Boden ist keine Ware!

Das Bodenproblem und seine Lösung

Die exorbitante Steigerung der Baulandpreise wird meist hingenommen wie ein unabwend­bares Schicksal. Die historisch-philosophische Grundlage unserer heutigen Bodenordnung wird selten hinterfragt – dabei steht diese auf tönernen Füßen. Doch es gibt einfache Lösungen, die niemandem weh tun.
 
© Artus Maltsau Wenn auf einem Markt Waren getauscht werden, dann werden Leistungen getauscht - auch wenn Geld dazwischentritt -, da hinter jeder Ware eine Leistung steht. Der Begriff „Ware" ist also verknüpft mit einem Leistungstausch. Hinter dem Objekt Boden dagegen steht keine eigene Leistung, denn niemand hat ihn erzeugt; und so kann er auch keine Ware sein. Er wurde irgendwann von Siedlern oder Regenten abgesteckt, die ihn zu ihrem Eigentum erklärten. Früher oder später wurden dann meistens die selbsternannten Eigentümer oder ihre Nachfahren von anderen Menschen kriegerisch überwältigt, die anschließend ihrerseits den Boden zu ihrem Eigentum bestimmten und später weitervererbten oder verkauften. Historisch gesehen sind wir fast alle die Erben von Kriegsbeute.
 
Das Recht der ersten Siedler
Die Tatsache, dass Krieg der Vater der heutigen Bodenbesitzverhältnisse ist, macht uns besonders deutlich bewusst, dass diese nicht gerecht sein können. Die eigentliche Ursache des Bodenproblems beginnt in unserem Wertesystem jedoch schon mit den ersten Siedlern, die den Boden, den sie nicht selbst erzeugt, sondern nur vorgefunden haben, als eine Ware betrachteten: als ihre private Ware, die sie gegen Geld verkaufen können oder für die sie durch Vererbung oder Schenkung willkürlich neue Privatbesitzer ernennen.

Viele Philosophen suchten nach Erklärungen, wie sich heutiger Bodenbesitz aus der Vergangenheit rechtfertigen lässt, und stellten die Frage: Was berechtigte die ersten „Besitzer", ein Stück des noch unverteilten Bodens ihr Eigen zu nennen? Die gängige Antwort der Philosophen war und ist: die Bearbeitung des Bodens; die ersten Siedler durften so viel Land ihr Eigen nennen, wie sie bearbeiten, also nutzen konnten. Das ist einleuchtend. Heißt das aber, dass der Boden, sobald er einmal bearbeitet worden ist, bis auf alle Ewigkeit der Privatbesitz derjenigen ist, die zufällig die Erben oder Käufer der erstmaligen Nutzer sind, egal, ob sie den Boden immer noch nutzen oder nicht?
 
Wer zuerst kommt, mahlt zuerst
Liberalistische Philosophen bejahen dies. Sie sagen, der Boden durfte von den erstmaligen Nutzern an neue Besitzer übertragen werden, sofern die Übertragung gerecht war; eine gerechte Übertragung ist nach dieser Sichtweise Verkauf, Vererbung oder Schenkung durch die vorherigen Besitzer; und auf diese Weise dürfe der Boden von Privatbesitzer zu Privatbesitzer weitergereicht werden. Dies ist heute die herrschende Sichtweise über das Bodenrecht.
Sie ist nicht nur deshalb problematisch, weil es zwischendurch unzählige Kriege gegeben hat, die die lückenlose Besitzübertragung des Bodens durch Vererbung und Verkauf unterbrachen. Sie ist vor allem deshalb problematisch, weil von einem unparteiischen Standpunkt aus gesehen nicht gerechtfertigt werden kann, warum die Nachfahren derjenigen Familien, die ein Land erstmals bebauten, Privilegien in der Nutzung des Landes haben sollten; und warum die Nachkommen derer, die daran nicht beteiligt waren, benachteiligt sein sollten.
 
Leistungslose Wertsteigerung
Insbesondere in Verbindung mit unserem Geldsystem hat unser heutiges Bodenrecht verheerende Auswirkungen: Dadurch, dass sich immer mehr Geld bei immer weniger Menschen konzentriert, können immer weniger Menschen immer mehr Land aufkaufen, um von anderen Menschen eine Nutzungsgebühr zu erzwingen.

Da die Menschheit größer wird und damit der Bedarf an Boden, die Erde aber nicht, ist den Bodenbesitzern eine leistungslose Wertsteigerung des Bodens sicher. Somit ist der Preis unermesslich steigerbar, den die nächsten Generationen einmal zahlen müssen, nur um auf der Erde leben zu können, was eigentlich ein selbstverständliches Menschenrecht sein sollte.

1967 urteilte das Bundesverfassungsgericht: Wegen der Unvermehrbarkeit und Unentbehrlichkeit des Bodens darf seine Nutzung nicht völlig dem Belieben des Einzelnen überlassen werden. Wörtlich schlussfolgerte es: „Es liegt hierin die Absage an eine Eigentumsordnung, in der das Individualinteresse den unbedingten Vorrang vor den Interessen der Gemeinschaft hat." Doch das Bodenrecht wurde dadurch im Großen und Ganzen nicht geändert.

Besonders unverständlich ist dies in jenen Fällen, in denen ein Grundbesitzer gerade dadurch reicher wird, dass der Staat in die Erschließung einer Gegend teuer investiert. Es ist nicht das Verdienst des Grundbesitzers, dass der Staat Grundstücke zu Bauland erklärt und auf Ackerboden S-Bahnstrecken und Flugplätze baut. Doch der Besitzer kassiert und die Allgemeinheit bezahlt.
 
Vermieter verzichten nicht
Pachtzahlungen an Bodenbesitzer werden oft damit gerechtfertigt, dass man sagt: Der Bodenbesitzer verzichtet auf ein Stück Land, wofür er durch die Pachtzahlung entschädigt werden muss. Doch in dieser Argumentation liegt ein Irrtum. Wer sich Boden kauft, bezahlt niemanden für eine Leistung. Er kauft sich nur das Recht, diesen Boden nach seinem Belieben nutzen zu können, kauft sich somit das Einverständnis der Gesellschaft zur Bodennutzung, ausgedrückt durch das offizielle Recht. Bodeneigentum ist folglich immer die Zusprechung eines Rechts durch die Gesellschaft. Insofern ist es die Gesellschaft, die auf etwas verzichtet, wenn der Bodeneigentümer das Land nicht nutzt: Sie verzichtet auf dessen Leistung. Und es ist der Bodeneigentümer, der rechtfertigen muss, warum er den Boden, den ihm die Gesellschaft überlassen hat, nicht nutzt, sondern teuer verpachtet.

Wenn jemand Boden von vornherein als Spekulationsobjekt kauft und nicht, um ihn direkt zu nutzen, dann ist die Absurdität des Verzichtsarguments besonders deutlich.

Boden zu beanspruchen, ohne ihn selbst zu nutzen, bedeutet alles in allem nichts anderes, als ihn anderen (den später geborenen und ärmeren Menschen) wegzunehmen, um Abgaben von ihnen zu erpressen. Mit Aufgabe der Nutzung von Boden muss also die Verfügungsgewalt darüber enden.

Wer sich teuer ein Haus oder Grundstück gekauft hat und es nun vermietet, mag natürlich sagen: Ich habe jahrelang geschuftet, um mir diese Immobilie leisten zu können, es wäre doch ungerecht, wenn meine Mieter, die nicht so viel entbehrt haben wie ich, nun kostenlos hier wohnen könnten. Und in der Tat kann man es niemandem zur Last legen, dass er eine Immobilie, die ihm gehört, die er aber nicht braucht, gegen Geld vermietet. Denn das gegenwärtige System sieht es nicht anders vor und man kann von niemandem verlangen, freiwillig auf einen Vorteil zu verzichten.
 
Jedoch muss man sehen: In dem Moment, in dem die Einnahmen aus Immobilienbesitz die eigenen Ausgaben für diese Immobilie übersteigen, verdient man leistungslos auf Kosten anderer Menschen. Wer Boden verpachtet, wird zwar nicht, wie beim sofortigen Verkauf, auf einen Schlag reich. Dafür wird er vom Pächter beziehungsweise Mieter sein Leben lang versorgt und kann die Pacht noch dazu kontinuierlich an die Wertsteigerung des Bodens anpassen. Ein Mieter bezahlt im Laufe seines Lebens oft zwei- bis dreimal den Wert seiner Wohnung an den Vermieter, und doch gehört sie ihm am letzten Tag so wenig wie am ersten.
 
Supermacht auf rechtswidriger Grundlage: Die USA erstanden auf geraubtem Land der Indianer. © TheDigitalArtist Beispiel USA
Wozu es führt, wenn mit Geldvermögen Privatbesitz an Boden erworben werden kann, zeigt das Beispiel der USA. Nachdem den einheimischen Indianern das Land geraubt worden war, verteilten die Kolonialherren dieses Land an Vermögende, die ganze Landstriche aufkauften, mit dem einzigen Ziel des Spekulationsgewinns. Diese Landzuweisungen behinderten die landwirtschaftliche Nutzung erheblich und zwangen viele der späteren Siedler in die finanzielle Abhängigkeit, mit Folgen für die Vermögensverteilung bis heute: Die Nachfahren der damals Privilegierten sind weiterhin im Vorteil gegenüber allen übrigen Menschen, die ihnen ihr Leben lang Miete und Pacht zahlen müssen oder Raten auf einen Immobilienkredit.

Heute ist Hunger oft weniger die Folge eines Bevölkerungswachstums als vielmehr die Folge einer ungerechten Verteilung, insbesondere des Bodens.
Die Erde gehört allen Menschen gleichermaßen. Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum diejenigen, die zuerst über Boden verfügten und deren Nachfahren, bis in alle Zukunft alle anderen vom Landbesitz ausschließen können. Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum Menschen ihr Leben lang dafür zahlen müssen, dass sie „zu spät dran waren" und der Boden bereits unter den früheren Generationen aufgeteilt worden ist.
 
Unsere Bodenordnung ist nicht marktwirtschaftlich
Auch nach marktwirtschaftlichen Kriterien kann Boden keine gerechte Ware sein. Damit ein Markt funktioniert, müssen Angebot und Nachfrage bekanntermaßen reaktionsfähig sein. Das heißt, sie müssen auf zu teure oder zu billige Preise reagieren können: durch Preis- oder Mengenveränderung auf der Angebotsseite und durch eine Veränderung des Kaufverhaltens auf der Nachfrageseite. Diese Reaktionsfähigkeit ist beim Boden nicht gegeben: Er lässt sich weder insgesamt vermehren noch transportieren. Das heißt, man kann verfügbares Land in einer abgelegenen Region nicht in eine Stadt bringen, um das Angebot zu erhöhen und damit den Preis zu verbilligen.
 
Die einzige mögliche Reaktion der Nachfrageseite wäre das Nichterwerben von Boden. Doch dies ist nicht möglich, jeder Mensch braucht schließlich eine Wohnung. Statt des Marktausgleichs gibt es auf dem Bodensektor also nur die Einbahnstraße der Verteuerung. An dieser langfristigen Verteuerung ändern auch kurzfristige Preiseinbrüche nichts.
 
Einbahnstraße der Verteuerung
Mittlerweile haben die Bodenpreise Höhen erreicht, die jedes normale Maß übersteigen. Neubauwohnungen sind für Normalverdiener unerschwinglich geworden. Die jetzige freie Verkäuflichkeit von Boden bedeutet somit für immer mehr Menschen eine faktische Nichtkäuflichkeit. Stadtkerne können sich oft nur noch Banken und Versicherungen leisten, die dann das übrige Gewerbe verdrängen.
 
Die hohen Bodenpreise machen es auch den Städten und Gemeinden immer schwerer, kommunale Aufgaben zu erfüllen. Denn will eine Stadt zum Beispiel für einen neuen Kindergarten Grund erwerben, muss sie den gegenwärtigen Marktpreis bezahlen; oder etwa für einen Straßenbau den Voreigentümer mit dem Marktpreis entschädigen.

Dadurch, dass viele Unternehmen, die schon lange existieren, billig erworbenen Altbesitz an Grund und Boden haben, wird darüber hinaus der Wettbewerb verzerrt, Neugründungen werden erschwert.

Dass sich bislang angesichts dieser Situation kaum Proteste erhoben haben, hat wohl vor allem zweierlei Gründe. Zum einen glauben viele Menschen, dass die einzige Alternative in Zwangsenteignung und Kommunismus besteht. Zum anderen macht der steigende Bodenpreis auch alle bisherigen Immobilieneigentümer zu Vermögenden – zumindest auf dem Papier.

Sie glauben, dass dadurch ihre eventuelle allgemeine Situationsverschlechterung ausgeglichen werde und fühlen sich auf der Gewinnerseite. Dabei übersehen sie jedoch, dass der Grund für ihre Situationsverschlechterung (Einkommenskürzungen, höhere Lebenshaltungskosten) mit der ungerechten Vermögenssituation zu tun hat, die sie auf dem Papier zu Vermögenden macht.

So schadet die Bodenordnung dem allergrößten Teil der Gesellschaftsmitglieder – auch dem kleinen Immobilienbesitzer. Denn die Gewerbetreibenden wälzen nicht nur ihre Zins-, sondern auch ihre Mietbelastungen auf die Preise und auf die Einkommen ihrer Angestellten ab; der Staat wälzt seine Kosten für den Boden auf die Steuern ab – wodurch wir alle Miete zahlen.

Das Problem ist allerdings nicht, dass der Boden etwas kostet, sondern dass die Einnahmen daraus im gegenwärtigen System von der Allgemeinheit wegfließen, zu einigen wenigen privaten Profiteuren. Deren Einnahmen aus Bodenbesitz haben den gleichen Umverteilungseffekt wie Zinsen.
 
Die Reform: Nutzungsrecht statt Besitzrecht
Wir haben festgestellt, dass allgemein nur die Nutzung des Bodens als Rechtfertigung für den Ursprung der heutigen Bodenordnung anerkannt wird. Wenn man aber das Bodenrecht aus der Nutzung des Bodens ableitet, dann kann es keinen Bodenbesitz geben, sondern nur ein Nutzungsrecht.

Darüber hinaus müsste es eine Steuer auf die Bodennutzung geben. Denn die Erde gehört allen Menschen, die Nutzung eines Stückchens Erde durch eine Person oder Personengruppe schließt aber alle anderen Personen davon aus. Zwar profitiert die Allgemeinheit davon, wenn Boden von einer Privatperson, zum Beispiel einem Bauern, produktiv genutzt wird. Doch profitiert die Allgemeinheit ja nicht kostenlos. Sie muss den Bauern, den Wald-, Steinbruch- oder Minenbesitzer für ihre Erträge bezahlen und die Gewinne, die diesen zufließen, bleiben privat. Deshalb sollte eine Bodenabgabe einen Ausgleich schaffen zwischen Menschen, die mehr Boden beziehungsweise besseren Boden oder bessere Wohnungslagen nutzen, und Menschen, die weniger oder gar keinen Boden direkt nutzen, beziehungsweise schlechteren Boden nutzen. Und sie sollte damit gleichzeitig verhindern, dass Einzelne Land auf Kosten der Allgemeinheit horten.

Durch eine solche Reform würde niemandem vorgeschrieben, wie und wo er zu wohnen hat. Das Nutzungsrecht würde dem Einzelnen die freie Verfügung über sein Grundstück garantieren, er ist wie ein Eigentümer gestellt. Der Nutzer eines Grundstücks sollte nur verpflichtet sein, für die Bodennutzung eine Nutzungsgebühr an die Allgemeinheit zu zahlen. Außerdem sollte er bei Nutzungsaufgabe keinen Kaufpreis erheben können.
 Ein Stück Erde wird zu Geld gemacht - doch mit welchem Recht wurde es von jemandem zum Eigentum erklärt? © Fritz Lietsch
Ein Vorteil für die Allgemeinheit
Das Eigentum an Gebäuden, Häusern und Wohnungen bliebe dagegen vollständig erhalten. Diese könnten weiterhin verkauft, vererbt oder vermietet werden. Ein Haus ist schließlich ein Produkt menschlicher Leistung und kann somit auch Ware sein. Wer in einer Wohnung ohne Garten lebt, müsste die Bodennutzungsgebühr nur für die Anzahl der Quadratmeter Boden bezahlen, die seine Wohnung einnimmt.

Für bevorzugte Grundstückslagen würden höhere Nutzungsabgaben erhoben, für schlechtere Grundstückslagen niedrigere; für Einfamilienhäuser höhere, für Wohnungen niedrigere. Wer besser verdient, könnte sich somit auch in diesem System größere, bessere und schönere Grundstücke leisten. Die Nutzungsabgabe würde aber an die Allgemeinheit zurückfließen, die dadurch einen Ausgleich erhielte. Durch diesen Ausgleich wäre dann für den, der nicht mehr und nicht weniger Boden als der Durchschnitt seiner Zeitgenossen in Anspruch nimmt, die Nutzung des Bodens im Ergebnis kostenlos beziehungsweise kostenneutral.
 
In besonderen Fällen könnte die Höhe der Nutzungsabgabe durch öffentliche Ausschreibungen bestimmt werden: Wer am meisten bietet, also bereit ist, die höchste Nutzungsgebühr zu bezahlen, der erhält das Nutzungsrecht.
 
Gemeinnützige Einrichtungen und öffentlich genutzte Flächen würden von der Bodenabgabe freigestellt werden, da sie ja ohnehin schon der Allgemeinheit dienen. Für Bauern zum Beispiel könnte man Ermäßigungen festlegen, da ihre Arbeit zur Erhaltung des Kulturlandes notwendig ist.
 
Der Boden als Ware – die heutige Lage
Grafik: Arbeitsgruppe Gerechte WirtschaftsordnungVon 1962 bis 2019 hat sich die mittlere Arbeitszeit in Deutschland, die vonnöten ist, um ein Stück Bauland als Eigentum erwerben zu können, um circa 75 Prozent erhöht. Entsprechend haben sich die leistungslosen Gewinne der Verkäufer und Vermieterinnen erhöht. Fast die Hälfte aller deutschen Haushalte muss mehr als 30 Prozent des Einkommens und oft noch weit mehr fürs Wohnen ausgeben. Über eine Million Haushalte haben nach Abzug der Mietkosten sogar weniger Geld zum Leben als mit Hartz IV.

Wir sind eine der ungleichsten Gesellschaften in ganz Europa und hierbei spielen Grund und Boden eine Schlüsselrolle", sagt der Ökonom Professor Dirk Löhr in der ARD-Reportage „Goldgrube Bauland" von 2020. Weil die Geldmarktzinsen weltweit zurückgegangen sind, investieren die Spekulanten immer mehr Geldkapital in den Boden. Genaugenommen werden heute mit der Bodenspekulation die größten Gewinne erzielt. Die Kehrseite ist, dass immer mehr Menschen einen immer größeren Teil ihres Lebens lediglich dafür arbeiten, die Profite der Grundbesitzer und Bodenspekulanten zu erwirtschaften – ein eigentlich feudalistischer Tatbestand! Circa 80 Prozent der Bevölkerung sind von dieser Umverteilung nach oben negativ betroffen. Trotzdem wurde das Thema Boden im politischen Diskurs bis jetzt noch wenig behandelt, und wenn doch, dann ging es gewöhnlich nur um eine Eingrenzung der Symptome. Dabei weist die leistungslos anfallende Bodenrente eine Größenordnung auf, über die gesprochen werden sollte: Würde der deutsche Staat beispielsweise lediglich zwei Prozent der Bodenrendite abschöpfen, würden ganze 110 Milliarden Euro in seine Kasse fließen. Das entspräche einem Jahresbonus von 1.300 Euro für jeden in Deutschland lebenden Menschen. Dessen ungeachtet hat der Staat die leistungslosen Gewinne der Grundstücksbesitzer*innen bislang nicht abgeschöpft und rückverteilt. Über die Grundsteuer wäre dies leicht möglich. Notwendig wäre dafür lediglich eine eindeutige Bodensteuer. Heute haben wir dagegen ein Mischsystem, in dem auch die Immobilien besteuert werden. Diese Vermischung ist unsinnig, weil im Boden keine Leistung steckt, im Gebäude hingegen schon.




 
Kein Eigentum des Staates
Wichtig wäre, dass die Regierung auf die Einnahmen aus der Nutzungsabgabe keinen Zugriff hat. Der Boden dürfte nicht dem Staat gehören. Er müsste Eigentum der Allgemeinheit sein. Das bedeutet für die Praxis, dass die Einnahmen aus der Bodenabgabe in eine gesonderte Kasse fließen würden, die zweckgebunden verwaltet wird. Es müsste garantiert sein, dass diese Einnahmen der Allgemeinheit zugutekommen. Man könnte zum Beispiel festlegen, dass diese Einnahmen ausschließlich für soziale Zwecke verwendet werden dürfen. Die öffentlich-rechtliche Bodenverwaltung sollte dabei separat gewählt werden, damit keine Interessenverfilzung mit der Politik stattfindet.

Für eine derartige Reform bietet das deutsche Grundgesetz bereits die Möglichkeit, es müsste nicht geändert werden. Dort heißt es: „Eigentum verpflichtet" (§ 14); „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinschaft überführt werden." (§15)

Der Boden braucht alles in allem bei einer Bodenreform nicht neu verteilt zu werden. Jeder könnte in seinem Haus oder seiner Wohnung bleiben, jeder könnte sein Grundstück behalten. Bei Grundstücken dürfte der alte Nutzer den neuen bestimmen, was zum Beispiel für die Landwirtschaft wichtig ist, nur, dass kein Kaufpreis gezahlt würde. Und mit den Gebäuden, die ja weiterhin verkauft, vererbt oder vermietet werden könnten, wanderten einfach die Bodenrechte mit. Auf diese Weise erfolgt also die Verteilung des Bodens.
 
Die öffentlich-rechtliche Bodenverwaltung müsste lediglich darüber informiert werden, wer welchen Boden nutzt. Sie wäre zwar offiziell Eigentümerin des Bodens, aber sie hätte nur stille Rechte inne. Das hieße, sie hält sich im Hintergrund und nimmt ihre Eigentumsrechte nur in den Fällen wahr, in denen der alte Nutzer keinen neuen Nutzer bestimmt oder gefunden hat. Außerdem würde sich bei noch ungenutztem Land die Frage stellen, an wen es zugeteilt werden soll. Die Zuteilung würde hier entweder durch eine Auktion oder durch Entscheidung der Bodenverwaltung erfolgen – was nicht anders ist als heute, wo sich die Kommunen bei der Vergabe von Grundstücken auch für einen Käufer oder Mieter entscheiden müssen.
 
Bodenspekulation lohnt sich nicht mehr
Bei unbenutzten Grundstücken würde es einige Veränderungen in den Besitzverhältnissen geben, da viele Menschen sie heute nur halten, um sie später einmal teurer verkaufen zu können. Für unbebaute Grundstücke würde nämlich ebenfalls eine Nutzungsgebühr erfolgen. Und da man das Land ja nicht mehr verkaufen könnte, würde es niemand mehr zu rein spekulativen Zwecken horten.
 
Bauen würde billiger, da kein Kaufpreis für das Grundstück mehr aufgebracht werden und nur noch die Nutzungsgebühr gezahlt werden muss. Somit könnten auch die Mieten für die Gebäudenutzung billiger angeboten werden.
 
Es gibt Befürchtungen, dass sich ohne Bodenpreise ein Schwarzmarkt entwickeln würde: Der Verkäufer eines Gebäudes würde bei hoher Nachfrage den nicht mehr vorhandenen Bodenpreis auf den Preis des Gebäudes aufschlagen. Um dem entgegenzusteuern, könnte unter anderem die Höhe der Nutzungsgebühr an die Höhe des Gebäudepreises beziehungsweise an die Höhe der Mieten gebunden werden. So würde ein hoher Kaufpreis für ein Haus auch eine hohe Nutzungsgebühr nach sich ziehen. Dies würde den Preisspielraum beim Gebäudeverkauf stoppen. Denn die Käufer werden nicht bereit sein, zu viel für ein Gebäude zu zahlen, wenn sie zusätzlich eine sehr hohe Nutzungsgebühr zahlen müssen.
 
Entschädigungen sind wichtig
Wie sieht es mit der Entschädigung aus? Die meisten Immobilienbesitzer haben für ihr Grundstück ja einmal viel Geld bezahlt. Dieser Kaufpreis, den sie einmal für das Grundstück tatsächlich gezahlt haben, plus Inflationsausgleich müsste ihnen bei einer Bodenreform entschädigt werden – nicht der Kaufpreis des Gebäudes, denn dieses bleibt ja Eigentum, sondern nur der Kaufpreis des Bodens. Alles andere wäre juristisch und gesellschaftlich nicht durchsetzbar.
 
Literaturtipp
 
Ein Buch mit Sprengkraft
Im November 2019 erschien ein Buch, welches dem Thema Boden wieder einige Beachtung durch die Medien einbrachte. Geschrieben hat es der 93-jährige, 2020 verstorbene Hans-Jochen Vogel, ehemals Oberbürgermeister von München, regierender Bürgermeister von West-Berlin und Bundesminister für Raumordnung.
 
In dem Buch mit dem Titel "Mehr Gerechtigkeit! Wir brauchen eine neue Bodenordnung" fordert Vogel den Bundestag auf, endlich gegen Bodenspekulation und gegen die dramatische Steigerung von Baulandpreisen und Mietkosten vorzugehen. „Ich tue das aus Sorge, dass wir die Dinge weiter treiben lassen und damit die soziale Kluft in unserem Lande noch weiter verbreitern", schrieb er in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung. Er kritisiert darin, es sei im Laufe der Zeit der Eindruck entstanden, dass man mit immer weiter steigenden Bodenpreisen eben leben müsse. „Aber ich sträube mich dagegen, dass das Gemeinwohl auf diesem Gebiet vor der Macht des Marktes kapituliert." Das Thema müsse ganz rasch zurück auf die politische Tagesordnung, denn „Grund und Boden ist keine beliebige Ware, sondern eine Grundvoraussetzung menschlicher Existenz. Er ist unvermehrbar und unverzichtbar."
 



 
Dabei sollte nicht der gegenwärtige Marktwert entschädigt werden, denn hinter der Wertsteigerung vom einstigen Kaufpreis zum gegenwärtigen Marktwert steht keine eigene Leistung. Auch ererbtes Eigentum müsste nicht zwingend entschädigt werden, denn der Eigentümer hat ja vom Wert seines Eigentums bereits durch die Nutzung profitiert.

Die Entschädigungen würden aus der Nutzungsgebühr finanziert werden. Udo Hermannstorfer, Ökonom und Leiter des Instituts für zeitgemäße Wirtschafts- und Sozialgestaltung, schlägt einen Weg vor, wie dies bewerkstelligt werden kann:

Grundstücksbesitzer erhalten den Anschaffungspreis ihres Grundstücks in Raten entschädigt, während sie gleichzeitig auch die Nutzungsgebühr bezahlen müssen. Die Höhe der Nutzungsgebühr richtet sich in der Anfangszeit nach den gegenwärtigen Grundstückswerten. Dadurch sammeln sich durch die Nutzungsgebühr mehr Gelder an, als für die Entschädigungen ausgegeben werden müssen.

Wenn jemand ein Haus bzw. Grundstück auf Kredit erworben hat und den Kredit noch nicht getilgt hat, bekommt er von der Bodenverwaltung nur den Teil des Kaufpreises entschädigt, den er schon abbezahlt hat. Für den nicht abbezahlten Teil des Kredites müsste man Regelungen mit den Banken finden.
So würde durch die Nutzungsgebühren, die wiederum für Entschädigungszahlungen verwendet werden, ein Kreislauf entstehen, in dem durch vergleichsweise wenig Geld durch mehrmaliges Umlaufen die gesamten Entschädigungen abbezahlt werden könnten. Dann wäre die Entschädigungssumme kein Betrag, der auf einmal aufgebracht werden muss.
 
Durch die Entschädigungszahlungen blieben die Bodenungerechtigkeiten bis zur Tilgung erst einmal bestehen. Die Entschädigungen stellen sogar eine weitere Umverteilung von den Nichteigentümern zu den Eigentümern dar. Denn sie würden ja von der Allgemeinheit über die Nutzungsgebühr finanziert, während nur die Bodeneigentümer von ihnen profitieren. Jedoch gäbe es auch keine Verteuerung der Bodenpreise mehr. Die Wirkung der Nutzungsgebühr käme vielmehr einem Einfrieren der Bodenpreise gleich. In einer Generation, das sind circa 30 Jahre, könnte der Boden schließlich von der Kaufpreisbelastung befreit sein. Nach Abzahlung der Entschädigungen kann die Höhe der Nutzungsgebühr völlig frei nach den gesellschaftlichen Bedürfnissen ausgerichtet werden.
Um es noch einmal zu betonen: Durch eine solche Reform würde niemandem etwas weggenommen und der Wohlstand für die Allgemeinheit würde erhöht werden. Zu weiteren Einzelheiten über die Umsetzung einer rechtsstaatlichen Bodenreform sei ausdrücklich auf Udo Hermannstorfers Buch „Scheinmarktwirtschaft" verwiesen.
 
Hinweis: Der Text ist ein Ausschnitt aus „Wirtschaft anders denken – Vom Freigeld bis zum Grundeinkommen" von Alrun Vogt. Mit freundlicher Genehmigung.
 
Alrun Vogt ist forum Redakteurin.Sie studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Linguistik mit den Schwerpunkten „Theorien der gerechten Ver­teilung" und Wirtschaftsgeschichte. In ihrem Buch „Wirtschaft anders denken" deckt sie auf leicht verständliche Weise die Mechanismen und Hintergründe unseres Geld- und Wirtschaftssystems auf, be­schreibt die maßlosen Spekulationen als zwangsläufige Symptome dieses Systems und stellt praktikable Lösungen vor, wie es umgestal­tet werden kann, um Wohlstand für alle zu erzeugen.

Umwelt | Wasser & Boden, 01.03.2021
Dieser Artikel ist in forum 01/2021 - SOS – Rettet unsere Böden! erschienen.
     
        
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