Deutschlands Brutvögel massiv gefährdet
Neue Rote Liste der Brutvögel Deutschlands erschienen
Die aktuelle Rote Liste der Brutvögel Deutschlands bestätigt, dass bald die Hälfte der heimischen Brutvogelarten bedroht ist. Trotz vielfältiger Schutz- und Erhaltungsmaßnahmen, ist keine Trendumkehr beim Bestandsrückgang erkennbar.
Letzten Donnerstag stellte das "Nationale Gremium Rote Liste Vögel" die aktuelle Rote Liste der Brutvögel Deutschlands der Öffentlichkeit vor. 43 Prozent der 259 regelmäßig in Deutschland brütenden heimischen Vogelarten mussten in die neue Rote Liste aufgenommen werden. Somit steht annähernd jede zweite Brutvogelart auf der neuen Roten Liste und gilt als bedroht.
Der Präsident des Deutschen Rats für Vogelschutz e. V. (DRV), Dr. Andreas von Lindeiner, betonte, dass es vor allem in der höchsten Gefährdungskategorie "Vom Aussterben bedroht" zu einem deutlichen Anstieg kam. Es sind nun 33 Arten oder knapp 13 Prozent der deutschen Brutvogelarten vom Aussterben bedroht, darunter Arten wie Raubwürger oder Knäkente. Dies betrifft auch Arten, die schon lange im besonderen Fokus des Artenschutzes stehen, wie Uferschnepfe, Großtrappe oder Auerhuhn.
Dr. Hans-Günther Bauer, Sprecher des Rote Liste Gremiums:
"Der Zustand der deutschen Brutvogelwelt ist somit nach wie vor als ausgesprochen kritisch zu bewerten. Trotz vielfältiger Schutz- und Erhaltungsmaßnahmen, die von einer großen Zahl von Institutionen, Vereinen und Verbänden, vor allem aber auch einer sehr großen Zahl ehrenamtlich Aktiver umgesetzt werden, ist eine Trendumkehr bislang nicht erkennbar."
Trotz negativer Gesamtentwicklung vereinzelt positive Trends
Erfreulicherweise zeigt sich aber auch in dieser Liste, dass eine langfristige, kontinuierliche und fachlich fundierte Vogelschutzarbeit lohnenswert ist: So konnte mit dem Weißstorch eine weitere charismatische Brutvogelart, die jahrzehntelang Ziel intensiver Schutzbemühungen war, in die "Vorwarnliste" überführt und somit aus der eigentlichen Roten Liste entlassen werden. Dass Arten wie Steinkauz, Gartenrotschwanz und Wendehals in ihrem Gefährdungsgrad herabgestuft werden konnten, hat mit konkreten Schutzmaßnahmen zu tun, wie der Verbesserung des Nistplatzangebots.
Lage der "Agrarvögel" besonders bedrohlich
Vor allem in der (halb-)offenen Agrarlandschaft ist der anhaltende und dramatische Bestandsrückgang fast aller Brutvogelarten nicht gestoppt. Wiesenvogelarten, wie Bekassine, Uferschnepfe oder Brachvogel, die früher ganze Landstriche charakterisierten, sind heute ausnahmslos "Vom Aussterben bedroht". Mit Wiesenpieper oder Kiebitz mussten ehemals häufige bis sehr häufige Arten unverändert in die Kategorie "Stark gefährdet" eingeordnet werden. Mit der Sperbergrasmücke, dem Feldschwirl oder dem Rotschenkel sind weitere Arten dieser Lebensräume in der aktuellen Roten Liste hochgestuft worden.
Viele Arten erleiden in der Agrarlandschaft, die annähernd die Hälfte der Fläche Deutschlands ausmacht, massive Bestandsrückgänge, die sich noch gar nicht in der Liste abbilden. So sind die Bestände vieler ehemals noch sehr häufiger Vogelarten, wie von Star oder Feldlerche, massiv zurückgegangen.
Gemäß den Zielen der neue EU-Biodiversitätsstrategie sollen 30% aller gefährdeten Arten bis 2030 in einen guten Erhaltungszustand gebracht werden. Jedoch wurden bereits die Ziele für 2010 und 2020 verfehlt. Die neue Rote Liste der Vögel legt hier klar den Finger in die Wunde: Unverändert gilt fast die Hälfte aller Arten als gefährdet. Eine Trendwende muss bei einer naturverträglichen Agrarpolitik und verstärkten Anstrengungen beim Schutz von Insekten, der Hauptnahrung vieler gefährdeter Arten, ansetzen.
Das "Nationale Gremium Rote Liste Vögel" fordert daher die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft auf, endlich konsequent Maßnahmen gegen den Vogelartenschwund einzuleiten und umzusetzen. Diese müssen in Intensität und Flächengröße prioritär dem Agrarraum in Deutschland gelten und umfassend der Bewirtschaftung der Flächen, dem Angebot an vielfältigen Vegetationsstrukturen in der Offenlandschaft, wie auch der Nähr- und Schadstoffsituation gelten. Darüber hinaus ist ein umfassendes deutsches Vogelschutz-Programm nötig.
Gemeinsame Anstrengungen für eine Trendumkehr
Die bislang erzielten beachtlichen Erfolge im Vogelschutz zeigen, dass eine Trendumkehr in vielen Bereichen möglich ist. Allerdings sind nun verstärkte Anstrengungen und eine querschnittsorientierte und integrierte Biodiversitätspolitik nötig, gerade auch in Anpassung an den Klimawandel. Die gesellschaftliche Unterstützung für den Vogelschutz und die Artenvielfalt sind in Deutschland bereits stark gewachsen. Nun muss auch die Politik handeln und Maßnahmen ergreifen.
Hintergrund
Das Nationale "Nationale Gremium Rote Liste Vögel" ist ein vom Deutschen Rat für Vogelschutz e. V. eingesetztes Gremium, welches die Rote Listen eigenständig und eigenverantwortlich erstellt. Es setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern des DRV (Dr. Hans-Günter Bauer), der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (Torsten Ryslavy, Vogelschutzwarte Brandenburg), der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft (Peter Südbeck), des Dachverbandes Deutscher Avifaunisten (Dr. Christoph Sudfeldt), der deutschen Vogelwarten (Dr. Ommo Hüppop) und des Bundesamtes für Naturschutz (Dr. Jasmina Stahmer) zusammen.
Alle sechs Jahre wird die Gefährdung aller Brutvogelarten nach einheitlicher Methodik und auf Daten basierend analysiert. Dies erlaubt eine vergleichbare Gesamteinschätzung der Situation aller Brutvögel in Deutschland.
Kategorien der Roten Liste
0 Ausgestorben oder verschollen1 Vom Aussterben bedroht
2 Stark gefährdet
3 Gefährdet
R Extrem selten
V Vorwarnliste
Die Rote Liste der Brutvögel Deutschlands ist erschienen in den "Berichten zum Vogelschutz" 57 (2020): 13 - 112.
Umwelt | Biodiversität, 28.06.2021
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