Fukushima - Gedenken an die Reaktorkatastrophe in Japan vor zehn Jahren
Konsequent nachhaltig handeln. Es ist an der Zeit.
Gedenken. Am Anfang steht das Gedenken an die Toten, den Schmerz der Hinterbliebenen. Das Gedenken an die große Zahl der Menschen, die in der Folge des Tsunamis und der anschließenden Kernschmelze in drei Reaktoren in Fukushima Daiichi ihre Heimat verlassen mussten. 170.000 Menschen wurden im Umkreis der AKWs evakuiert. Das Gedenken an das Leid der Trennungen von denen, die im weiteren Umfeld zurückgeblieben sind oder später wiedergekehrt sind und denen, die anderswo Fuß fassten.

Änderungen. Die Medien sind nach der Fukushima Katastrophe umgeschwenkt, so erzählt Weiger weiter. Zwischenzeitlich hat sich die Grundströmung in der Bevölkerung gedreht. Etwa ein gleich hoher Anteil, um die 80 Prozent sind jetzt gegen die Nutzung der Atomenergie eingestellt. Die Politik der herrschenden Partei, die Liberaldemokraten, hinkt noch weit hinter her. Von den ursprünglich 53 Atomreaktoren Anfang März 2011 sind derzeit 9 Reaktoren am Netz. Eine Energiewende hin zu erneuerbaren Energien ist erst in den Anfängen.
Persönliche Begegnungen. Weiger traf KAN Naoto, den während der Katastrophe amtierenden Premierminister in der Folge mehrfach. KAN stand an der Spitze der Regierung in der kurzen Episode, in der nicht die Liberaldemokratische Partei sondern die Demokratische Partei die Mehrheit hatte. KAN ist Physiker, und obgleich bis dahin Atomkraftbefürworter, umriss er in dem Moment, welche Riesengefahren drohten. Ihm war bewusst, dass die Gefahr einer riesigen Wasserstoffexplosion drohte. Er erlebte, dass das Management von Tepco, der Betreiberfirma, völlig hilflos war und sie vorhatten, den ganzen Komplex - von insgesamt 6 Reaktoranlagen - zu räumen, diesen sich selbst zu überlassen. Er wies Tepco an, dass sie den zentralen Reaktor nicht räumen durften. Damit verhinderte er eine drohende noch viel größere Katastrophe.
Nichtbeherrschbarkeit. KAN beschrieb Weiger in persönlichen Gesprächen die Entwicklungen in den Folgetagen. Entsprechend der Wetterlage drohte eine hochradioaktive Wolken in den Großraum Tokyo zu treiben. Die Einschätzung seiner Regierung ergab: Eine Räumung von etwa 50 Millionen Menschen in einer derartigen dichtbesiedelten Megacity wäre nicht möglich. Panik, große Schäden wären durch den Versuch einer Räumung zu erwarten. Es ging noch einmal gut. Der Wind drehte sich noch rechtzeitig und die nukleare Belastung hielt sich in Grenzen. Die Geschichte ist im Buch KANs Als Premierminister während der Fukushima-Krise (2015) auf Deutsch nachlesbar. Weiger hat sich erfolgreich für eine deutsche Übersetzung eingesetzt. Was wäre gewesen, wenn im Frühjahr 2011 wie ansonsten fast durchgängig in der Geschichte Nachkriegsjapans, die Liberaldemokraten regiert hätten? In dem üblichen Stil?
Hoch industrialisiert. Japan ist einer der hoch industrialisierten Länder der Erde. In vielen Bereichen weltweit führend. In diesem Land waren die Experten total hilflos angesichts der Katastrophe. Beherrschbarkeit wurde zuvor unterstellt. Abweichende Meinungen waren nicht gefragt. Klumpenrisiken, wie man das nennt, wurden nicht beachtet. In dieser Region mögliche Tsunamis trafen auf einen Kraftwerkspark mit 6 Reaktorblöcken. Vier davon wurden schwer beschädigt.
Bagatellisierung. Nach der Katastrophe hat die Regierung versucht und alles dafür getan, das Ausmaß der Folgen der atomaren Bedrohungen herunterzuspielen. Wohlgemerkt, die nach den Wahlen im September 2011 neu gewählte Regierung der Liberaldemokraten, die seither wieder wie zuvor die Mehrheit stellen. Viele Maßnahmen wurden unternommen um den Anschein zu erwecken, als ob die Folgen beherrschbar wären. Beispielsweise wurden große Mengen Böden oberflächlich abgetragen, zusammengetragen und mit Plastik abgedeckt. Tatsächlich gibt es in der Region etwa 70 Prozent der Fläche Wald, wo kein Bodenabtrag möglich ist. Die Regierung weigert sich exakte Messungen auch außerhalb eines 20-km Radius vorzunehmen, damit keine Strahlen Hotspots gefunden werden können. Es wurde beschlossen, dass die Evakuierten zurückkehren dürfen, damit an sie keine weiteren Entschädigungen gezahlt werden müssen.
Vom Wert der Vernetzung. Hubert Weiger und Richard Mergner haben lange vor der Reaktorkatastrophe begonnen, mit japanischen Umweltvereinigungen zusammen zu arbeiten. Es gab intensiven Austausch, wechselseitige Besuche mit Exkursionen vor Ort, um die unterschiedlichen Gegebenheiten zu verstehen, voneinander zu lernen, Vertrauen aufzubauen. Vom 12. bis 14. März 2007 kam eine Gruppe von überwiegend jungen Japanerinnen und Japanern zu der Tagung Umweltorganisationen in Japan und Deutschland. Voneinander lernen - Nachhaltige Entwicklung konkret Tutzing. Die Veranstaltung wurde gemeinsam von einer japanischen Umweltorganisation aus der südlichen Insel Kyushu, dem Bund Naturschutz in Bayern und der Evangelischen Akademie Tutzing ausgerichtet. Vom 15. bis 17. März 2007 schloss sich eine deutsch-japanische Studienreise an, die uns von einer Naturbildungsstätte am Starnberger See über viele Stationen bis zum Nationalpark Bayerischer Wald führte und abschließend zum Umweltzentrum Wiesenfelden führte. Die deutsch-japanischen Begegnungen sind dokumentiert in SHIMADA Shingo, Martin Held, TOYOTA Kenji und Hubert Weiger (2008). Das vertrauensvolle Verhältnis, das in den 2000er Jahren vom Bund Naturschutz mit japanischen Freundinnen und Freunden aufgebaut wurde, war die Voraussetzung dafür, dass Richard Mergner und Hubert Weiger unmittelbar nach der Nuklearkatastrophe die japanischen NGOs im Aufbau einer kritischen Öffentlichkeit unterstützen konnten. Ohne vorherige Beziehungen wäre dies in der Krisenzeit nicht möglich gewesen. Hubert Weiger war bei der ersten zentralen Großkundgebung gegen Atomkraftwerke in Tokio im September 2011 mit über 300.000 Teilnehmenden der einzige Ausländer, der dort auf der Bühne gesprochen hat.
Hoffnung. Das Leid ist nicht auszulöschen. Nicht anders wie bei Pandemien. Es kommt darauf an, weiter zu gehen und Neues aufzubauen. Abschied zu nehmen von den alten Illusionen, die auf der Vorstellung der Beherrschbarkeit, der Machbarkeit und auf Hoffnungen auf rein technologische Lösungen beruhen. Sie sind noch lebendig, wie etwa die aktuellen Diskussionen um Atom-Kleinreaktoren ausweisen. Die mit dem gleichen techno fix angepriesen werden wie eh und je. Diese Technologie ist teuer, gefährlich, friedensgefährdend. Es gibt die Hoffnung, dass wir das hinter uns lassen. Das "wir" ist umfassend gemeint: in Japan ebenso wie in Deutschland, in Fukuoka ebenso wie in München. Es gibt die Hoffnung, dass Fahrt aufgenommen wird in Richtung erneuerbare Energien umzusteuern, anders mit nicht erneuerbaren Metallen umzugehen, Lebensstile weiter zu entwickeln.
Konsequent nachhaltig handeln. Es ist an der Zeit.
Publikationen
- KAN Naoto (2015): Als Premierminister während der Fukushima-Krise. München: Frank Rövekam ludicium. ISBN 978-3-86205-426-8
- SHIMADA, Shingo, Martin Held, TOYOTA Kenji & Hubert Weiger (Hg.) (2008): Voneinander lernen - von Umweltkonflikten zu Lösungen: Deutsch-japanische Begegnungen. Bund Naturschutz Forschung 10
Der Text beruht auf einem Gespräch mit Hubert Weiger, dem ich für den Austausch zu seinen Erfahrungen seiner langjährigen Zusammenarbeit mit japanischen Umweltorganisationen herzlich danke.
konsequent - nachhaltig - handeln war das Motto der diesjährigen Tutzinger Transformations Tagung, die am 8. und 9. Februar 2021 online stattfand. Veranstalter waren neben den Transformateuren der BUND Naturschutz in Bayern, die IG Metall Bayern sowie das Umweltbundesamt.
Quelle: Martin Held (2021): Fukushima - Gedenken an die Reaktorkatastrophe in Japan vor zehn Jahren. München/Tutzing: Transformateure. https://transformateure.org
Kontakt: BUND Naturschutz in Bayern e.V. | hubert.weiger@bund-naturschutz.de | www.bund-naturschutz.de
Technik | Energie, 11.03.2021

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