Geschichtsträchtige Gebäude schaffen besondere Möglichkeiten für nachhaltiges Reisen in Ferienunterkünften mit speziellem Flair. Sie sind attraktiv für Gäste wie für Vermietende.
Licht und Schatten beim gemeinsamen Reisen
Wer bereits die Erfahrung machte, für eine Gruppe eine Reise zu planen, kennt diese Herausforderung: Der Vorfreude auf ein positives Gemeinschaftsgefühl steht die Planung von Aktivitäten, vor allem aber auch die Suche nach einer geeigneten Unterkunft gegenüber. Neben ganz individuellen Wünschen von Reisenden geht es hierbei auch darum, den Anforderungen gemeinsamer Aktivitäten gerecht zu werden.
Unabhängig davon, ob sich eine größere Familie, ein Freundeskreis oder ein Sportteam mit Ausrüstung auf Reisen begibt oder das Off-Site einer Abteilung im Unternehmen veranstaltet werden soll: Der Bedarf nach Raum für gemeinschaftliche Aktivitäten liegt oft über den Möglichkeiten traditioneller Ferienunterkünfte. Er ist eine Hürde für Organisierende. Auch der Idee für das unten skizzierte Projekt geht auf eine Diskussion mit Sportlern zurück, die geeigneten Unterkünften für Ihre Teams suchten.
Aktives Tourismusmarketing
Touristiker und Marketingfachleuten schätzen Events, um ihren Gästen besondere Erlebnisse zu ermöglichen. Segel-, Ballon- oder Motorflugveranstaltungen ziehen meist hunderte oder tausende Zuschauende in ihren Bann. Sie sind zum festen Bestandteil der Veranstaltungskalender mancher Tourismusdestinationen geworden. So ist etwa die meistfotografierte Sportveranstaltung der Welt die Albuquerque International Balloon Fiesta in den USA1. Allerdings, auch Luftsportteams sind Reisende. Sie sind Gäste in einer Region und benötigen Unterkünfte und Raum für das Handling ihrer Sportgeräte. Ganz so wie Radsportler, Langläufer und andere Sportteams.
Stellvertretend repräsentieren Ballonsportler eine Gruppe von Reisenden, die besondere Anforderungen an Einrichtung und Raumverhältnisse einer Unterkunft stellen. Teamorganisatoren suchen daher regelmäßig nach Unterkünften für bis zu 8 Personen in der Nähe zu Veranstaltungsorten. Campingplätze oder Hotels sind nur bedingt eine Option, spezielle Ballonhotels eine Rarität. Tourismusbüros können gerade in der Hauptsaison oder in zeitlicher Nähe zum Veranstaltungsdatum nur begrenzt helfen.
Touristiker oder Vermieter erstellen Anforderungsprofile für die Nächtigung ihrer Zielgruppen. Je kleiner eine (Ziel-)Gruppe ist, desto geringer ist oft das Interesse der Anbieter von Unterkünften, sich mit diesen besonderen Anforderungen zu beschäftigen. Aus Sicht professioneller Objektentwickler ist dies jedoch zu kurz gedacht. Denn die Anforderungen unterschiedlicher Gästegruppen überschneiden sich häufig. Ferner können gerade „enge" Zielgruppen aus Anbietersicht von besonderen Interesse sein. Gerade bei Unterkünften, die „von der Norm abweichen", etwa durch die Lage oder die Objektart, kann es sich daher für Anbieter lohnen, in Richtung mehrerer Zielgruppen zu denken. Dies zeigt auch die summarische Darstellung der Gestaltungsanforderungen von Freiballonteams in der ersten Tabelle. Sie decken sich durchaus mit denen anderer Zielgruppen. Selbst die Anforderungen an Stellmöglichkeiten oder einen „Technikbereich" finden sich ähnlich in anderen Zielgruppen. Wie diesen Anforderungen entsprochen werden und dabei auch die Gedanke nachhaltigen Reisens und der Bewahrung historischer Bausubstanz gefördert werden können, dazu gibt eine nicht ganz alltägliche Projektskizze Impulse.
Historischer Traum oder Abrisskandidat?
Historische Gebäude sind als Unterkunft bei Touristikern beliebt. Sie bieten ein besonderes Flair und nehmen ihre Bewohner mit auf eine Zeitreise. Eine Zeitreise in die Vergangenheit. Geschichten, welche diese Objekte erzählen können, wecken Begeisterung und stellen einen ganz besonderen Gastbezug her. Schließlich schaffen die Sanierung, die Vermarktung wie der Betrieb historischer Immobilien neue Grundlagen für heimatnahes Leben und Arbeiten. Das sind Entwicklungsziele, die sich viele Tourismusgemeinden auf ihre Nachhaltigkeitsagenden geschrieben haben.
Das häufig größere Raumangebot von Unterkünften in historischen Gebäuden weckte das Interesse der Verfasser an einem traditionsreichen bäuerlichen Objekt. Die Immobilie mit einer Grundfläche von 160 m² ist Teil eines einst landwirtschaftlich genutzten Hofensembles mit vier Gebäuden im Bayrischen Wald. In der Nähe von Rachel und Großem Arber gelegen, gehörte das Gebäude zu einem über Generationen geprägten bäuerlichen Betrieb. Seine Wurzeln reichen über drei Jahrhunderte zurück sind bereits im Urkataster aus dem 19 Jahrhundert dokumentiert. Zunächst als Turbinenhaus für die Holzverarbeitung erbaut und so noch auf alten Handkarten erkennbar, wuchs das Gebäude sukzessive. Im Bayrischen ist die Benennung als „Turbine" bis heute ortskennzeichnend. Und noch heute finden sich Spuren ganz unterschiedlicher Nutzungen. Etwa in der ursprünglichen Funktion als Energiequelle und Ort der Holzbearbeitung. Aber auch als Stall oder Unterstand mit Lehmboden für Maschinen und Wägen. Berichte sprechen ebenfalls von der Unterbringung von Kriegsflüchtlingen. Mannshohe mächtige Feldsteinmauern, massive Eichenbalken, noch vorhandene Lager des früheren Energiewandlers oder die regionaltypische Gestaltung der Holzaußenverkleidung beeindrucken und zeugen heute noch von einer wechselhaften Geschichte. Die jüngere Geschichte des Gebäudes öffnet ein weiteres Kapitel: Den Verfall.
Wird ein bäuerlicher Betrieb aufgegeben, folgt daraus oft die Problematik der Nachnutzung von Gebäuden. Diese Problematik verschärft sich, wenn in zeitlicher Nähe eine Übertragung des Hofes auf folgende Generationen ansteht, eventuell gar eine Aufspaltung. Die Hofübergabe kann ohne durchdachtes Konzept über Jahrzehnte gewachsene betriebliche Struktur zerstören und sogar den Bestand der Immobilien bedrohen. Kommen Altenteilsverpflichtungen oder Nießbrauchrechte hinzu, mag jegliches Interesse der Neueigentümer, sich zu engagieren, erlöschen. Nicht selten fehlt nachfolgenden Parteien auch an Weitsicht, Vernetzung, wirtschaftlicher Befähigung oder qualifizierter Beratung, um den Erhalt eines Objekts oder seine Umnutzung zu bewerkstelligen Dem Ausverkauf des Erbes von Generationen steht dann nichts im Weg. Positive Beispiele sind noch zu selten
2.
Für das ehemalige Turbinenhaus gilt Ähnliches. Die aus einer Betriebsteilung hervorgegangenen vier Gebäude der Hofstelle gingen an eine ortsfern tätige Büroangestellte über. Es erfolgten weder eine landwirtschaftliche Nutzung noch eine Umnutzung, obwohl sich Optionen boten. Das Interesse und die Erhaltungsinvestitionen blieben über Jahre gering, so dass das frühere Turbinenhaus einem Abriss auf Raten preisgegeben wurde. Eine zur Hofstelle gehörende Stallung fiel bereits dem Abrissbagger zum Opfer. Dem historischen Erbe des Turbinenhauses droht ein ähnliches Schicksal, wenn der geschichtliche und wirtschaftliche Wert des Objekts nicht erkannt wird.
Architektonisches Konzept für nachhaltiges Reisen
Um der Immobilie mit ihrer historischen Substanz eine Zukunft zu eröffnen und gleichzeitig spezielle touristische Zielgruppen anzusprechen, erarbeiteten die Verfasser einen Vorschlag für eine für die Sanierung und Umnutzung des Gebäudes. Der Vorschlag skizziert eine Nutzung als multifunktional nutzbare Wohn- oder Gewerbeimmobilie vor. Dies umfasst die hier dargestellten Beherbergungsmöglichkeiten für Sportteams, aber auch die Nutzung als Praxis oder als Seniorenwohnung mit Unterkunft für eine Pflegekraft.
Im Entwurf soll das bestehende historisch wertvolle Gebäude in seiner Grundstruktur erhalten bleiben. Eingetretene Bauschäden gestatten dies nur noch zum Teil. Feldsteinmauerwerke, innen wie außen, sowie Holzbalkenelemente werden in das neue Konzept sorgfältig eingebunden. Den erhaltenswerten Wandstrukturen im Erdgeschoss wird eine neue Struktur eingestellt. Gewissermaßen wird in einen historischen Kubus ein moderner Kubus gesetzt. Er kann nutzungsabhängig ausgestaltet und planerisch "gedreht" werden. Die neue Struktur umfasst zwei Geschosse, die über die bestehenden Außenwände ragenden Fassadenteile werden mit aufgearbeitetem Altholz der rückzubauenden Dachflächen verkleidet. Im Innern finden sich offene Raumstrukturen, die eine größtmögliche Flexibilität der Nutzungen ergeben. Auch hier werden bestehende Wandelemente, Holzbalkendecken etc. behutsam in das Raumkonzept eingebunden. Eine großzügige und mit Blick über die Landschaft neu errichtete Dachterrasse ergänzt den offenen Grundriss.
Mit Blick auf die Anforderungen einer wohnwirtschaftlichen oder touristischen Nutzung beinhaltet das Raumkonzept neben dem offen gehaltenen Wohn- und Aufenthaltsbereich zwei weitere Räume im Erdgeschoss sowie ein großes Bad und einen Funktionsraum. Für die Nutzung als Ferienimmobilie können diese Räume als geräumige Schlafräume für mindestens vier Personen dienen. Der Funktionsraum verfügt über eine Zufahrt und kann z.B. als Ballongarage mit Arbeitsbereich genutzt werden. Das Raumkonzept ist flexibel, Räume im Erd- und Obergeschoss können zum Teil getauscht werden. Der Wohn- und Aufenthaltsbereich könnte so direkten Zugang zu einer durch einen Kirschbaum beschatteten Terrasse, einen bereits auf dem Grundstück befindlichen Teich und einen Bachlauf erhalten.
Der Entwurf vereint historisch Gewachsenes und moderne Akzente. Er bewahrt Werte, auch wenn die Schäden, welche Wind und Wetter an der historischen Bausubstanz hinterlassen haben, eine konservierende Sanierung im Originalzustand nicht ermöglichen. Die neu geschaffene Struktur erlaubt nun die Einhaltung aktueller energetischer und baubiologischer Standards. Sie trägt auch dem Grundgedanken nachhaltigen Bauens Rechnung, etwa durch die Verwendung beim Rückbau anfallender Wertstoffe (z.B. Holz). Ähnliche Konzepte nachhaltigen Bauens werden unter Verwendung historischer Substanz von Architekten im englischen Sprachraum im Bereich der „Off Grid Homes" propagiert3.
Tragfähig! Aber …
Die Projektskizze verfolgt bewusst einem aktiven, einen integrativen Ansatz. Sie setzt auf Offenheit für neue Ideen und Vernetzung von Akteuren. Individuell gesehen erlaubt die Skizze einen wirtschaftlich tragfähigen Erhalt eines andernfalls dem Untergang preisgegebenen Gebäudes. Touristisch gesehen entsteht in optimaler Lage ein zielgruppenorientiertes Nischenangebot im Bayrischen Wald. Raumplanerisch wird dem baulichen Kahlschlag eines gewachsenen Ortsbilds entgegengewirkt. Politisch wird schließlich ein Akzent in der Diskussion um Maßnahmen gegen das in ländlichen Regionen verbreitete Dorfsterben gesetzt. Letztlich tritt der Entwurf auf der Verantwortungsebene dem Ausverkauf geschichtlicher und kultureller Werte durch eindimensionales Denken und Handeln entgegen.
Der vorliegende Entwurf versteht sich als Diskussionsbeitrag und Impuls für andere Projekte im Überschneidungsbereich von Tourismus und Architektur. Wann und wie eine Realisierung erfolgt oder aber eine andere Nutzungsmöglichkeit für das Objekt in Betracht gezogen wird, ist noch offen. Oder ob die Memoiren des Gebäudes den Spitznamen „Abrissbirne" neu vergeben? Es bedarf der Offenheit der Beteiligten, neue Wege zu gehen und einen bisher vernachlässigten Schatz zu heben. Historische Gebäude sind voll von Geschichten. Und hier muss das nächste Kapitel muss noch geschrieben werden. Touristiker, Luftsportler und Denkmalbegeisterte drücken dem Projekt die Daumen.
Markus Scholand arbeitet als Partner für Wissens- und Innovationsmanagement im ecofin Verbund (
info@ecofin.de).
Thomas Schreiner ist Gründungsgesellschafter des auf Bausanierung und 3D-basierte Visualisierung spezialisierten Architekturbüros bauconcept (
mail@bauconcept.org).
Die Verfasser danken dem Ballonteam Kretschmann sowie den Mitarbeitenden der Gemeindeverwaltung Lindberg für die Unterstützung bei den Recherchen.
1 Vgl. www.balloonfiesta.com. Auch der deutsche Freiballonsport zählt etwa 20 mittlere oder große Events jährlich, zu denen Teams (inter)national anreisen, Vgl. www.dfsv.de/aktuell/veranstaltungen. Dazu zählen auch große europäische Events der Szene, etwa die Montgolfiade in Warstein oder das Festival Mondial Air Ballons in Lothringen. Vgl. www.warsteiner-wim.de und www.pilatre-de-rozier.com/lmab. Darüber hinaus finden sich zunehmend kleine Luftsporttreffen, zum Teil privat für ein verlängertes Wochenende organisiert, zu denen Luftsportler ihr Sportgerät gerne mitnehmen.
2 Zwar finden sich Beispiele für Konzepte einer zukunftsweisenden Umnutzung und Weiterführung von Hofstätten, etwa das in der Presse beachtete Anwesen „Binder-Blas" in Nandlstadt. Vgl. hierzu etwa den zusammenfassenden Bericht in der Süddeutschen Zeitung vom 13.03.2017. Auch die Denkmalpflege Themen (Nr. 1/2017) illustrieren Musterbeispiele gelungener Sanierungen selten anerkannter niederbayrischer Waldlerhäuser, Vgl. mit einer Zusammenfassung von Fachbeiträgen Das Waldlerhaus. Denkmalpflege Themen, Nr. 1/2017, Bayrisches Landesamt für Denkmalpflege, München 2017.
3 Prominentes Beispiel ist das von Anna Winston beschriebene und von Nathael Dorent Architecture in den Ruinen eines historischen Bauernhauses entworfene 180 m² große Studio im schottischen Dumfries. Vgl. www.nathanaeldorent.com.