Nachhaltiges Bauen made in Germany
Marktchancen für die deutsche Bauwirtschaft auf internationalem Parkett
Nachhaltiges Bauen ist in aller Munde - und wird dabei oft verkürzt auf den Aspekt der Energieeffizienz. Zweifellos ist dies ein wichtiges Thema, doch die Perspektive nachhaltigen Bauens ist sehr viel breiter. Es geht um die Qualität von Bauwerken in einem umfassenden Sinn.
Nachhaltige Gebäude sind wirtschaftlich, umweltfreundlich und ressourcensparend - und dies über ihren gesamten Lebenszyklus. Sie sind für ihre Nutzer behaglich und gesund, fügen sich optimal in ihr sozio-kulturelles Umfeld ein und zeichnen sich durch niedrige Betriebskosten aus. Da Investoren, Eigentümer und Nutzer gleichermaßen von nachhaltigen Bauwerken profitieren, entwickelt sich ein
dynamischer Markt - nicht nur in Deutschland. Denn deutsche Architekten, Bauprodukte-Hersteller und Bauunternehmen gehören international zu den Vorreitern des nachhaltigen Bauens. Hier bieten sich große Marktchancen für den Export von Produkten und Dienstleistungen.
Vor diesem Hintergrund entstand im vergangenen Jahr die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen DGNB, deren inzwischen über 180 Mitglieder die gesamte Wertschöpfungskette der Bauwirtschaft abbilden. Im Netzwerk arbeiten hochkarätige Planer, Industrieunternehmen, Investoren, Immobilienberater, Hochschulen und Verbände. Mit dieser umfassenden Kompetenz im Rücken versteht sich die DGNB als zentrale Organisation für die Wissensvermittlung zum Thema und als Sprachrohr, um Positionen des nachhaltigen Bauens in der Öffentlichkeit zu vertreten. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung und Vergabe eines deutschen Zertifikats für nachhaltige Gebäude mit herausragender Qualität - für den weltweiten Einsatz.
Nachhaltiges Bauen: mehr als Energieeffizienz
In Deutschland geht mehr als ein Drittel des Ressourcenverbrauchs und auch des Abfallaufkommens allein auf das Konto von Gebäuden. Dies gilt beinahe im gleichen Maße für CO2-Emissionen und damit für den Energiebedarf. Langfristig zeigt sich ein riesiges Einsparpotenzial, das durch neue Bauprodukte und Planungsansätze erschlossen wer- den kann - nicht zuletzt aufgrund steigender Preise und gesetzlicher Vorgaben wie der Energieeinsparverordnung EnEV 2007. Es scheint noch wenig bekannt, dass sich der Energiebedarf von Gebäuden durch integrale Planung um bis zu 60 Prozent gegenüber herkömmlichen Konzepten verringern lässt. Die Planungs- und Baukosten sind dabei in der Regel nur unwesentlich höher und amortisieren sich bereits nach wenigen Jahren. Aktuell verändern sich die Perspektiven. Thomas Beyerle, Chef-Researcher der Allianz-Tochter Degi Immobilien, sieht die Immobilien- und Bauwirtschaft vor einem grundlegenden Wandel. Er erwartet, dass sich der Fokus von der Energiebilanz zunehmend auf Themen wie Gesundheit und Wohlbefinden erweitern wird, allein schon um Produktivitätsverluste von Mitarbeitern zu vermeiden.
Ins gleiche Horn stößt Martin Haas von Behnisch Architekten, Stuttgart. Er regt an, beim Bau von Verwaltungsgebäuden nicht nur den Energieverbrauch pro Quadratmeter zu beurteilen, sondern vor allem die Energiekosten pro Arbeitsplatz. Nachweislich führen ein sorgfältig erarbeitetes Raumprogramm sowie architektonische Elemente zu einer gesteigerten Effizienz der Mitarbeiter. Gute Planung kann das Raumklima physiologisch aufbessern und die Wohlfühlqualität des Gebäudes psychologisch erhöhen. Neben messbaren Parametern wie Tageslicht, Luftqualität und -temperatur, Akustik, Blendungsfreiheit, Ergonomie oder der Emission von Materialien, müssen auch weiche Faktoren wie die Wegeführung, Kommunikation und Individualität bei der Möblierung bedacht werden. Im Vordergrund der Planung steht nicht nur die reine Akzeptanz, sondern die volle Nutzerzufriedenheit. Dadurch sinken Personalkosten, die beispielsweise durch stressbedingte Ausfälle oder Krankheit entstehen. Die Nutzer entwickeln eine höhere Identifikation mit ihrem Arbeitsplatz und sind stärker motiviert, die unternehmensinterne Kommunikation wird optimiert. Diese Steigerung der Mitarbeitereffizienz kann die Mehrkosten, die ein nachhaltig geplantes Gebäude mit sich bringt, meist in wenigen Jahren auffangen.
Das deutsche Nachhaltigkeitszertifikat
Eine umfassende Bewertung der Gebäudequalität ist für Investoren, Eigentümer und Nutzer sehr hilfreich. Deshalb hat die deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen mit der Expertise ihrer Mitglieder und auf der Basis von Best-Practice-Beispielen gemeinsam mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung einen Kriterienkatalog für ein Nachhaltigkeits-Zertifikat erarbeitet. Es macht zentrale Kriterien fassbar, beispielsweise die Verringerung des Verbrauchs fossiler Energieträger, die Reduzierung des Flächenbedarfs, eine Verbesserung der Raumluftqualität oder die Minderung der Lebenszykluskosten eines Gebäudes. Wichtig ist der DGNB, dass es Planern und Bauherren offen bleibt, wie sie die Zielwerte des nachhaltigen Bauens erreichen. Denn die Freiheit der Gestaltung soll erhalten und die Innovationsbereitschaft keinesfalls gebremst werden. Mit diesem
Kriterienkatalog entsteht eine gut handhabbare Grundlage sowohl für die Planung von Gebäuden als auch für deren Bewertung.
Vorgestellt wird das neue Qualitätszeichen am 17. und 18. Juni 2008 in Stuttgart. Den Rahmen dafür bietet die Consense, ein internationaler Kongress mit Fachausstellung auf der neuen Messe. Das Zertifikat hat viele Vorteile für die Bauwirtschaft.
Es
- macht die hohe Qualität eines Gebäudes gegenüber Eigentümern wie Nutzern sichtbar.
- erhöht die Chancen bei Verkauf und Vermietung eines Gebäudes auf dem Immobilienmarkt.
- gibt Investoren bereits im Planungsstadium die Sicherheit, dass die anvisierte Qualität ebenso wie die Leistungsziele eines Gebäudes bei der Fertigstellung umfassend erreicht werden.
- mindert für Eigentümer und Mieter das Risiko vor hohem Energieverbrauch und hohen Kosten in der Nutzungsphase.
- dient als Instrument in der Unternehmenskommunikation von Investoren und Eigentümern und dokumentiert ihr Engagement im Bereich der Nachhaltigkeit.
- belegt positive Effekte eines Gebäudes für Infrastruktur, Umwelt und lokale Wirtschaft.
- stellt in Gewerbeobjekten ein hochwertiges Arbeitsumfeld für Mitarbeiter und Kunden sicher.
- verbessert die Akquisitionschancen für Architekten und Planer und führt zu einer höheren Wertschätzung ihrer Planungsleistungen.
- basiert auf dem Lebenszyklusgedanken, der auch für Private-Public-Partnership-Projekte unabdingbar ist.
- unterstützt den Export deutscher Produkte und Dienstleistungen.
Auf dem internationalen Markt existiert bereits eine Reihe von Qualitätszeichen für Gebäude wie das
nordamerikanische LEED-System. Doch mit dem neuen Zertifikat liegt ein Label vor, das optimal auf die hohen Anforderungen des deutschen Marktes zugeschnitten ist. Zugleich bietet es eine hohe Flexibilität bei der Anpassung an regionale Unterschiede für die internationale Anwendung. Es nimmt aktuelle und kommende Entwicklungen der Gesetzgebung und Normung auf, etwa mit der Betrachtung des gesamten Lebenszyklus bei der Bewertung von Gebäuden. Außerdem gibt es der deutschen Bauwirtschaft - deren Kompetenz im internationalen Vergleich sehr hoch ist - ein Instrument an die Hand, Qualität "Made in Germany" belegbar auszuweisen.
Von Anna Braune
Anna Braune studierte Technischen Umweltschutz an der Technischen Universtät Berlin und war anschließend in Beratungsunternehmen für Nachhaltigkeit sowie in Ingenieurbüros für Gebäudetechnik tätig. Von 2004 bis 2007 war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Stuttgart, Lehrstuhl für Bauphysik, Abteilung Ganzheitliche Bilanzierung. Sie ist Initiator und Gründungsmitglied und seit Ende Juni 2007 Geschäftsstellenleiterin der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB).
Quelle: DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen
Technik | Green Building, 25.06.2008
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