Unabhängigkeit vor Nachhaltigkeit:
Deutsche wollen Mobilitätswende, aber scheuen Kosten
Repräsentative Umfrage von Norstat untersucht Zustimmung der Deutschen zu alternativen Mobilitätsangeboten vor der Bundestagswahl 2021
Der Verkehrssektor gehört weltweit mit zu den größten CO2-Verursachern. In der EU wurden 2018 rund 888 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen. Dabei entfiel der größte Teil der Emissionen (62 Prozent) auf den Individualverkehr. Da auch in Deutschland die Folgen des Klimawandels immer stärker zu spüren sind, spielt das Thema Mobilität der Zukunft eine entscheidende Rolle im Kampf gegen den Klimawandel. Das zeigt sich auch im Wahlkampf im Vorfeld der Bundestagswahl.
Eine neue repräsentative Online-Umfrage des Felddienstleisters Norstat hat nun die Bereitschaft der Deutschen untersucht, ihr Mobilitätsverhalten den geänderten Anforderungen der Klimakrise anzupassen. Die Ergebnisse zeichnen laut Sebastian Sorger, Managing Director von Norstat Deutschland, ein klares Bild: „Klimaschutz ist wichtig, aber sobald es an den eigenen Geldbeutel geht, stoppt der Enthusiasmus der Deutschen."
Die wichtigsten Ergebnisse der Norstat-Umfrage zusammengefasst:
Umweltzonen und Steuern
„Insgesamt zeigt unsere Umfrage, dass die Deutschen durchaus offen sind für Maßnahmen, die das Klima schonen. Doch trotz dieser Offenheit stoßen hohe Spritpreise und steigende Steuern zur Erreichung der Klimaziele auf große Ablehnung. Mehr als die Hälfte der Befragten widersprechen einem Anstieg der Benzinpreise, bei Steuererhöhungen sind es sogar fast zwei Drittel", so Sorger.
- Rund die Hälfte (47 Prozent) der Befragten zeigt sich mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zufrieden, dass gegen Deutschland Strafzahlungen oder Auflagen bei Nichteinhaltung der Maßnahmen zur Luftreinhaltung verhängt werden können.
- Auf noch größere Zustimmung trifft die Einführung sogenannter Umweltzonen. Etwa 61 Prozent der Befragten geben an, dass Sie die Einführung befürworten.
- Gegen einen Anstieg der Benzinpreise, als Folge der Emissionsreduzierung, sprechen sich 57 Prozent der Befragten aus. Ebenso sind 63 Prozent der Teilnehmer gegen eine Steuererhöhung, um die Klimaziele erreichen zu können. Die Ablehnung ist hier in der Altersgruppe 60+ (73,2 Prozent) und unter Befragten, die im ländlichen Raum wohnen (65,6 Prozent) am größten.
Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) und Sharing-Angebote
„ÖPNV und Sharing-Angebote überzeugen die Deutschen bisher nicht. Trotz regionaler Unterschiede nutzten vor Corona nur die wenigsten Deutschen ÖPNV- und Sharing-Angebote regelmäßig. Um die Klimaziele zu erreichen, muss hier mehr Akzeptanz geschaffen werden. Insgesamt zeigt sich aber eine größere Bereitschaft der jüngeren Generationen, Alternativen zum Auto zu suchen und diese auch zu nutzen", erklärt Sorger.
- Nur 13 Prozent der Befragten nutzten vor der Pandemie den Bus zwei bis drei Mal die Woche. 53 Prozent gaben gar an, dass sie noch nie die Straßenbahn genutzt haben.
- Für ein sogenanntes Bürgerticket, also ein Jahresabo für den ÖPNV, liegt der für die Befragten angemessene Preis bei monatlich 30 Euro. Insgesamt sind Bewohner von Großstädten bereit etwas mehr zu bezahlen.
- Lediglich 19 Prozent gaben an, schon einmal sogenannte Sharing-Angebote (Auto, Roller, Fahrrad, etc.) genutzt zu haben, wobei die Zahl für Befragte, die in Großstädten leben auf 26 Prozent steigt.
- 39 Prozent wollen nach der Pandemie den ÖPNV wieder stärker nutzen. Unter den 18-29-Jährigen liegt dieser Wert bei 51,5 Prozent.
Elektromobilität
„Die Zustimmung für E-Mobilität, insbesondere E-Autos, fällt sehr niedrig aus. Rund die Hälfte der Befragten möchte nicht auf E-Mobilität umsteigen. Dies geht einher mit einer als schlecht eingeschätzten Infrastruktur, insbesondere im ländlichen Raum. Hier wartet auf die nächste Regierung die große Aufgabe, der Skepsis der Bürger konstruktiv zu begegnen", so Sorger weiter.
- Ein nicht unwesentlicher Teil der Befragten ist in Bezug auf alternative Antriebe skeptisch. So geben 47 Prozent der Befragten an, dass sie überhaupt nicht auf E-Mobilität umsteigen würden.
- Die Bereitschaft ist unter Befragten, die in Großstädten leben mit 24 Prozent höher als im ländlichen Raum (18,7 Prozent).
- Nur 38 Prozent der Befragten sehen das Elektroauto als den Antrieb der Zukunft.
- Die hohe Ablehnung des individuellen Umstiegs auf E-Mobilität geht einher mit der Bewertung der Verlässlichkeit bei der Nutzung von E-Autos. So bewerten 45 Prozent der Befragten diese als unzuverlässig.
- Insbesondere in Bezug auf den ländlichen Raum ist diese Skepsis am weitesten verbreitet. So bewerten lediglich 16 Prozent der Befragten die Infrastruktur für E Autos im ländlichen Raum als sehr gut.
Ausbau der Infrastruktur
„Unsere Umfrage zeigt, dass die Deutschen bereit sind im Fernverkehr auf die Bahn umzusteigen, solange die Infrastruktur stimmt. Das ist ein konkreter Ansatzpunkt für die Politik. Ebenso spricht sich ein Großteil der Befragten für den Ausbau von Radwegen aus. Auch hier scheint also noch Verbesserungsbedarf zu bestehen", erläutert Sorger.
- Die meiste Unterstützung erfahren der Ausbau der Bahnverbindungen mit 74 Prozent wie auch der Ausbau der Radwege mit 71 Prozent.
- Am wenigsten befürworten die Teilnehmer die Einführung eines Tempolimits von 30 Stundenkilometern in den Städten (39 Prozent Zustimmung).
- Dem Ausbau von ähnlich in den Stadtverkehr eingreifenden weitläufigen Fußgängerzonen stimmen jedoch mehr als 61 Prozent zu.
- Der Ausbau des Autobahnnetzes hat unter den Deutschen keine hohe Priorität (44 Prozent Zustimmung).
Fazit
Sebastian Sorger, Managing Director von Norstat: „Insgesamt zeigt sich, dass in der Bevölkerung zwar der Wille besteht, die Klimaziele zu verfolgen und dieser zuweilen sogar stark ausgebildet ist. Unabhängigkeit im Verkehr ist unserer Umfrage nach aber noch wichtiger als Nachhaltigkeit. Die Umstellung auf alternative Antriebe überzeugt die Deutschen dabei insgesamt ebenso wenig, wie die Nutzung von ÖPNV und Sharing-Diensten. Extraausgaben für mehr Nachhaltigkeit stehen viele ablehnend gegenüber. Doch gerade bei den unter 46-Jährigen kann eine Tendenz des Umdenkens erkannt werden. Die Aufgabe der Politik ist klar, wenn auch nicht einfach: Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit leisten sowie funktionierende und umsetzbare Lösungen liefern."
Technik | Mobilität & Transport, 31.08.2021
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