Mehrgenerationenhaus Dauerwald
Seit 100 Jahren innovativ
Das zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte Dauerwald-Konzept ist eine ökologisch und ökonomisch nachhaltige Alternative zur heute verbreiteten Betriebsform des Altersklassenwalds. Strukturelle Widerstände erschweren jedoch die großflächige Umsetzung.
Deutschland wird seit 2018 von einer neuen Waldkrise heimgesucht. Die abgestorbene Waldfläche erstreckt sich über rund 300.000 ha, was der Gesamtfläche der Bundesländer Bremen und Saarland entspricht. Politik und Forstwirtschaft nehmen Bezug auf die erste große Waldkrise Ende der 1970er Jahre und sprechen vom Waldsterben 2.0. Waren es damals Luftschadstoffe, die zum Absterben von Fichtenwäldern infolge des sogenannten Sauren Regens führten, ist es heute die Sommertrockenheit der Jahre 2018-20. Doch es gibt einen versteckten Zusammenhang beider „Wald"-Krisen, die sie als Krisen der Forstwirtschaft entlarven und den Blick auf hausgemachte Missstände lenken.
Es geht auch anders
Tatsächlich gibt es Forstbetriebe in Deutschland, die nicht unter der Trocknis leiden und in denen keine Kahlflächen zu beklagen sind. Schätzungsweise 200 vorwiegend private Forstbetriebe arbeiten nach einem anderen waldbaulichen Betriebsmodell als der große Rest. Das sind insbesondere die angeblichen Vorbildbetriebe der öffentlichen Hand unter Führung von Lebenszeitbeamten im Staats- und Kommunalwald. Letztere machen rund 50 Prozent der deutschen Waldfläche aus; die staatlichen Forstbeamten betreuen noch zusätzlich das Gros aller kleineren Privatwälder, die sich wegen ihrer geringen Betriebsgröße kein eigenes Fachpersonal leisten können. Diese Einheitsforstverwaltung, ein organisatorisches Relikt der Autarkie-Politik zur Kriegsvorbereitung im „Dritten Reich", konnte sich als berufsständisches Tafelsilber gegen jede Kritik, zuletzt des Bundeskartellamts, erfolgreich in unsere Zeit hinüberretten. Wir können also von unserer Forstwirtschaft als von einem beamteten Oligopol sprechen. Doch was hat das mit dem Waldsterben 2.0 zu tun?
Es gibt, wie gesagt, wunderschöne und gleichzeitig hochrentable Wälder in Deutschland, die heute prächtig dastehen, als wenn es keine Trockenjahre gegeben hätte, und deren Eigentümerinnen und Eigentümer nicht nach Subventionen rufen, weil sie keine Flächenschäden zu beklagen haben, die es jetzt wiederaufzuforsten gälte. Und dieser kleine Unterschied wird umso deutlicher, wenn es sich um Forstbetriebe handelt, die seit mehr als 15 Jahren nach einem alternativen Waldbaukonzept arbeiten, dem Dauerwald-Konzept. Dauerwälder sind strukturreiche Mischwälder mit einer sanften und kontinuierlichen Waldbewirtschaftung. Damit sich die natürlichen Waldfunktionen entfalten können, stehen Bodenschutz, Naturverjüngung und striktes Kahlschlagsverbot im Zentrum des Konzepts.
Holz ernten wie eine Frucht
Vorgedacht wurde das Konzept, das im Ausland längst als zielführend für die Klima-Zukunft und deswegen als revolutionär angesehen wird, vor hundert Jahren (1919-22) von dem deutschen Waldbauprofessor Alfred Möller. Möller sprach von Dauerwald, weil er – nach Erfahrungen im Amazonas-Urwald – ein waldbauliches Konzept suchte, das dauernd Holz zu erzeugen im Stande sein sollte. Er suchte nach einer Alternative zum damals wie heute vorherrschenden Konzept des stets gleichalten und an Baumarten armen Forstes, des sogenannten Altersklassenwaldes, den er darum treffend als Holzackerbau bezeichnete. Möller forderte, das Holz solle geerntet werden wie eine Frucht, der Wald aber müsse bestehen bleiben.
Die Überführung eines Altersklassenforstes zum Dauerwald beginnt mit der Umstellung sämtlicher Holznutzungen auf die selektive Einzelbaumnutzung (Plenterung). Von Beginn an fallen damit wesentliche Kosten des Forstbetriebs weg. Das angestrebte Mehrgenerationenhaus des Waldes, das dauernd Holz bester Güte und höchster Masse produziert, wird schon nach ca. 45 Jahren erreicht und wird in diesem Zustand dauerhaft gehalten. So ergibt sich eine nachhaltige Alternative zur flächenhaften, schlagweisen Nutzung im Altersklassenwald. Letzterer erzeugt immer dann, wenn das Zielalter erreicht wird, zwangsläufig einen aussetzenden Betrieb, weil der nachfolgende Jungwald über mehrere Jahrzehnte erst zu nutzbarer Stärke heranwachsen muss. Deswegen entfallen rund 35–50 Prozent seiner Betriebsfläche für die jährliche Holznutzung und verursachen solange nur Kosten. Das widerspricht vollständig dem natürlichen Lebenszyklus unserer Wälder und hat erhebliche ökonomische Folgen: die hohen Kosten für die künstliche Wiederaufforstung, Jungbestandspflege und den sonst überflüssigen, technischen Forstschutz. Dies alles können sich Dauerwaldbetriebe sparen. Der bedeutendste Unterschied ist aber ihre hohe Resilienz gegen jede Art von Störungen, seien es Borkenkäfer, Kalamitätsentwaldung, Brand u.v.m. – insbesondere auch gegen die Sommertrockenheit, wie wir sie in Zukunft verstärkt zu erwarten haben. Und nicht zuletzt entstehen so unvergleichlich schöne Mischwälder, die stets ein Mehrgenerationenhaus bilden, das die nachwachsenden Bäume im natürlichen Schutz der Elternbäume heranzieht.
Strukturelle Widerstände
Sie fragen, warum wir den Dauerwald, dieses wunderbare System der Holzerzeugung, nicht schon längst überall haben? Tatsächlich hat sich vor allem die Forstwissenschaft strikt geweigert, ihre Geburtsgeschichte, nämlich den Wiederaufbau zerstörter Wälder um 1800 auf häufig kahlen Flächen durch Neuanpflanzung, kritisch aufzuarbeiten, sich der systemischen Holzerzeugung zuzuwenden und sie mit dem Wissen der Kybernetik zu erforschen. Stattdessen setzt sie weiterhin auf den naturfernen Altersklassenwald. Das widerspricht allerdings dem Anscheinsbeweis, dass das Dauerwald-Prinzip in einigen Großprivatwäldern seit Alfred Möller, also seit 100 Jahren, mit größtem wirtschaftlichem Erfolg, sogar höheren Nutzungsraten und besonders krisensicheren Wäldern angewandt wird – nicht etwa zur Förderung der Ökologie, sondern primär zur Sicherung von Rentabilität und Vermögen. Einen wichtigen Fingerzeig gibt uns dazu die Geschichte der Dauerwald-Idee, denn ihre mitunter beeindruckendsten Erfolge zeigen häufig Betriebe von forstlichen Autodidakten, die das forstliche Standard-Rüstzeug der etablierten Forstwissenschaft nicht erlernt hatten, sondern allein mit anerzogener Waldliebe und von Kindheit an mit wachem Auge (Empirie) die Entwicklung ihrer ererbten Wälder vorantrieben.
Wilhelm Bode, Jurist und Forstakademiker, leitete zunächst die Landesforstverwaltung und später die oberste Naturschutzbehörde des Saarlandes. 1987 führte er erstmalig die kahlschlagfreie Dauerwaldwirtschaft in einem Bundesland flächendeckend ein. Bode initiierte u.a. die heutige Biosphärenregion Bliesgau und 2004 die Ausweisung alter Buchenwälder als deutschen Beitrag zum UNESCO-Weltnaturerbe Europäische Buchenwälder.
Quelle: BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
Umwelt | Naturschutz, 01.06.2021
Dieser Artikel ist in In einer Zeit, in der Angst Einzug in der Gesellschaft hält, macht forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2021 Mut. - Sicher!? erschienen.
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