrecht verheerende Auswirkungen:
Dadurch, dass sich immer mehr Geld bei immer weniger Menschen
konzentriert, können immer weniger Menschen immer mehr Land aufkaufen,
um von anderen Menschen eine Nutzungsgebühr zu erzwingen.
Da die Menschheit größer wird und damit der
Bedarf an Boden, die Erde aber nicht, ist den Bodenbesitzern eine
leistungslose Wertsteigerung des Bodens sicher. Somit ist der Preis
unermesslich steigerbar, den die nächsten Generationen einmal zahlen
müssen, nur um auf der Erde leben zu können, was eigentlich ein
selbstverständliches Menschenrecht sein sollte.
1967 urteilte das Bundesverfassungsgericht:
Wegen der Unvermehrbarkeit und Unentbehrlichkeit des Bodens darf seine
Nutzung nicht völlig dem Belieben des Einzelnen überlassen werden.
Wörtlich schlussfolgerte es: „Es liegt hierin die Absage an eine
Eigentumsordnung, in der das Individualinteresse den unbedingten Vorrang
vor den Interessen der Gemeinschaft hat." Doch das Bodenrecht wurde
dadurch im Großen und Ganzen nicht geändert.
Besonders unverständlich ist dies in jenen
Fällen, in denen ein Grundbesitzer gerade dadurch reicher wird, dass der
Staat in die Erschließung einer Gegend teuer investiert. Es ist nicht
das Verdienst des Grundbesitzers, dass der Staat Grundstücke zu Bauland
erklärt und auf Ackerboden S-Bahnstrecken und Flugplätze baut. Doch der
Besitzer kassiert und die Allgemeinheit bezahlt.
Vermieter verzichten nicht
Pachtzahlungen an Bodenbesitzer werden oft
damit gerechtfertigt, dass man sagt: Der Bodenbesitzer verzichtet auf
ein Stück Land, wofür er durch die Pachtzahlung entschädigt werden muss.
Doch in dieser Argumentation liegt ein Irrtum. Wer sich Boden kauft,
bezahlt niemanden für eine Leistung. Er kauft sich nur das Recht, diesen
Boden nach seinem Belieben nutzen zu können, kauft sich somit das
Einverständnis der Gesellschaft zur Bodennutzung, ausgedrückt durch das
offizielle Recht. Bodeneigentum ist folglich immer die Zusprechung eines
Rechts durch die Gesellschaft. Insofern ist es die Gesellschaft, die
auf etwas verzichtet, wenn der Bodeneigentümer das Land nicht nutzt: Sie
verzichtet auf dessen Leistung. Und es ist der Bodeneigentümer, der
rechtfertigen muss, warum er den Boden, den ihm die Gesellschaft
überlassen hat, nicht nutzt, sondern teuer verpachtet.
Wenn jemand Boden von vornherein als
Spekulationsobjekt kauft und nicht, um ihn direkt zu nutzen, dann ist
die Absurdität des Verzichtsarguments besonders deutlich.
Boden zu beanspruchen, ohne ihn selbst zu
nutzen, bedeutet alles in allem nichts anderes, als ihn anderen (den
später geborenen und ärmeren Menschen) wegzunehmen, um Abgaben von ihnen
zu erpressen. Mit Aufgabe der Nutzung von Boden muss also die
Verfügungsgewalt darüber enden.
Wer sich teuer ein Haus oder Grundstück
gekauft hat und es nun vermietet, mag natürlich sagen: Ich habe
jahrelang geschuftet, um mir diese Immobilie leisten zu können, es wäre
doch ungerecht, wenn meine Mieter, die nicht so viel entbehrt haben wie
ich, nun kostenlos hier wohnen könnten. Und in der Tat kann man es
niemandem zur Last legen, dass er eine Immobilie, die ihm gehört, die er
aber nicht braucht, gegen Geld vermietet. Denn das gegenwärtige System
sieht es nicht anders vor und man kann von niemandem verlangen,
freiwillig auf einen Vorteil zu verzichten.
Jedoch muss man sehen: In dem Moment, in dem
die Einnahmen aus Immobilienbesitz die eigenen Ausgaben für diese
Immobilie übersteigen, verdient man leistungslos auf Kosten anderer
Menschen. Wer Boden verpachtet, wird zwar nicht, wie beim sofortigen
Verkauf, auf einen Schlag reich. Dafür wird er vom Pächter
beziehungsweise Mieter sein Leben lang versorgt und kann die Pacht noch
dazu kontinuierlich an die Wertsteigerung des Bodens anpassen. Ein
Mieter bezahlt im Laufe seines Lebens oft zwei- bis dreimal den Wert
seiner Wohnung an den Vermieter, und doch gehört sie ihm am letzten Tag
so wenig wie am ersten.
Beispiel USA
Wozu es führt, wenn mit Geldvermögen
Privatbesitz an Boden erworben werden kann, zeigt das Beispiel der USA.
Nachdem den einheimischen Indianern das Land geraubt worden war,
verteilten die Kolonialherren dieses Land an Vermögende, die ganze
Landstriche aufkauften, mit dem einzigen Ziel des Spekulationsgewinns.
Diese Landzuweisungen behinderten die landwirtschaftliche Nutzung
erheblich und zwangen viele der späteren Siedler in die finanzielle
Abhängigkeit, mit Folgen für die Vermögensverteilung bis heute: Die
Nachfahren der damals Privilegierten sind weiterhin im Vorteil gegenüber
allen übrigen Menschen, die ihnen ihr Leben lang Miete und Pacht zahlen
müssen oder Raten auf einen Immobilienkredit.
Heute ist Hunger oft weniger die Folge eines
Bevölkerungswachstums als vielmehr die Folge einer ungerechten
Verteilung, insbesondere des Bodens.
Die Erde gehört allen Menschen gleichermaßen.
Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum diejenigen, die zuerst über
Boden verfügten und deren Nachfahren, bis in alle Zukunft alle anderen
vom Landbesitz ausschließen können. Es gibt keinen vernünftigen Grund,
warum Menschen ihr Leben lang dafür zahlen müssen, dass sie „zu spät
dran waren" und der Boden bereits unter den früheren Generationen
aufgeteilt worden ist.
Unsere Bodenordnung ist nicht marktwirtschaftlich
Auch nach marktwirtschaftlichen Kriterien kann
Boden keine gerechte Ware sein. Damit ein Markt funktioniert, müssen
Angebot und Nachfrage bekanntermaßen reaktionsfähig sein. Das heißt, sie
müssen auf zu teure oder zu billige Preise reagieren können: durch
Preis- oder Mengenveränderung auf der Angebotsseite und durch eine
Veränderung des Kaufverhaltens auf der Nachfrageseite. Diese
Reaktionsfähigkeit ist beim Boden nicht gegeben: Er lässt sich weder
insgesamt vermehren noch transportieren. Das heißt, man kann verfügbares
Land in einer abgelegenen Region nicht in eine Stadt bringen, um das
Angebot zu erhöhen und damit den Preis zu verbilligen.
Die einzige mögliche Reaktion der
Nachfrageseite wäre das Nichterwerben von Boden. Doch dies ist nicht
möglich, jeder Mensch braucht schließlich eine Wohnung. Statt des
Marktausgleichs gibt es auf dem Bodensektor also nur die Einbahnstraße
der Verteuerung. An dieser langfristigen Verteuerung ändern auch
kurzfristige Preiseinbrüche nichts.
Einbahnstraße der Verteuerung
Mittlerweile haben die Bodenpreise Höhen
erreicht, die jedes normale Maß übersteigen. Neubauwohnungen sind für
Normalverdiener unerschwinglich geworden. Die jetzige freie
Verkäuflichkeit von Boden bedeutet somit für immer mehr Menschen eine
faktische Nichtkäuflichkeit. Stadtkerne können sich oft nur noch Banken
und Versicherungen leisten, die dann das übrige Gewerbe verdrängen.
Die hohen Bodenpreise machen es auch den
Städten und Gemeinden immer schwerer, kommunale Aufgaben zu erfüllen.
Denn will eine Stadt zum Beispiel für einen neuen Kindergarten Grund
erwerben, muss sie den gegenwärtigen Marktpreis bezahlen; oder etwa für
einen Straßenbau den Voreigentümer mit dem Marktpreis entschädigen.
Dadurch, dass viele Unternehmen, die schon
lange existieren, billig erworbenen Altbesitz an Grund und Boden haben,
wird darüber hinaus der Wettbewerb verzerrt, Neugründungen werden
erschwert.
Dass sich bislang angesichts dieser Situation
kaum Proteste erhoben haben, hat wohl vor allem zweierlei Gründe. Zum
einen glauben viele Menschen, dass die einzige Alternative in
Zwangsenteignung und Kommunismus besteht. Zum anderen macht der
steigende Bodenpreis auch alle bisherigen Immobilieneigentümer zu
Vermögenden – zumindest auf dem Papier.
Sie glauben, dass dadurch ihre eventuelle
allgemeine Situationsverschlechterung ausgeglichen werde und fühlen sich
auf der Gewinnerseite. Dabei übersehen sie jedoch, dass der Grund für
ihre Situationsverschlechterung (Einkommenskürzungen, höhere
Lebenshaltungskosten) mit der ungerechten Vermögenssituation zu tun hat,
die sie auf dem Papier zu Vermögenden macht.
So schadet die Bodenordnung dem allergrößten
Teil der Gesellschaftsmitglieder – auch dem kleinen Immobilienbesitzer.
Denn die Gewerbetreibenden wälzen nicht nur ihre Zins-, sondern auch
ihre Mietbelastungen auf die Preise und auf die Einkommen ihrer
Angestellten ab; der Staat wälzt seine Kosten für den Boden auf die
Steuern ab – wodurch wir alle Miete zahlen.
Das Problem ist allerdings nicht, dass der
Boden etwas kostet, sondern dass die Einnahmen daraus im gegenwärtigen
System von der Allgemeinheit wegfließen, zu einigen wenigen privaten
Profiteuren. Deren Einnahmen aus Bodenbesitz haben den gleichen
Umverteilungseffekt wie Zinsen.
Die Reform: Nutzungsrecht statt Besitzrecht
Wir haben festgestellt, dass allgemein nur die
Nutzung des Bodens als Rechtfertigung für den Ursprung der heutigen
Bodenordnung anerkannt wird. Wenn man aber das Bodenrecht aus der
Nutzung des Bodens ableitet, dann kann es keinen Bodenbesitz geben,
sondern nur ein Nutzungsrecht.
Darüber hinaus müsste es eine Steuer auf die
Bodennutzung geben. Denn die Erde gehört allen Menschen, die Nutzung
eines Stückchens Erde durch eine Person oder Personengruppe schließt
aber alle anderen Personen davon aus. Zwar profitiert die Allgemeinheit
davon, wenn Boden von einer Privatperson, zum Beispiel einem Bauern,
produktiv genutzt wird. Doch profitiert die Allgemeinheit ja nicht
kostenlos. Sie muss den Bauern, den Wald-, Steinbruch- oder
Minenbesitzer für ihre Erträge bezahlen und die Gewinne, die diesen
zufließen, bleiben privat. Deshalb sollte eine Bodenabgabe einen
Ausgleich schaffen zwischen Menschen, die mehr Boden beziehungsweise
besseren Boden oder bessere Wohnungslagen nutzen, und Menschen, die
weniger oder gar keinen Boden direkt nutzen, beziehungsweise
schlechteren Boden nutzen. Und sie sollte damit gleichzeitig verhindern,
dass Einzelne Land auf Kosten der Allgemeinheit horten.
Durch eine solche Reform würde niemandem
vorgeschrieben, wie und wo er zu wohnen hat. Das Nutzungsrecht würde dem
Einzelnen die freie Verfügung über sein Grundstück garantieren, er ist
wie ein Eigentümer gestellt. Der Nutzer eines Grundstücks sollte nur
verpflichtet sein, für die Bodennutzung eine Nutzungsgebühr an die
Allgemeinheit zu zahlen. Außerdem sollte er bei Nutzungsaufgabe keinen
Kaufpreis erheben können.
Ein Vorteil für die Allgemeinheit
Das Eigentum an Gebäuden, Häusern und
Wohnungen bliebe dagegen vollständig erhalten. Diese könnten weiterhin
verkauft, vererbt oder vermietet werden. Ein Haus ist schließlich ein
Produkt menschlicher Leistung und kann somit auch Ware sein. Wer in
einer Wohnung ohne Garten lebt, müsste die Bodennutzungsgebühr nur für
die Anzahl der Quadratmeter Boden bezahlen, die seine Wohnung einnimmt.
Für bevorzugte Grundstückslagen würden höhere
Nutzungsabgaben erhoben, für schlechtere Grundstückslagen niedrigere;
für Einfamilienhäuser höhere, für Wohnungen niedrigere. Wer besser
verdient, könnte sich somit auch in diesem System größere, bessere und
schönere Grundstücke leisten. Die Nutzungsabgabe würde aber an die
Allgemeinheit zurückfließen, die dadurch einen Ausgleich erhielte. Durch
diesen Ausgleich wäre dann für den, der nicht mehr und nicht weniger
Boden als der Durchschnitt seiner Zeitgenossen in Anspruch nimmt, die
Nutzung des Bodens im Ergebnis kostenlos beziehungsweise kostenneutral.
In besonderen Fällen könnte die Höhe der
Nutzungsabgabe durch öffentliche Ausschreibungen bestimmt werden: Wer am
meisten bietet, also bereit ist, die höchste Nutzungsgebühr zu
bezahlen, der erhält das Nutzungsrecht.
Gemeinnützige Einrichtungen und öffentlich
genutzte Flächen würden von der Bodenabgabe freigestellt werden, da sie
ja ohnehin schon der Allgemeinheit dienen. Für Bauern zum Beispiel
könnte man Ermäßigungen festlegen, da ihre Arbeit zur Erhaltung des
Kulturlandes notwendig ist.
Der Boden als Ware – die heutige Lage
Von 1962 bis 2019 hat
sich die mittlere Arbeitszeit in Deutschland, die vonnöten ist, um ein
Stück Bauland als Eigentum erwerben zu können, um circa 75 Prozent
erhöht. Entsprechend haben sich die leistungslosen Gewinne der Verkäufer
und Vermieterinnen erhöht. Fast die Hälfte aller deutschen Haushalte
muss mehr als 30 Prozent des Einkommens und oft noch weit mehr fürs
Wohnen ausgeben. Über eine Million Haushalte haben nach Abzug der
Mietkosten sogar weniger Geld zum Leben als mit Hartz IV.
„Wir sind eine der ungleichsten Gesellschaften in ganz Europa und hierbei spielen Grund und Boden eine Schlüsselrolle",
sagt der Ökonom Professor Dirk Löhr in der ARD-Reportage „Goldgrube
Bauland" von 2020. Weil die Geldmarktzinsen weltweit zurückgegangen
sind, investieren die Spekulanten immer mehr Geldkapital in den Boden.
Genaugenommen werden heute mit der Bodenspekulation die größten Gewinne
erzielt. Die Kehrseite ist, dass immer mehr Menschen einen immer
größeren Teil ihres Lebens lediglich dafür arbeiten, die Profite der
Grundbesitzer und Bodenspekulanten zu erwirtschaften – ein eigentlich
feudalistischer Tatbestand! Circa 80 Prozent der Bevölkerung sind von
dieser Umverteilung nach oben negativ betroffen. Trotzdem wurde das
Thema Boden im politischen Diskurs bis jetzt noch wenig behandelt, und
wenn doch, dann ging es gewöhnlich nur um eine Eingrenzung der Symptome.
Dabei weist die leistungslos anfallende Bodenrente eine Größenordnung
auf, über die gesprochen werden sollte: Würde der deutsche Staat
beispielsweise lediglich zwei Prozent der Bodenrendite abschöpfen,
würden ganze 110 Milliarden Euro in seine Kasse fließen. Das entspräche
einem Jahresbonus von 1.300 Euro für jeden in Deutschland lebenden
Menschen. Dessen ungeachtet hat der Staat die leistungslosen Gewinne der
Grundstücksbesitzer*innen bislang nicht abgeschöpft und rückverteilt.
Über die Grundsteuer wäre dies leicht möglich. Notwendig wäre dafür
lediglich eine eindeutige Bodensteuer. Heute haben wir dagegen ein
Mischsystem, in dem auch die Immobilien besteuert werden. Diese
Vermischung ist unsinnig, weil im Boden keine Leistung steckt, im
Gebäude hingegen schon. |
Kein Eigentum des Staates
Wichtig wäre, dass die Regierung auf die
Einnahmen aus der Nutzungsabgabe keinen Zugriff hat. Der Boden dürfte
nicht dem Staat gehören. Er müsste Eigentum der Allgemeinheit sein. Das
bedeutet für die Praxis, dass die Einnahmen aus der Bodenabgabe in eine
gesonderte Kasse fließen würden, die zweckgebunden verwaltet wird. Es
müsste garantiert sein, dass diese Einnahmen der Allgemeinheit
zugutekommen. Man könnte zum Beispiel festlegen, dass diese Einnahmen
ausschließlich für soziale Zwecke verwendet werden dürfen. Die
öffentlich-rechtliche Bodenverwaltung sollte dabei separat gewählt
werden, damit keine Interessenverfilzung mit der Politik stattfindet.
Für eine derartige Reform bietet das deutsche
Grundgesetz bereits die Möglichkeit, es müsste nicht geändert werden.
Dort heißt es: „Eigentum verpflichtet" (§ 14); „Grund und Boden,
Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der
Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der
Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der
Gemeinschaft überführt werden." (§15)
Der Boden braucht alles in allem bei einer
Bodenreform nicht neu verteilt zu werden. Jeder könnte in seinem Haus
oder seiner Wohnung bleiben, jeder könnte sein Grundstück behalten. Bei
Grundstücken dürfte der alte Nutzer den neuen bestimmen, was zum
Beispiel für die Landwirtschaft wichtig ist, nur, dass kein Kaufpreis
gezahlt würde. Und mit den Gebäuden, die ja weiterhin verkauft, vererbt
oder vermietet werden könnten, wanderten einfach die Bodenrechte mit.
Auf diese Weise erfolgt also die Verteilung des Bodens.
Die öffentlich-rechtliche Bodenverwaltung
müsste lediglich darüber informiert werden, wer welchen Boden nutzt. Sie
wäre zwar offiziell Eigentümerin des Bodens, aber sie hätte nur stille
Rechte inne. Das hieße, sie hält sich im Hintergrund und nimmt ihre
Eigentumsrechte nur in den Fällen wahr, in denen der alte Nutzer keinen
neuen Nutzer bestimmt oder gefunden hat. Außerdem würde sich bei noch
ungenutztem Land die Frage stellen, an wen es zugeteilt werden soll. Die
Zuteilung würde hier entweder durch eine Auktion oder durch
Entscheidung der Bodenverwaltung erfolgen – was nicht anders ist als
heute, wo sich die Kommunen bei der Vergabe von Grundstücken auch für
einen Käufer oder Mieter entscheiden müssen.
Bodenspekulation lohnt sich nicht mehr
Bei unbenutzten Grundstücken würde es einige
Veränderungen in den Besitzverhältnissen geben, da viele Menschen sie
heute nur halten, um sie später einmal teurer verkaufen zu können. Für
unbebaute Grundstücke würde nämlich ebenfalls eine Nutzungsgebühr
erfolgen. Und da man das Land ja nicht mehr verkaufen könnte, würde es
niemand mehr zu rein spekulativen Zwecken horten.
Bauen würde billiger, da kein Kaufpreis für
das Grundstück mehr aufgebracht werden und nur noch die Nutzungsgebühr
gezahlt werden muss. Somit könnten auch die Mieten für die
Gebäudenutzung billiger angeboten werden.
Es gibt Befürchtungen, dass sich ohne
Bodenpreise ein Schwarzmarkt entwickeln würde: Der Verkäufer eines
Gebäudes würde bei hoher Nachfrage den nicht mehr vorhandenen Bodenpreis
auf den Preis des Gebäudes aufschlagen. Um dem entgegenzusteuern,
könnte unter anderem die Höhe der Nutzungsgebühr an die Höhe des
Gebäudepreises beziehungsweise an die Höhe der Mieten gebunden werden.
So würde ein hoher Kaufpreis für ein Haus auch eine hohe Nutzungsgebühr
nach sich ziehen. Dies würde den Preisspielraum beim Gebäudeverkauf
stoppen. Denn die Käufer werden nicht bereit sein, zu viel für ein
Gebäude zu zahlen, wenn sie zusätzlich eine sehr hohe Nutzungsgebühr
zahlen müssen.
Entschädigungen sind wichtig
Wie sieht es mit der Entschädigung aus? Die
meisten Immobilienbesitzer haben für ihr Grundstück ja einmal viel Geld
bezahlt. Dieser Kaufpreis, den sie einmal für das Grundstück tatsächlich
gezahlt haben, plus Inflationsausgleich müsste ihnen bei einer
Bodenreform entschädigt werden – nicht der Kaufpreis des Gebäudes, denn
dieses bleibt ja Eigentum, sondern nur der Kaufpreis des Bodens. Alles
andere wäre juristisch und gesellschaftlich nicht durchsetzbar.
Literaturtipp
Ein Buch mit Sprengkraft
Im November 2019 erschien ein Buch, welches dem
Thema Boden wieder einige Beachtung durch die Medien einbrachte.
Geschrieben hat es der 93-jährige, 2020 verstorbene Hans-Jochen Vogel,
ehemals Oberbürgermeister von München, regierender Bürgermeister von
West-Berlin und Bundesminister für Raumordnung.
In dem Buch mit dem Titel " Mehr Gerechtigkeit!
Wir brauchen eine neue Bodenordnung" fordert Vogel den Bundestag auf,
endlich gegen Bodenspekulation und gegen die dramatische Steigerung von
Baulandpreisen und Mietkosten vorzugehen. „Ich tue das aus Sorge, dass
wir die Dinge weiter treiben lassen und damit die soziale Kluft in
unserem Lande noch weiter verbreitern", schrieb er in einem Gastbeitrag
für die Süddeutsche Zeitung. Er kritisiert darin, es sei im Laufe der
Zeit der Eindruck entstanden, dass man mit immer weiter steigenden
Bodenpreisen eben leben müsse. „Aber ich sträube mich dagegen, dass das
Gemeinwohl auf diesem Gebiet vor der Macht des Marktes kapituliert." Das
Thema müsse ganz rasch zurück auf die politische Tagesordnung, denn „Grund und Boden ist keine beliebige Ware, sondern eine
Grundvoraussetzung menschlicher Existenz. Er ist unvermehrbar und
unverzichtbar."
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Dabei sollte nicht der gegenwärtige Marktwert
entschädigt werden, denn hinter der Wertsteigerung vom einstigen
Kaufpreis zum gegenwärtigen Marktwert steht keine eigene Leistung. Auch
ererbtes Eigentum müsste nicht zwingend entschädigt werden, denn der
Eigentümer hat ja vom Wert seines Eigentums bereits durch die Nutzung
profitiert.
Die Entschädigungen würden aus der
Nutzungsgebühr finanziert werden. Udo Hermannstorfer, Ökonom und Leiter
des Instituts für zeitgemäße Wirtschafts- und Sozialgestaltung, schlägt
einen Weg vor, wie dies bewerkstelligt werden kann:
Grundstücksbesitzer erhalten den
Anschaffungspreis ihres Grundstücks in Raten entschädigt, während sie
gleichzeitig auch die Nutzungsgebühr bezahlen müssen. Die Höhe der
Nutzungsgebühr richtet sich in der Anfangszeit nach den gegenwärtigen
Grundstückswerten. Dadurch sammeln sich durch die Nutzungsgebühr mehr
Gelder an, als für die Entschädigungen ausgegeben werden müssen.
Wenn jemand ein Haus bzw. Grundstück auf
Kredit erworben hat und den Kredit noch nicht getilgt hat, bekommt er
von der Bodenverwaltung nur den Teil des Kaufpreises entschädigt, den er
schon abbezahlt hat. Für den nicht abbezahlten Teil des Kredites müsste
man Regelungen mit den Banken finden.
So würde durch die Nutzungsgebühren, die
wiederum für Entschädigungszahlungen verwendet werden, ein Kreislauf
entstehen, in dem durch vergleichsweise wenig Geld durch mehrmaliges
Umlaufen die gesamten Entschädigungen abbezahlt werden könnten. Dann
wäre die Entschädigungssumme kein Betrag, der auf einmal aufgebracht
werden muss.
Durch die Entschädigungszahlungen blieben die
Bodenungerechtigkeiten bis zur Tilgung erst einmal bestehen. Die
Entschädigungen stellen sogar eine weitere Umverteilung von den
Nichteigentümern zu den Eigentümern dar. Denn sie würden ja von der
Allgemeinheit über die Nutzungsgebühr finanziert, während nur die
Bodeneigentümer von ihnen profitieren. Jedoch gäbe es auch keine
Verteuerung der Bodenpreise mehr. Die Wirkung der Nutzungsgebühr käme
vielmehr einem Einfrieren der Bodenpreise gleich. In einer Generation,
das sind circa 30 Jahre, könnte der Boden schließlich von der
Kaufpreisbelastung befreit sein. Nach Abzahlung der Entschädigungen kann
die Höhe der Nutzungsgebühr völlig frei nach den gesellschaftlichen
Bedürfnissen ausgerichtet werden.
Um es noch einmal zu betonen: Durch eine
solche Reform würde niemandem etwas weggenommen und der Wohlstand für
die Allgemeinheit würde erhöht werden. Zu weiteren Einzelheiten über die
Umsetzung einer rechtsstaatlichen Bodenreform sei ausdrücklich auf
Udo
Hermannstorfers Buch „Scheinmarktwirtschaft" verwiesen.
Hinweis: Der Text ist ein
Ausschnitt aus „Wirtschaft anders denken – Vom Freigeld bis zum Grundeinkommen" von Alrun Vogt. Mit freundlicher
Genehmigung.
Alrun Vogt ist forum Redakteurin.
Sie studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Linguistik mit den
Schwerpunkten „Theorien der gerechten Verteilung" und Wirtschaftsgeschichte.
In ihrem Buch „Wirtschaft anders denken" deckt sie auf leicht verständliche
Weise die Mechanismen und Hintergründe unseres Geld- und Wirtschaftssystems
auf, beschreibt die maßlosen Spekulationen als zwangsläufige Symptome dieses
Systems und stellt praktikable Lösungen vor, wie es umgestaltet werden kann,
um Wohlstand für alle zu erzeugen.