Einen Schritt weiter als die anderen

CO2-Emissionen rückwirkend seit Unternehmensgründung kompensieren

Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden, die Europäische Union bis 2050. Der Wandel zu einer Gesellschaft mit deutlich geringerem CO2-Ausstoß gelingt jedoch nicht allein auf politischer Ebene, sondern nur mit dem massiven Umbau der Wirtschaft. Und tatsächlich verkünden bereits zahlreiche Unternehmen: Wir werden klimaneutral! Manche Unternehmen, wie Google, Microsoft und Velux gehen dabei sogar noch einen Schritt weiter als andere und sprechen von lebenslanger Klimaneutralität. Was verbirgt sich dahinter?

© marcinjozwiak, pixabay.comSpricht ein Unternehmen davon, klimaneutral zu werden, dann meint es in der Regel damit, dass durch seine Produktionsprozesse und Dienstleistungen der Anteil klimaschädigender Gase in der Atmosphäre nicht erhöht wird. Um dies zu erreichen, berechnet es zunächst den aktuellen Ausstoß von CO2-Emissionen, den es verursacht. Darauffolgend erhöht es beispielsweise seine Energieeffizienz oder es stellt auf erneuerbare Energien um. Der Ausstoß an CO2, der sich trotz aller Bemühungen nicht ganz reduzieren lässt, muss schließlich kompensiert werden. In der Regel erfolgt dies durch Aufforstungs- und Waldschutzprojekte in aller Welt.

Verkündet ein Unternehmen also, es sei oder werde demnächst klimaneutral, so meint es damit, dass es entweder keine CO2-Emissionen mehr verursacht oder dass es den Anteil von CO2, den es verursacht, kompensiert. Dabei ist immer der aktuelle oder künftige Status gemeint. Was hierbei allerdings außer Acht gelassen wird, ist, dass Unternehmen nicht erst seit heute existieren, sondern oft seit vielen Jahren auf dem Markt sind. Die CO2-Emissionen, die seit Markteintritt eines Unternehmens entstanden sind, bleiben somit meist unbeachtet.

Zurück zu den Wurzeln
Das Konzept der lebenslangen Klimaneutralität geht noch einen Schritt weiter. Weltweit gibt es nur wenige Unternehmen –, die bei der Berechnung den gesamten Ausstoß klimaschädigender Gase seit ihrer Gründung berücksichtigen – darunter die beiden Tech-Giganten Google und Microsoft sowie der dänische Fensterhersteller Velux. Im Fall von Google liegt die Unternehmensgründung im Jahr 1998, bei Microsoft ist es das Jahr 1975 und bei Velux das Jahr 1941. Es liegt auf der Hand, dass die Berechnung eines historischen CO2-Fußabdrucks ungleich komplizierter ist als die ohnehin schon schwierige Ermittlung heutiger CO2-Emissionen. Und selbstverständlich erhöht sich dadurch auch die Menge der zu berücksichtigenden CO2-Emissionen ganz erheblich. Ein Unternehmen, das lebenslang klimaneutral werden will, muss folglich ungleich höhere Anstrengungen unternehmen, um diese Menge an CO2 zu reduzieren oder zu kompensieren.

Google und Microsoft weltweit an vorderster Front
Der Tech-Gigant Google reklamiert für sich, bereits seit 2007 klimaneutral zu arbeiten. Es dauerte allerdings weitere 10 Jahre, bis Google seinen Stromverbrauch komplett zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien abdecken konnte. Bis 2030 will das Unternehmen weltweit nur noch CO2-freie Energie nutzen. Für die Zeit davor, also von 1998 bis 2006, investiert Google in Carbon-Offset-Maßnahmen und kompensiert damit finanziell die bis dahin emittierten CO2-Emissionen. Indem Google seinen CO2-Ausstoß beispielsweise durch Investitionen in Wiederaufforstungsprojekte ausgleicht, erreicht man damit rechnerisch die lebenslange Klimaneutralität. Auch Microsoft will rückwirkend klimaneutral werden und seinen CO2-Fußabdruck seit 1975 kompensieren. Bis 2050 will der Konzern dieses Ziel erreichen. Bis 2030 will er generell klimaneutral sein.
 
Die Ziele von Microsoft sind, genauso wie bei Google, ambitioniert. Beide Tech-Unternehmen investieren für ihre CO2-Reduktionsziele massiv in die Entwicklung klimafreundlicher Technologien — sicherlich nicht nur aus bloßer Klimafreundlichkeit, sondern auch weil dies ein lukrativer Wachstumsmarkt ist.

Klimaneutralität – Worthülse oder Mehrwert?
Oftmals werden Unternehmen, die für sich Klimaneutralität reklamieren, kritisch beurteilt. Dies hat mehrere Gründe. Zum einen befindet sich ein Großteil der Unternehmen noch auf dem Weg, klimaneutral zu werden. Häufig können sie daher noch nicht Vollzug melden, sondern allenfalls über die Schritte informieren, die sie heute für ihr Ziel unternehmen. Zum anderen verweisen Kritiker darauf, dass es nicht ausreicht, (nur) mit Baum- und Waldprojekten den eigenen CO2-Ausstoß auszugleichen.
 
Theoretisch wäre dies tatsächlich möglich. Besser ist es jedoch, wenn ein Unternehmen auch seine Produktionsabläufe optimiert und geänderte Materialien und erneuerbare Energiequellen nutzt. Zum Glück hat sich in der Tat eine Mischung dieser Maßnahmen etabliert. Nur der Rest an CO2, der auf diese Weise nicht vermieden werden kann, wird finanziell ausgeglichen. Drittens ist es für Unternehmen möglich, nur einzelne Produkte klimaneutral herzustellen. Die dann als klimaneutral gelabelten Produkte werden von Verbrauchern oder NGOs schnell als Alibi-Maßnahme bezeichnet – meist zurecht, da das dahinterstehende Unternehmen als Ganzes noch nicht klimaneutral operiert. Gleichwohl ist bereits die Umstellung auf einzelne klimaneutrale Produkte für viele Unternehmen ein großer Meilenstein.

Der europäische Vorreiter
Der Fensterhersteller Velux, ansässig in Dänemark und eher mittelständisch geprägt, gleichwohl weltweit größter Dachfensterhersteller, nennt seinen Ansatz lifetime carbon neutral und ist damit einzigartig in Europa. Bis zum 100jährigen Jubiläum im Jahr 2041 will er die lebenslange Klimaneutralität erlangen. Das beinhaltet, dass Velux bis 2030 klimaneutral wird, um dann bis 2041 seinen historischen CO2-Ausstoß komplett auszugleichen. Um das zu schaffen, unterzieht das Unternehmen bereits heute sämtliche Geschäftsabläufe und Produkte einer weitreichenden, nachhaltigen Transformation.

Mit seiner Klimaschutzstrategie will Velux auch andere in der Branche überzeugen, sich zu engagieren. So wird Jacob Madsen, Geschäftsführer von Velux Deutschland, nicht müde, auf den Anteil der Baubranche am Klimawandel durch den hohen Energieverbrauch hinzuweisen. Er sieht alle Unternehmen aus seiner Branche in der Pflicht, sich zu wandeln und will bei Velux mit gutem Beispiel vorangehen Diese Rechnung scheint aufzugehen, denn Velux wurde 2021 zu den Finalisten für den deutschen Nachhaltigkeitspreis in der Kategorie Transformation nominiert und von den Vereinten Nationen als eines der wenigen Modellunternehmen zur Erfüllung der Nachhaltigkeitsziele gekürt.

Von Alrun Vogt

Umwelt | Klima, 01.12.2021
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig 04/2021 stellt sich grundlegenden Fragen zur Veränderung - Systemwandel - wie wird die große Transformation zur Realität? erschienen.
     
        
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