Gewässerschutz: Deutsche haben ökologische Grundwerte, aber wenig Bezug zu Fischen
Längsschnittstudie zeigt unterschiedliche Mentalitäten in Deutschland, Frankreich, Norwegen und Schweden
Ein wichtiger Baustein zum Schutz der Biodiversität ist die Bereitschaft der Öffentlichkeit, entsprechende Maßnahmen zu unterstützen. In einer Längsschnittstudie mit jeweils 1.000 Befragten in Deutschland, Frankreich, Norwegen und Schweden untersuchten Wissenschaftler*innen unter Leitung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), welche Werte, Überzeugungen und Normen naturschutzorientiertes Verhalten gegenüber heimischen Flussfischen fördern. Die Studie zeigt: Die Deutschen haben wenig Bezug zu Fischen. Der Schutz von Fischen wird hierzulande eher durch allgemeine pro-ökologische Werthaltungen und Normen gestützt. In Frankreich, Schweden und Norwegen haben heimischen Fischarten hingegen großes Gewicht für das individuelle naturschutzorientierte Verhalten. Die Ergebnisse erklären, warum einige Länder höhere Investitionen in den Fischartenschutz tätigen und warum fischbezogene Themen im politischen Diskurs unterschiedlich stark vertreten sind.
Süßwasserökosysteme beherbergen weltweit etwa ein Drittel aller Wirbeltierarten und 43 Prozent aller Fischarten. In Europa sind mehr als 40 Prozent der heimischen Süßwasserfische bedroht oder bereits ausgestorben: Gewässerverbau, Wasserkraft und Aufstau, Verschmutzung, Klimawandel, invasive Arten und zum Teil auch die Überfischung sind die Hauptursachen dafür. Es hängt also von unserem Handeln ab, wie sich Gewässer und Fischarten entwickeln. Um Flüsse und Fischbestände besser zu schützen, muss man Menschen überzeugen - doch nicht jedes Argument zieht: Wie eine aktuelle Studie zeigt, muss man den kulturellen Kontext beachten, in dem die Öffentlichkeit die Bedrohung der Artenvielfalt wahrnimmt und darauf reagiert.
Die Forschenden des IGB, der Humboldt-Universität zu Berlin und internationale Kooperationspartner*innen nutzten die umweltpsychologische Werte-Überzeugungen-Normen Theorie, um zu untersuchen, wovon umweltfreundliches Verhalten am Beispiel des Fischartenschutzes abhängt. Dr. Carsten Riepe, Erstautor der Veröffentlichung im Fachjournal Society and Natural Resources, betont: "Das Besondere unserer Studie liegt darin, dass wir nicht nur Verhaltensabsichten betrachtet haben, sondern auch das tatsächlich gezeigte Verhalten im Alltag der Menschen erhoben haben - beispielsweise die Spendenbereitschaft von Menschen für Maßnahmen, die dem Fischartenschutz in Flüssen zugutekommen. Das erhöht die Aussagekraft unserer Umfrage enorm."
Gleiche ökologische Grundwerte, unterschiedliche Verbundenheit mit Fischen
Die Befragten in den vier Ländern zeigten ähnliche umweltbezogene Überzeugungen, Einstellungen und Normen. Beispielsweise waren ökologische Grundwerte und der Erhalt der biologischen Vielfalt in und an Flüssen allen Befragten mehrheitlich wichtig. Der überwiegende Teil fühlte sich sogar tendenziell moralisch verpflichtet, Bedrohungen für den Rückgang der Fischartenvielfalt in Flüssen abzumildern.
In den vier Ländern gab es aber auch einige relevante Unterschiede: So deuten die Umfrageergebnisse aus Norwegen - aber auch aus Schweden und Frankreich - auf eine höhere Verbundenheit mit Fischen und der aquatischen Umwelt hin. In diesen drei Ländern war der Schutz heimischer Fischarten ein besonders wichtiger Anreiz für naturschutzorientiertes Verhalten; in Deutschland hingegen hatte der ökologische Gesamtkontext mehr Gewicht. Deutsche zeigten im Vergleich zu den anderen drei Ländern insgesamt wenig Bezug zu Fischen und der aquatischen Umwelt.
Ökologische und gesellschaftliche Länderunterschiede wirken sich auf die gesellschaftliche und politische Wahrnehmung von Fischen und Flüssen aus
"Die vier untersuchten Länder unterscheiden sich in ihren Fischgemeinschaften und dem Zustand ihrer Süßgewässer. Außerdem gibt es kulturelle, freizeitbezogene und sozio-ökonomische Unterschiede. Diese Faktoren beeinflussen auch das naturschutzorientierte Denken und Verhalten in Bezug auf den Fischartenschutz. Die Ergebnisse erklären, warum bestimmte Länder höhere Investitionen in den Fischschutz tätigen, warum fischbezogene Themen unterschiedlich im politischen Diskurs auftreten und warum es zwischen den europäischen Ländern Unterschiede in der gesellschaftlichen Bedeutung und in der Wahrnehmung von Fischen und der Fischerei gibt", erläutert der Projektleiter Professor Dr. Robert Arlinghaus vom IGB.
Wichtige Erkenntnisse für die Umweltbildung
Aus den Ergebnissen leiteten die Forschenden Erkenntnisse für effektive Umweltbildungs- und Interventionskampagnen ab. Diese Maßnahmen - beispielsweise initiiert von Ministerien oder von umweltbezogenen Nichtregierungsorganisationen - brauchen einen argumentativen Rahmen, der den Nerv der Adressaten trifft: "Ein vielversprechender Weg besteht darin, die Kernbotschaft einer Informationskampagne in ein Narrativ einzubetten, das länderspezifische Bezüge zur Art und Weise der Umweltwahrnehmung herstellt. Während Themen und Fakten rund um den Wildlachs oder die Bachforelle Menschen in Norwegen und Schweden begeistern, erreicht man die Deutschen eher mit allgemeinen Themen wie der Wasserqualität oder der Gefährdung der Biodiversität als Ganzes", fasst Carsten Riepe die praktischen Schlussfolgerungen der Studie für die Umweltbildung und -kommunikation zusammen.
Zur IGB-Forschungsgruppe Integratives Angelfischereimanagement:
Unsere Forschungsaktivitäten sind auf die Erarbeitung von belastbaren Grundlagen zur nachhaltigen Bewirtschaftung von wildlebenden Fischbeständen im Kontext der Angelfischerei in Binnengewässern ausgerichtet. Wir verfolgen einen inter- und transdisziplinären Forschungsansatz bei der Analyse der Angelfischerei als gekoppeltes sozial-ökologisches System. Wir bauen Brücken zwischen der Fischereiökologie, der Fischverhaltensökologie, der Fischereievolution und den angewandten Sozialwissenschaften. Neben der Fischpopulationsdynamik nehmen wir auch die Einstellungen und Verhaltensweisen der Angler und der Entscheidungsträger in Vereinen und Behörden in den Fokus. Unsere praxisorientierte Forschungsarbeit gründet auf theoretisch motivierten Analyserahmen und nutzt sowohl empirische als auch Modellieransätze. Wir kooperieren mit vielfältigen Universitäten und Arbeitsgruppen im In- und Ausland. Unsere Praxispartner umfassen Angelvereine, -verbände und die behördliche Verwaltungspraxis sowie die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen.
Über das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB):
Die Arbeiten des IGB verbinden Grundlagen- mit Vorsorgeforschung als Basis für die nachhaltige Bewirtschaftung der Gewässer. Das IGB untersucht dabei die Struktur und Funktion von aquatischen Ökosystemen unter naturnahen Bedingungen und unter der Wirkung multipler Stressoren. Forschungsschwerpunkte sind unter anderem die Langzeitentwicklung von Seen, Flüssen und Feuchtgebieten bei sich rasch ändernden Umweltbedingungen, die Entwicklung gekoppelter ökologischer und sozioökonomischer Modelle, die Renaturierung von Ökosystemen und die Biodiversität aquatischer Lebensräume.
Kontakt: Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) | pr@igb-berlin.de | www.igb-berlin.de
Umwelt | Wasser & Boden, 11.06.2021
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