Homeoffice - wer gewinnt, wer verliert?
Wohnsituation entscheidender Faktor
Ob Menschen im Homeoffice erfolgreich arbeiten können, hängt weniger vom Job selbst als von ihrer Wohnsituation ab. Das ist ein Ergebnis einer thematisch breit angelegten Befragung, mit der Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der TU Darmstadt die Situation von Beschäftigten sowie Chancen und Risiken des Homeoffice untersuchten. Und: Eine breite Einführung der Arbeit von zu Hause hat Potenzial, die Gesellschaft zu spalten.
Mit dem ersten Lockdown der Coronapandemie rückte das Phänomen Homeoffice in den Blick der Öffentlichkeit. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Fachgebiet Immobilienwirtschaft und Baubetriebswirtschaftslehre der TU Darmstadt begannen mit Unterstützung des Fachgebiets Marketing und Personalmanagement unmittelbar nach Beginn des Lockdowns mit einer breit angelegten Befragung unter Büroarbeitenden in Deutschland. Wie und wo wird zu Hause gearbeitet? Wie nehmen Beschäftigte die Arbeit zu Hause wahr? Wie produktiv ist die Arbeit im Homeoffice und was entscheidet über deren Erfolg? Diesen Fragen ging das Forschungsteam nach. Die Längsschnittstudie lief in drei Wellen im Juni, August und Oktober 2020 ab. Bis zu 952 Beschäftigte beteiligten sich an den drei Befragungswellen, die Zusammensetzung des Panels repräsentiert weitgehend die Bürobeschäftigten in Deutschland.
Die Ergebnisse der Studie ergeben ein differenziertes Bild. Sie zeigen: Die Realität der Arbeit von daheim und deren Wahrnehmung in der Gesellschaft klaffen weit auseinander. Bereits vor der Pandemie arbeiteten mehr Menschen im Homeoffice als angenommen. Und: Wissensarbeit lässt sich weit weniger umfangreich von zu Hause erledigen als zumeist unterstellt. Mehr als ein Drittel der Beschäftigten gab zudem an, zu Hause weniger produktiv zu arbeiten als im Büro. Je mehr Erfahrungen die Befragten über das Jahr 2020 hinweg mit dem Homeoffice sammeln konnten, desto deutlicher wurde dies.
Die Studie legt nahe, dass der wichtigste Grund dafür im Arbeitsort liegt. "Wie Leute wohnen, sagt viel darüber aus, ob sie erfolgreich von zu Hause aus arbeiten können", sagt Professor Andreas Pfnür, der Leiter des Fachgebiets Immobilienwirtschaft und Baubetriebswirtschaftslehre. Die Studie ergab, dass die Wohnsituation der wichtigste Faktor ist, wenn Unternehmen entscheiden sollen, welche ihrer Mitarbeitenden im Homeoffice erfolgreich tätig werden könnten. "Die Wohnsituation ist aussagekräftiger als die Art des Jobs oder die Zahl der Kinder", sagt Pfnür. "Das hatten wir so nicht erwartet." Je zufriedener Befragungsteilnehmer mit ihrer Wohnsituation, der Lage und der Ausstattung der Wohnung waren, desto zufriedener und produktiver waren sie im Homeoffice.
Neben einer guten Wohnsituation identifizierten die Forschenden weitere Faktoren, die das Homeoffice begünstigen. Vor allem komplexe, vielseitige Aufgaben und höhere Autonomie gingen mit Arbeitserfolg im Homeoffice einher. Ältere, besserverdienende und beruflich erfahrene Beschäftigte arbeiteten erfolgreicher, ebenso Vollzeitkräfte im Vergleich zu Teilzeitkräften. Singles taten sich offensichtlich im Homeoffice besonders schwer. Hier spielten Isolation, aber auch die berufliche Entwicklung eine Rolle. "Die direkte soziale Interaktion mit Kollegen, die Möglichkeit, von Älteren zu lernen und Karrierechancen sind im Homeoffice weniger stark ausgeprägt", sagt Pfnür. "Entsprechend fällt für junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Stück Identifikation mit dem Job weg. Das sorgt auch für geringere Zufriedenheit mit dem Leben."
Große Chancen bei gutem Risikomanagement
Die Studie zeigt, dass Büroarbeit sich nicht beliebig nach Hause outsourcen lässt und dass klassische Büros weiterhin Bestand haben werden. Richtig genutzt und unter den richtigen Voraussetzungen - etwa bessere Infrastruktur und freiwillige Entscheidung für das Homeoffice - biete Arbeit von zu Hause jedoch zahlreiche Chancen, den Arbeitserfolg von Individuen zukünftig weiter zu verbessern. Aber: "Ohne einen aktiven Change-Prozess drohen die Risiken des Work from Home, die die empirischen Daten unserer Studie offenbaren, überhand zu nehmen", so Pfnür. Eine Homeoffice-basierte Arbeitswelt könne soziale Verwerfungen nach sich ziehen, wenn die öffentliche Hand und Arbeitgeber nicht gegensteuerten. "Homeoffice bereitet den Weg aller Bürobeschäftigten in eine Zweiklassengesellschaft", so Pfnür. Auf der einen Seite stünden Beschäftigte, die umfangreich zu Hause arbeiten könnten, weil sie es sich dort in Komfort gut gehen lassen könnten oder weil ihre Jobs entsprechend attraktiv wären. Auf der anderen stünden Personen, die in schlechteren Verhältnissen im Homeoffice wenig erfolgreich wären oder unter den Mehrkosten der Arbeit von daheim zu leiden hätten. "Homeoffice ist damit auf dem Weg zu einem Statussymbol für die Gewinner der neuen Arbeitswelten."
Die Erkenntnisse aus der Studie haben Implikationen für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Politik, Immobilienwirtschaft und Stadtplanung. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der TU erarbeiten derzeit Empfehlungen für diese Gruppen. Zudem sollen auch Daten aus dem internationalen Raum ausgewertet werden.
Über die TU Darmstadt
Die TU Darmstadt zählt zu den führenden Technischen Universitäten in Deutschland. Sie verbindet vielfältige Wissenschaftskulturen zu einem charakteristischen Profil. Ingenieur- und Naturwissenschaften bilden den Schwerpunkt und kooperieren eng mit prägnanten Geistes- und Sozialwissenschaften. Drei Forschungsfelder prägen das Profil der TU Darmstadt: I+I (Information and Intelligence), E+E (Energy and Environment) sowie M+M (Matter and Materials). Wir entwickeln unser Portfolio in Forschung und Lehre, Innovation und Transfer dynamisch, um der Gesellschaft kontinuierlich wichtige Zukunftschancen zu eröffnen. Daran arbeiten unsere 312 Professorinnen und Professoren, rund 4.500 wissenschaftlichen und administrativ-technischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie rund 25.400 Studierenden. Im Netzwerk UNITE!, das Universitäten aus sieben europäischen Ländern vereint, treibt die TU Darmstadt die Idee der europäischen Universität voran. Mit der Goethe-Universität Frankfurt und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz bildet die TU Darmstadt die strategische Allianz der Rhein-Main-Universitäten.
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