Jeff Bezos und das Projekt Unsterblichkeit
Der Philosoph Christoph Quarch sieht im Traum vom ewigen Leben eine Gefahr für unsere Menschlichkeit
So alt wie die Menschheit scheint der Traum von ewiger Jugend und Unsterblichkeit. Nun hat das Silicon Valley-Startup „Altos Lap" angekündigt, mittels neuer gentechnischer Verfahren genau das zu ermöglichen. Dabei erhält das Unternehmen prominente Unterstützung von Amazon-Gründer Jeff Bezos, der jüngst in einem Brief an seine Aktionäre verkündete: "Den Tod hinauszuzögern, ist eine Sache, an der man arbeiten sollte". Nun hat er ein paar Millionen US-Dollar in die Hand genommen, um Altos Lap zu unterstützen. Was soll man davon halten? Über diese Frage reden wir mit unserem Philosophen Christoph Quarch.
Herr Quarch, ist es wirklich ein Menschheitstraum, den zu erfüllen Jeff Bezos uns da in Aussicht stellt?
Ich halte es ehrlich gesagt für einen Alptraum, dessen Verwirklichung die Menschheit um das Beste bringen wird, was sie zu bieten hat, nämlich Menschlichkeit und Menschwürde. Beides hängt unmittelbar mit der Sterblichkeit zusammen. Die alten Griechen, die vom Menschlichen sehr viel mehr verstanden als wir heute, nannten sich selbst nicht zufällig „Brotoi" – Sterbliche. Sie wussten, dass Endlichkeit bzw. Sterblichkeit Grundsignaturen eines erfüllten Menschseins sind, da sie den Horizont umreißen, der dem menschlichen Leben Würde und Größe verleiht.
Aber ist das nicht nur ein schwacher Trost, mit dem man sich über das vor 2500 Jahren noch unausweichliche Schicksal des Sterben-Müssen hinwegtröstete? Hätten diese Menschen nicht auch – wenn sie nur gekonnt hätten – jede Möglichkeit ergriffen, um Unsterblichkeit zu erlangen?
Die Antwort lautet Jein. Es stimmt, dass selbst Platon den Standpunkt vertrat, es liege im Wesen des Menschen, nach Unsterblichkeit zu streben. Aber damit meinte er nicht eine grenzenlose Ausdehnung der Lebensspanne in der Zeit, sondern eine Entfaltung der menschlichen Potenziale, in deren Folge ein Mensch an die Sphäre der unsterblichen Götter reicht. Nicht endlose Dauer, sondern zeitlose Größe des Lebens war es, was ihm und den Griechen erstrebenswert erschien. Ganz so wie es die Helden der homerischen Epen vorgemacht hatten. Hektor und Achill starben in jungen Jahren, aber sie wurden trotzdem unsterblich.
Okay, das ist es, was man unsterblichen Ruhm nennt. Aber der wird ja wohl, wenn überhaupt, nur wenigen zu teil. Da ist es doch nur naheliegend, dass die breite Menge sich eher nach ewiger Dauer als nach ewigem Ruhm sehnt.
Verständlich schon, aber nicht wirklich klug. Denn mit der Sterblichkeit würden wir sehr viel mehr verlieren als die Angst vor dem Altern oder vor dem Tod. Wir würden den Horizont verlieren, der unserer Zeit Wert und Bedeutung gibt. Jeder Moment unseres Lebens wäre entwertet, wenn er nichts anderes ist als ein beliebiger Punkt auf einer unendlichen Linie. Wenn wir hingegen wissen, dass diese Linie ein Ende hat, haben wir den Antrieb, ihm Sinn und Wert zu verleihen. Auf diese Weise entwickeln wir uns und wachsen idealerweise zu Größe und Würde. Wenn jedoch kein Ende mehr in Sicht ist, erlahmt die Entwicklung und wir beschränken uns darauf, Konsumenten und Verbraucher zu sein. Diese mögen die Aussicht auf endlose Befriedigung ihrer unendlichen Bedürfnisse attraktiv finden. Menschen hingegen werden sie ablehnen.
Wollen Sie damit sagen, das Bezos und andere Unterstützer des Projektes Unsterblichkeit ihrer Menschlichkeit verlustig gegangen sind?
Exakt. Nach unbegrenzter Verlängerung der Lebensdauer zu streben, scheint mir ein Symptom dessen, was Viktor Frankl „existenzielles Vakuum" nannte. Man muss schon jede Idee von Lebenssinn verloren haben, wenn man keinen größeren Wunsch mehr hat, als endlos zu leben. Ja, man muss jede Idee von menschlicher Würde und Größe verloren haben, wenn man ewige Jugend für erstrebenwert hält. An die Stelle einer menschlichen Gesinnung ist dann der pure Egoismus getreten. Was man unschwer daran erkennen kann, dass die Unsterblichkeitsapostel sich nie die Frage stellen, ob es irgendwelche Leute außer ihnen selbst gibt, die sie gerne unsterblich sähen. Bezos zum Beispiel. Und Hand aufs Herz: Wenn man die Sache von dieser Seite anschaut, müsste einem eigentlich sehr schnell die Lust auf die Unsterblichkeit vergehen.
Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist
Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit
»Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende
Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten
und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und
Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen
Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und
Weltdeutung zu übersetzen."
In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.
Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel".
Lifestyle | Gesundheit & Wellness, 21.09.2021
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