Mehr Umsatz durch attraktive Stadtgestaltung
Profit durch Mobilitätswende
Wenn in Innenstädten ein Radweg oder eine Fußgängerzone eingerichtet werden sollen, dauert es meist nicht lange, bis in der Zeitung das Foto eines erbosten Einzelhändlers oder einer Einzelhändlerin erscheint. Mit verschränkten Armen und bösem Blick wird vor der „Apokalypse" für die lokalen Geschäfte gewarnt, weil der Platz zum Abstellen privater Pkws reduziert werde. Die Zeitung berichtet unter der Überschrift „Niedergang des Einzelhandels", etablierte Wirtschaftsverbände sehen „das Ende vieler Innenstadthändler*innen" heraufziehen. Dabei profitiert der lokale Einzelhandel sogar von der Mobilitätswende und sollte sich dafür einsetzen.
Mit der Wirklichkeit haben diese Schreckensszenarien nichts zu tun: Eine am IASS Potsdam durchgeführte Studie stellte ganz im Gegenteil am Beispiel Berlin fest, dass auf zwei ausgewählten Einkaufsstraßen nur 6,6 Prozent der Menschen mit dem Auto zum Einkaufen kamen. Die große Mehrheit – 93,4 Prozent – erreichten die Einkaufsstraßen also nicht mit dem Auto. 91 Prozent des Geldes, das die Kund*innen in den lokalen Geschäften ließen, kam aus dem Geldbeutel derjenigen, die zu Fuß, mit dem Rad, oder mit dem ÖPNV unterwegs waren. Diejenigen, die zum Einkaufen mit dem Auto in die Stadt fahren, sind nur für 8,7 Prozent der Umsätze verantwortlich.
Dieser Befund kommt keineswegs überraschend. Er deckt sich mit Studien, die 2019 über die Innenstädte von Offenbach, Gera, Erfurt, Weimar und Leipzig erschienen sind. Auch die Forschung über Mobilität und lokale Wirtschaft aus anderen europäischen Ländern, aus Nordamerika und Australien spiegeln die gleichen Erkenntnisse wider. In Australien haben Forschende errechnet, dass ein Quadratmeter Platz zum Abstellen von Autos sechs Dollar Umsatz bringt, während ein Quadratmeter mit Fahrradstellplätzen 31 Dollar Umsatz generiert.
Subjektive Sicht des Einzelhandels
Im Falle der Einzelhändler*innen ist der Hang
zum Auto verständlich. Ladenbetreiber*innen müssen öfters Waren transportieren,
dafür ist das Auto praktisch. Während wie dargestellt nur 6,6 Prozent der
Kund*innen mit dem Auto zum Geschäft gelangen, tun dies 42,1 Prozent der
Geschäftsleute. Einzelhändler*innen schließen darüber hinaus schnell von sich
auf andere: Die radfahrende Ladenbetreiberin vermutet, dass ihre Kund*innen
mehr radfahren, als sie es tatsächlich tun, und der autofahrende
Geschäftsführer überschätzt die Zahl seiner Kund*innen, die mit dem Auto zu ihm
kommen. Organisierte Wirtschaftsverbände wie die IHK sollten sich jedoch nicht
auf ihr Gefühl verlassen, sondern sich evidenzbasiert mit Vor- und Nachteilen
für Wirtschaftsakteure beschäftigen, um die Interessen der lokalen Wirtschaft
bestmöglich vertreten zu können. Denn Politik und Verwaltung hören besonders
aufmerksam zu, wenn Wirtschaftsakteure sich zu Vorschlägen zur Umgestaltung der
Städte äußern. Lehnt die Wirtschaft einen Radweg oder eine Fußgängerzone ab,
schmälern sich die Chancen drastisch, dass diese dennoch eingerichtet werden.
Dieser Effekt verhindert allzu oft die urbane Transformation.
Lebendige Innenstädte bringen Kaufkraft
Dabei wird umgekehrt ein Schuh draus: Durch
eine nachhaltigere und menschenfreundliche Infrastruktur, mit mehr Platz,
weniger Lärm und besserer Luft, blühen die Innenstädte auf. Der Umsatz im
Einzelhandel steigt, weil solche attraktiven Orte Kaufkraft anziehen. Die
Beratung im Geschäft, der zufällige Plausch, der Leckerbissen oder
Gelegenheitskauf nebenbei sind es, die unsere Innenstädte attraktiver machen –
nicht die Möglichkeit, das Auto in der Innenstadt abzustellen. Die Auslagen der
Läden oder ansprechende Schaufenster sprechen (potenzielle) Kund*innen an, die
zu Fuß vorbeischlendern oder mit dem Rad unterwegs sind. Aus dem Auto heraus
kann man so etwas nicht wahrnehmen. Der lokale Handel profitiert auch indirekt,
wenn die Innenstädte nicht mehr auf das Auto fixiert sind. Statt ihr Geld an
der Tankstelle oder beim Autogeschäft zu lassen – von wo es zum größten Teil
direkt in sehr ferne Geldkoffer gelangt – können die Bürger*innen es beim
Bummel durch die Innenstadt ausgeben.
Klimaschutz und Nachhaltigkeit fördern
Natürlich geht es nicht zuletzt auch um
Nachhaltigkeit. Der Verkehrssektor ist bekanntlich das Sorgenkind der deutschen
Umwelt- und Klimastrategie. In 26 Kommunen habe Deutschland „die Grenzwerte für
Stickstoffdioxid systematisch und anhaltend überschritten", urteilte neulich
der Europäische Gerichtshof. Und zum Erreichen der Klimaziele hat der
Verkehrssektor in der Vergangenheit überproportional wenig beigetragen.
Außerdem: Zu Fuß gehen und Radfahren halten fit und verringern die
Gesundheitskosten. Wenn die temporären Radwege, die während der Corona-Pandemie
in einigen europäischen Städten eingerichtet wurden, dauerhaft erhalten
bleiben, könnten bis zu sieben Milliarden US-Dollar an Gesundheitskosten
eingespart werden, so eine aktuelle Studie des Mercator Research Institute on
Global Commons and Climate Change.
Nimmt man alles zusammen, sollte der städtische Einzelhandel selbst lautstark einfordern, die Innenstädte zugunsten nachhaltiger Verkehrsmittel und einer Reduzierung des Autoverkehrs nachhaltig umzugestalten. Denn es bieten sich Gestaltungsspielräume, die zu mehr Umsatz führen können. Die klimafreundliche Transformation unserer Mobilität bietet die Chance, lebendige, attraktive, und wirtschaftlich starke Zentren in unseren Kommunen zu etablieren. Lokale Wirtschaftsakteure können dazu einen Beitrag leisten, indem sie sich in Debatten um die nachhaltige Stadtgestaltung einbringen und für eine bessere Infrastruktur für Fuß-, Radwege und öffentlichen Nahverkehr eintreten. Ihre Stimmen haben in Medien und Politik viel Gewicht.
Technik | Mobilität & Transport, 13.09.2021
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