"Wir haben schon jetzt ein gigantisches Defizit in Sachen Generationengerechtigkeit"
Christoph Quarch fordert in der Rentenfrage ein entschiedenes Umdenken
Ein Gutachten des wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium sorgt für Wirbel. Die Forscher schlagen vor, das Renteneintrittsalter im Jahr 2042 auf 68 Jahre zu erhöhen. Die Begründung: Schon ab 2025 drohten „schockartige Finanzierungsprobleme" in der gesetzlichen Rentenversicherung, wenn die Generation der sogenannten Babyboomer das Rentenalter erreicht. Von diesem Zeitpunkt an werden immer weniger Werktätige immer mehr Rentner finanzieren müssen – und das bei steigender Lebenserwartung. Im politischen Berlin stoßen die Vorschläge der Wissenschaftler fast einhellig auf Ablehnung. SPD, Grüne, Linke, AfD und auch der Bundeswirtschaftsminister lehnen den Vorschlag ab. Das Thema Rente scheint tabu.
Herr Quarch, was
beschäftigt Sie an der neu entflammten Debatte zur Rente?

Nun ist aber durch das Papier des wissenschaftlichen Beirats
die Diskussion in Gang gekommen. Linke-Chefin Susanne Hennig-Wellsow nennt den
Vorschlag einen „asoziale Oberhammer" und Arbeitsminister Hubertus Heil
warnt davor, ältere Menschen noch weiter zu verunsichern.
Für mich sind das
Indikatoren dafür, dass man das Thema nicht anpacken will. Vor allem nicht
im Wahlkampf. Aber das ist fatal, denn man wird es anpacken müssen. Machen
wir uns klar: Schon jetzt muss der Bund mehr als ein Viertel seines
Haushalts aufbringen, um das heutige Rentenniveau aufrecht zu erhalten. In
wenigen Jahren wird es die Hälfte sein. Das heißt: Die dann Werktätigen
werden die dann Verrenteten nicht nur mit ihren vermutlich sprunghaft
gestiegenen Rentenbeiträgen finanzieren müssen, sondern auch mit ihren
Steuern. Geld, das aber dringend für Zukunftsinvestitionen, Bildung oder
Klimaschutzmaßnahmen aufgebracht werden sollte. Denkt man das zu Ende, wird
klar: Wenn etwas asozial ist, dann das bestehende System: Wir bürden den
Jungen eine ungeheure finanzielle Last auf. Oder anders gesagt: Wir haben
schon jetzt ein gigantisches Defizit in Sachen Generationengerechtigkeit.
Daran sollten wir schleunigst etwas ändern; etwa, indem wir Renten senken,
um einen Fond für künftige Generationen anzulegen.
Aber die heutigen Rentner erhalten doch nur das Geld, das
sie während ihrer Berufstätigkeit erwirtschaftet haben. Da wäre es doch eine
schreiende Ungerechtigkeit, ihnen das zu nehmen.
Ja, so denken wir; aber
genau da liegt das Problem. Wir glauben, Gerechtigkeit bestehe darin, dass
ich das bekomme, was mir zusteht. Das ist aber ein sehr eindimensionales
und selbstbezügliches Denken, mit dem wir als Gesellschaft auf Dauer
scheitern werden: Weder dem Klimawandel, noch dem demographischen Wandel
werden wir beikommen, wenn wir nicht begreifen, dass Gerechtigkeit eine
Kategorie ist, das Ganze der Gesellschaft betrifft – und das nicht nur
statisch im Hier und Jetzt, sondern dynamisch durch die Zeit. Wie beim
Klimawandel müssen wir lernen, diese „Das steht mir zu"-Mentalität
abzulegen, komplexer zu denken, die Zeit miteinzuberechnen, um heute
gerechte Lösungen für die Zukunft zu finden.
Was könnten solche Lösungen sein?
Ich
glaube, das System der Sozialkassen funktioniert nicht mehr. Es stammt aus
einer vergangenen Zeit, in der die meisten Menschen in geregelten
Arbeitsverhältnissen waren. Das ist vorbei. Deshalb braucht es ein entschiedenes
Umdenken. Vielleicht wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen der richtige
Ansatz, bei dem Alte wie Junge den gleichen monatlichen Betrag von Staat
erhalten. Wobei es noch gerechter wäre, die Jüngeren mit höheren Beträgen
zu versehen, vor allem die Familien mit Kindern. Vom heutigen Rentensystem
jedenfalls werden wir uns verabschieden müssen – wenn wir es nicht darauf
anlegen wollen, dass in naher Zukunft schon der jetzt noch schwelende und
tabuisierte Generationenkonflikt um die Ohren fliegt.

Gesellschaft | Politik, 11.06.2021

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