Die Vision der einmaligen Reichensteuer
Eine Chance für Deutschland?
In Argentinien hat die Mitte-Links-Regierung ein Solidaritäts-Gesetz beschlossen, das die reichsten Argentinier verpflichtete, eine einmalige Steuer von bis zu 3,5 Prozent auf ihr Vermögen im Inland und bis zu gut fünf Prozent auf ihr Vermögen im Ausland zu zahlen. forum-Redakteur Lennart Zech hat sich mit unserem Magazin-Philosophen Christoph Quarch darüber unterhalten.
Christoph, was bedeutet das Solidaritäts-Gesetz für die Reichen und die Bevölkerung Argentiniens?
Das Gesetz betrifft rund 12.000 Menschen mit einem Vermögen von umgerechnet mindestens zwei Millionen Euro pro Kopf. Die erwarteten Einnahmen belaufen sich auf ein Drittel der gesamten argentinischen Krisenkosten und sind für kleine und mittlere Unternehmen, Studenten und soziale Entwicklungsmaßnahmen vorgesehen. Teilweise sollen sie auch in die medizinische Versorgung fließen. Natürlich wird diese Maßnahme kontrovers diskutiert.
Wäre eine Reichensteuer also auch für Deutschland ein gangbarer Weg?
Absolut. Ich glaube, es ist an der Zeit, auch bei uns die Solidarität der Vermögenden einzufordern: Und zwar nicht primär die Solidarität mit den ökonomischen Opfern der Corona-Maßnahmen, sondern die Solidarität mit dem Gemeinwesen im Ganzen. Klar: Anders als Argentinien ist Deutschland in der Lage, billiges Geld an den internationalen Finanzmärkten aufzunehmen. Deshalb hat die Regierung es nicht nötig, auf Privatvermögen zuzugreifen. Zumindest noch nicht. Aber es geht bei einer Reichensteuer nach argentinischem Vorbild um mehr: Es geht darum, die Lasten der Pandemie innerhalb der Gesellschaft gerechter zu verteilen.
Aber es ist doch nicht gerecht, nur einen Teil der Bevölkerung finanziell zu belasten. Die Reichen sind an der Pandemie doch genauso wenig schuld, wie die Armen?
Die Schuldfrage steht hier nicht zur Diskussion. Klar ist, dass diejenigen, die über Kapital oder Kapitalanlagen verfügen, bislang von der Pandemie profitierten. Die Bundesbank meldete Ende 2020, dass die Privatvermögen im zweiten Quartal um 253 Milliarden Euro auf den Rekordwert von rund 6,63 Billionen Euro gestiegen sind. Das ist ein Zuwachs von 4,0 Prozent – mitten in der Krise! Gleichzeitig meldete das Allensbach-Institut, dass jeder zweite der arbeitenden Bevölkerung zwischen 30 und 59 die Krise zunehmend als ökonomisch belastend erlebt und den Mut verliert. Die „Generation Mitte” beklagt einen Mangel an gesellschaftlicher Solidarität. Da braut sich was zusammen. Und da könnte die Reichensteuer Dampf aus dem Kessel nehmen.
Trotzdem dürften die Situationen in Deutschland und in Argentinien kaum vergleichbar sein.
Einerseits ja, andererseits nein. Das sieht man schon daran, dass die Argentinische Steuer schon bei einem Vermögen von 2 Millionen Euro greift. Für deutsche Verhältnisse ist das nicht viel. Ich vermute, uns allen (von Herrn Scholz ganz zu schweigen), würde schwindlig werden angesichts der gigantischen Einkünfte, die dem Staat hierzulande eine Besteuerung von 3,5 Prozent auf Vermögen von über zwei Millionen Euro bescheren würde. Es gibt in diesem Land unfassbar viel privates Geld. Und ich halte es für politisch, ökonomisch und ethisch vertretbar, dieses Geld durch eine Steuer so umzuverteilen, dass es der Gesellschaft im Ganzen zugute kommt. Es wäre allemal besser, als darauf zu warten, dass es sich beim nächsten Börsencrash in Luft auflöst.
Glaubst Du, dass eine solche Maßnahme hierzulande Akzeptanz fände?
Nein. Die meisten Menschen hierzulande haben sich so sehr in ihrer Selbstbezüglichkeit eingerichtet, dass jeder Eingriff in ein Privatvermögen als Sakrileg erscheint. Selbst bei denen, die gar kein Vermögen haben. Vermutlich ist die Nachricht aus Argentinien in den Leitmedien deshalb auch untergegangen. Uns ist der Gemeinsinn verloren gegangen. Solidarität taucht als Thema im öffentlichen Corona-Diskurs nicht auf. Noch nicht einmal dann, wenn – wie erwähnt – Umfragen ergeben, dass immer mehr Menschen den Mangel an Solidarität beklagen. Gerade deshalb aber ist der Staat gefordert. Wenn die Regierung schon so viel Gedöns um Covid macht, dann sollte sie die Pandemie nutzen, um endlich couragiert etwas für die gesellschaftliche Solidarität im Land zu tun. Und ganz ehrlich: eine einmalige Reichensteuer wird niemandem weh tun.
Christoph, ich danke Dir für das Gespräch und den philosophischen Austausch.
Solidarität
„Wenn es so etwas wie tragische Begriffe gibt, dann gehört Solidarität dazu. Zum einen, weil das Wort durch die Klassenkampf-Rhetorik des 19. und 20. Jahrhundert so sehr politisiert wurde, dass Solidarität heute nach Sozialismus klingt. Zum anderen, weil es mit Vorliebe für Apelle verwendet wird, denen nur selten Taten folgen. Das Wort Solidarität hat seine Strahlkraft deshalb eingebüßt. Und das ist nicht gut. Denn das, was dieses Wort benennt, braucht eine zunehmend zerfallende Gesellschaft dringender den je. Solidarität wäre ein wirksames Gegengift gegen die unselige Selbstbezogenheit des rationalen Egoisten namens Home Oeconomicus: gerade jetzt, in der Covid-Zeit, da die Schere von Arm und Reich weiter auseinander geht, die Spannung zwischen den Generationen steigt, politische Diskrepanzen zu Glaubenskriegen mutieren. Gerade jetzt braucht es den soliden Zusammenhalt einer Gesellschaft. Gerade jetzt braucht es einen Gemeinsinn, der uns neuerlich begreifen lässt, dass wir nur als solidarische Gesellschaft den Herausforderungen der Zukunft begegnen können. Es ist an der Zeit, die Solidarität als Kernwert unseres Gemeinwesens zu rehabilitieren und sie politisch zu organisieren." (Christoph Quarch)
Bitte senden Sie uns Ihre Vorschläge, wo und wie Solidarität jetzt gefragt ist an: redaktion@forum-csr.net
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Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2021 mit Heft im Heft zur IAA Mobility - KRISE... die größte Chance aller Zeiten erschienen.
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