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"Wir haben schon jetzt ein gigantisches Defizit in Sachen Generationengerechtigkeit"

Christoph Quarch fordert in der Rentenfrage ein entschiedenes Umdenken

Ein Gutachten des wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium sorgt für Wirbel. Die Forscher schlagen vor, das Renteneintrittsalter im Jahr 2042 auf 68 Jahre zu erhöhen. Die Begründung: Schon ab 2025 drohten „schockartige Finanzierungsprobleme" in der gesetzlichen Rentenversicherung, wenn die Generation der sogenannten Babyboomer das Rentenalter erreicht. Von diesem Zeitpunkt an werden immer weniger Werktätige immer mehr Rentner finanzieren müssen – und das bei steigender Lebenserwartung. Im politischen Berlin stoßen die Vorschläge der Wissenschaftler fast einhellig auf Ablehnung. SPD, Grüne, Linke, AfD und auch der Bundeswirtschaftsminister lehnen den Vorschlag ab. Das Thema Rente scheint tabu.

Herr Quarch, was beschäftigt Sie an der neu entflammten Debatte zur Rente?

© Wilfried Pohnke, pixabay.com© Wilfried Pohnke, pixabay.com
Zunächst einmal, dass sie nicht eher stattgefunden hat. Professor Axel Börsch-Supan, der federführende Autor der Studie, hat zurecht angemerkt, dass es sich mit dem demographischen Wandel ähnlich verhält wie mit dem Klimawandel. Man kennt die Zahlen, man weiß um das Problem, aber man verschließt die Augen davor und macht lieber so weiter wie bisher; schlimmstenfalls verschärft man das Problem sogar. Etwa, indem man wie die Bundesregierung bis 2025 fixe Rentenerhöhungen unabhängig von der Entwicklung der Einkommen verspricht. In der gegenwärtigen pandemischen Situation ist das ein Schuss ins Knie.

Nun ist aber durch das Papier des wissenschaftlichen Beirats die Diskussion in Gang gekommen. Linke-Chefin Susanne Hennig-Wellsow nennt den Vorschlag einen „asoziale Oberhammer" und Arbeitsminister Hubertus Heil warnt davor, ältere Menschen noch weiter zu verunsichern.
Für mich sind das Indikatoren dafür, dass man das Thema nicht anpacken will. Vor allem nicht im Wahlkampf. Aber das ist fatal, denn man wird es anpacken müssen. Machen wir uns klar: Schon jetzt muss der Bund mehr als ein Viertel seines Haushalts aufbringen, um das heutige Rentenniveau aufrecht zu erhalten. In wenigen Jahren wird es die Hälfte sein. Das heißt: Die dann Werktätigen werden die dann Verrenteten nicht nur mit ihren vermutlich sprunghaft gestiegenen Rentenbeiträgen finanzieren müssen, sondern auch mit ihren Steuern. Geld, das aber dringend für Zukunftsinvestitionen, Bildung oder Klimaschutzmaßnahmen aufgebracht werden sollte. Denkt man das zu Ende, wird klar: Wenn etwas asozial ist, dann das bestehende System: Wir bürden den Jungen eine ungeheure finanzielle Last auf. Oder anders gesagt: Wir haben schon jetzt ein gigantisches Defizit in Sachen Generationengerechtigkeit. Daran sollten wir schleunigst etwas ändern; etwa, indem wir Renten senken, um einen Fond für künftige Generationen anzulegen.

Aber die heutigen Rentner erhalten doch nur das Geld, das sie während ihrer Berufstätigkeit erwirtschaftet haben. Da wäre es doch eine schreiende Ungerechtigkeit, ihnen das zu nehmen.
Ja, so denken wir; aber genau da liegt das Problem. Wir glauben, Gerechtigkeit bestehe darin, dass ich das bekomme, was mir zusteht. Das ist aber ein sehr eindimensionales und selbstbezügliches Denken, mit dem wir als Gesellschaft auf Dauer scheitern werden: Weder dem Klimawandel, noch dem demographischen Wandel werden wir beikommen, wenn wir nicht begreifen, dass Gerechtigkeit eine Kategorie ist, das Ganze der Gesellschaft betrifft – und das nicht nur statisch im Hier und Jetzt, sondern dynamisch durch die Zeit. Wie beim Klimawandel müssen wir lernen, diese „Das steht mir zu"-Mentalität abzulegen, komplexer zu denken, die Zeit miteinzuberechnen, um heute gerechte Lösungen für die Zukunft zu finden.

Was könnten solche Lösungen sein?
Ich glaube, das System der Sozialkassen funktioniert nicht mehr. Es stammt aus einer vergangenen Zeit, in der die meisten Menschen in geregelten Arbeitsverhältnissen waren. Das ist vorbei. Deshalb braucht es ein entschiedenes Umdenken. Vielleicht wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen der richtige Ansatz, bei dem Alte wie Junge den gleichen monatlichen Betrag von Staat erhalten. Wobei es noch gerechter wäre, die Jüngeren mit höheren Beträgen zu versehen, vor allem die Familien mit Kindern. Vom heutigen Rentensystem jedenfalls werden wir uns verabschieden müssen – wenn wir es nicht darauf anlegen wollen, dass in naher Zukunft schon der jetzt noch schwelende und tabuisierte Generationenkonflikt um die Ohren fliegt.


Der Philosoph Christoph Quarch schreibt regelmäßig für forum Nachhaltig Wirtschaften. © Christoph QuarchDer Philosoph Christoph Quarch schreibt regelmäßig für forum Nachhaltig Wirtschaften. © Christoph Quarch
Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."

Hören Sie ihn persönlich im SWR-Podcast Frühstücks-QuarchLesen Sie mehr von ihm unter www.christophquarch.de
 
Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel".

Gesellschaft | Politik, 11.06.2021

     
        
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