Beobachtungen aus der Praxis

Fünf Gründe, warum Diversity oft scheitert – und was Unternehmen dagegen tun können

Mitten in Europa, und trotzdem vor allem Deutsch: Ein Vorwurf, den sich deutsche Unternehmen bis heute gefallen lassen müssen. Dabei stimmt das nicht durchgängig. Viele Firmen haben zuletzt intensiv an einer stärkeren Diversity gearbeitet. Da, wo es trotzdem nicht klappt, lassen sich oft ähnliche Hinderungsgründe feststellen. Kathrin Schulte und Ulrike Simon, Senior Client Partner bei der Personal- und Organisationsberatung Korn Ferry, berichten aus ihren Beobachtungen, was Unternehmen, in denen Diversity nicht gelingt, nach wie vor falsch angehen. Und zeigen auf, wie sie diese Probleme auf dem Weg zu diversen und inklusiven Unternehmen lösen können.
 
1) Frauen im Fokus: Diversity wird nur unter Gender-Fragestellungen betrachtet
Beobachtungen aus der Praxis: Was Unternehmen, in denen Diversity nicht gelingt, nach wie vor falsch angehen. © Geerd Altmann, pixabay.comLösungsansatz: Verständnis von ‚Diversity‘ als breiter Mix aus Geschlecht, Alter, Nationalitäten, kultureller, fachlicher und beruflicher Hintergründe – im besten Fall die eigenen Kunden und zukünftig relevanten Eco-Systeme spiegelnd
 
„Das Gender-Thema in Deutschland hat eindeutig eine Berechtigung. Denn die Ungleichmäßigkeit bei der Zusammensetzung von Führungsgremien, bei dem geringen Anteil von weiblichen Führungskräften gerade in Schlüssel-Branchen ist nicht zu übersehen. Deutschland hat Nachholbedarf", sagt Kathrin Schulte, Executive-Search-Beraterin bei Korn Ferry. „Aus unternehmerischer Sicht geht es aber weniger um Gerechtigkeit, als vor allem um den Mehrwert einer diversen Mannschaft. Im besten Fall spiegelt sie die Unterschiedlichkeit der eigenen Kunden. Denn das bietet die Chance, langfristig die Bedürfnisse dieser Kunden zu verstehen, Markttrends schnell zu antizipieren und umzusetzen. Die Debatte in den Unternehmen sollte darum stärker unter der Fragestellung geführt werden: Bilden wir die Realität unserer Kunden und Eco-Systeme ab? Und auf dieser Basis gilt es eine diverse Organisation zu entwickeln, die neben dem Geschlecht vielen weiteren Faktoren wirklich Rechnung trägt."
 
2) Homogenität im Führungsgremium: Entscheidungen sollen vorhersehbar und rasch umsetzbar bleiben
Lösungsansatz: Qualität von Entscheidungen als wichtigste Prämisse definieren – und einen klar definierten Entscheidungsprozess etablieren
 
Homogenen Führungsgremien gelingt es häufig schnell zu einem gemeinsamen Verständnis und damit zu gemeinsamen Entscheidungen zu kommen. „Und das ist vielfach ein ganz klarer Vorteil", sagt Ulrike Simon, Spezialistin für Organisationsentwicklung, Assessment und Leadership Development bei Korn Ferry. „Präziser: ein Vorteil gewesen. Mit zunehmender Komplexität, auf der Entscheidungen heute basieren, stellen sich zu schnelle Beschlüsse im Nachhinein oft als falsch heraus. Das kann richtig teuer werden." Die Korn-Ferry-Expertin empfiehlt darum, die Relevanz der Qualität von Entscheidungen in den Vordergrund zu stellen. „Schnell entscheiden, schnell korrigieren. Klingt einfach, klappt in der Realität oft nicht", sagt Simon. „Es ist deutlich effizienter, im Vorfeld Entscheidungen aus einer größeren Vielzahl an Perspektiven zu betrachten." Diese Perspektiven kann ein heterogenes Führungsgremium deutlich stärker einbringen als eine homogene Gruppe. Um trotzdem Geschwindigkeit sicherzustellen, gilt es Offenheit und Toleranz im Umgang mit Unsicherheit mitzubringen sowie sinnvolle Entscheidungsprozesse zu etablieren. Simon: „Diversität darf keine Einladung zum Bilden von Stuhlkreisen sein. Wer Heterogenität zulässt, braucht eine offene Diskussionskultur bei gleichzeitig klaren Entscheidungsroutinen. Diversität fängt im Führungsgremium an, nicht in der Werkshalle."
 
3) Reproduktionseffekt in der Rekrutierung: Kompetenz- und Erfahrungsraster werden zu eng definiert
Lösungsansatz: Führungsqualitäten, Potenzial, kulturelle Adaptionsfähigkeit, Agilität und emotionale Intelligenz mit fachlicher Expertise und Erfahrungen gleichstellen
 
„Immer wieder hören wir: Bringen Sie uns Kandidatinnen und Kandidaten mit neuen Ideen, die hier frischen Wind reinbringen", sagt Kathrin Schulte. „Wenn es dann an die Beschreibung der notwendigen Kompetenzen und gemachten Erfahrungen geht, wird schnell klar: diese Festlegungen lassen nur Kandidatinnen und Kandidaten zu, die das bisherige Anforderungsprofil an die Rolle erfüllen. Denn wer diese Kompetenzen gesammelt und Erfahrungen gemacht hat, der wird über einen sehr ähnlichen Lebenslauf verfügen." Unternehmen wollen damit absichern, dass Positionen in einer vergleichbaren Qualität ausgefüllt werden können. „Der Sicherheitsaspekt ist nachvollziehbar. Gleichzeitig wird es damit aber selten divers, denn zu Diversität gehört auch eine gehörige Portion Mut, das Andere und Neue zuzulassen." Die Executive-Search-Beraterin rät dazu, die Auswahlkriterien zu erweitern und anders zu gewichten. „Führungskompetenz, kulturelle Adaptionsfähigkeit, -Agilität und emotionale Intelligenz sind entscheidende Persönlichkeitsmerkmale, die es auch bei einer eher fach- oder branchenfremden Person ermöglichen einzuschätzen, wie erfolgreich sie in einem neuen Umfeld bestehen kann", sagt Schulte. „Unternehmen, denen das gelingt, können aus einem deutlich größeren Pool an Kandidatinnen und Kandidaten auswählen, die dann wirklich neue Impulse in ihrer neuen Rolle setzen können."
 
4) Organisation nicht vorbereitet: Diverse Kandidatinnen und Kandidaten können nicht Fuß fassen
Lösungsansatz: Vor der Rekrutierung von neuen Persönlichkeiten müssen die künftige Rolle und die Herausforderungen klar umrissen und in die Entscheidungsstrukturen der Organisation eingebettet werden
 
Vor rund fünf Jahren gab es den Trend in deutschen Unternehmen, Chief Digital Officers (kurz: CDO) aus Silicon-Valley-Firmen zu rekrutieren. „Viele CDOs sind relativ schnell gescheitert", sagt Ulrike Simon. „Der Grund lag manchmal bei ihnen selbst, wenn sie sich nicht wirklich auf ihr neues Umfeld einlassen wollten. Aber sehr häufig war auch zu beobachten, dass ihnen vorhandene Strukturen einfach keine realistische Chance gelassen haben. Zum Beispiel, weil sie an die falsche Person berichtet haben. Ihnen keine faktische Entscheidungsgewalt übertragen wurde. Sie ohne Stäbe, ohne Gestaltungsverantwortung und ohne Hausmacht die Kernprozesse des Unternehmens verändern sollten. Das konnte nicht gutgehen, denn Organisationen haben die Tendenz, Fremde entweder schnell zu assimilieren oder abzustoßen." Die Unternehmen hätten ihre Organisationen auf die neue CDO-Rolle und deren Rolleninhaber vorbereiten und ganz klare Ziele, Zuständigkeiten und Rahmenbedingungen verankern müssen. Wo das erfolgt ist, konnten die CDOs einen wertvollen Beitrag leisten. „Abseits des Schaffens der richtigen Strukturen gibt es eine weitere pragmatische Vorgehensweise, wie Unternehmen die Akzeptanz für diverse Neuankömmlinge verbessern und ihnen bei der Wirkungsentfaltung helfen können: sie rekrutieren nicht eine Person, sondern mindestens drei auf unterschiedlichen Positionen. Denn je größer die neue Gruppe an diversen Menschen an unterschiedlichen Stellen ist, desto stärker entwickelt sich eine Offenheitskultur. Einer oder eine allein steht auf verlorenem Posten."
 
5) Erfolg nicht gewürdigt: Keine Kommunikation positiver Beispiele
Lösungsansatz: Erfolge erkennen und sichtbar machen – nüchtern in der Sprache (keine Werbung!), aber bestimmt und mit Stolz
 
Rekrutierung von diversen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geht gerade in deutschen Unternehmen auch immer mal wieder schief. „Die hier benannten CDOs sind nur ein Beispiel dafür", sagt Ulrike Simon. „Und darüber wird dann auch ausführlich gesprochen." Was der Korn-Ferry-Beraterin zufolge Unternehmen aber viel zu oft übersehen oder nicht genügend wertschätzen, sind die Erfolge. „Wenn es gelingt, Diversität herzustellen, dann sollten Unternehmen auch laut darüber sprechen und es ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern genauso wie einer interessierten Öffentlichkeit mitteilen", sagt Simon. „Nicht mit Werbe-Sprache und nicht Effekt-heischend, eher nüchtern in der Sprache. Aber bestimmt und stolz. Nur wer Positives benennt, kann davon ausgehen, dass es wahrgenommen wird." Das führt auch dazu, dass sich das Image eines Unternehmens für den Bewerbermarkt sowohl auf der Ebene der Führungskräfte als auch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern deutlich verbessern kann. Ulrike Simon sagt: „Unternehmen, die ihre gelebte Diversität glaubhaft kommunizieren können, werden attraktiver. Das öffnet den Pool für noch mehr interessante Kandidatinnen und Kandidaten in der Zukunft."
 
Kontakt: Korn Ferry (DE) GmbH | xenia.vonschroeder@kornferry.comwww.kornferry.com

Wirtschaft | Führung & Personal, 29.06.2021

     
        
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