Die Neuberechnung von Wirtschaftlichkeit

Nachhaltigkeit wird zentrales Motiv der Bundesbeschaffung

Die Bundesregierung hat 2021 mit dem „Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit" und der „Allgemeinen Verwaltungsvorschrift Klima" weitreichende verbindliche Standards für eine zukünftige Klimaneutralität von Bundesbehörden beschlossen. Der Bereich nachhaltige Beschaffung erhält dabei eine ganz zentrale Bedeutung. Potenzielle Bewerber müssen sich auf diese neuen Anforderungen einstellen. Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) lassen sich aber auch zahlreiche Anregungen zum eigenen Nachhaltigkeitsmanagement ableiten.

Mit biobasierten Produkten im Büro lässt sich viel für den Ressourcen- und Klimaschutz tun. © allefarben-fotoDie Bundesregierung macht ernst und bringt die eigene Verwaltung auf Kurs in Richtung Klimaneutralität – mit dem ambitionierten Ziel, bis 2030 eine treibhausgasneutrale Bundesverwaltung zu etablieren. In diesem Zusammenhang erfährt auch das öffentliche Beschaffungswesen in Deutschland einen nie dagewesenen Paradigmenwechsel. Die Zeiten von weichen Kann-Bestimmungen in Bezug auf Umweltaspekte beim Erwerb von Produkten oder der Vergabe von Dienstleistungen scheinen endgültig passé. Bevorzugungspflicht löst Prüfpflicht ab. Wirtschaftlichkeit wird neu berechnet, z.B. durch die Einbeziehung von Lebenszykluskosten, CO2-Schattenpreisen, Gütezeichen oder dem Umweltmanagementsystem EMAS (Eco-Management and Audit Scheme). Der Gesetzgeber flankiert diesen Wechsel mit einem Reigen an Gesetzesänderungen, die sich mittelbar auf die Beschaffung auswirken: Kreislaufwirtschaftsgesetz, Klimaschutzgesetz, Taxonomie- Verordnung, Lieferketten(sorgfaltspflichten)gesetz, um nur einige zu nennen.
 
Der 10 Punkte-Plan für eine Klimaneutrale Bundesver­waltung bis 2030
Mit der im Sommer 2021 beschlossenen Weiterentwicklung des „Maßnahmenprogramms Nachhaltigkeit" schließlich verpflichtet sich die Bundesregierung, das Leitprinzip „Nachhaltige Entwicklung" konsequent im eigenen Verwaltungshandeln umzusetzen. Das Programm beinhaltet neben ökologischen und ökonomischen auch soziale Aspekte mit weitgehenden Vorgaben für insgesamt zehn Verwaltungsbereiche. Es geht in seiner Verbindlichkeit deutlich über die vorangegangenen Programme hinaus. Alle Maßnahmen unterliegen zudem fortan einem jährlichen Audit- und Monitoring-System. Mit einem umfangreichen Katalog an Einzelmaßnahmen werden neue Standards in zehn zentralen Bereichen gesetzt.
  1. Klimaneutrale Bundesverwaltung bis 2030
    Einführung des europäischen Umweltmanagement- und Auditierungssystems EMAS in allen Bundesbehörden; zentrales ressortübergreifendes Management durch neu eingerichtete "Koordinierungsstelle Klimaneutrale Bundes­verwaltung" (KKB)

  2. Bau, Sanierung und Betrieb von Bundesliegenschaften
    Verwendung des Bewertungssystems Nachhaltiges Bauen (BNB) sowie des Leitfadens Nachhaltiges Bauen der Bundesregierung bei sämtlichen Neubauten und Sanierungen; Berücksichtigung eines "CO2-Preises" sowie der nicht-monetären Nachteile aus erhöhtem Energieverbrauch; Neudefinition von Mindestanforderungen an Baumaterialien; Einführung eines Energiemanagements

  3. Mobilität
    Reisevermeidung als Planungsgrundsatz; Priorisierung von emissionsarmen Beförderungsoptionen wie Bahnfahrten (werden als klimaneutral eingestuft); Reduzierung von Kfz-Flotten und sukzessive Umstellung auf alternative Antriebe – möglichst elektrisch; Umweltzertifizierung von Vertragshotels als Voraussetzung für Rahmenverträge

  4. Beschaffung
    Umbau der Online-Einkaufsplattform "Kaufhaus des Bundes" und sukzessiver Abschluss von ausschließlich nachhaltigen Rahmenverträgen für dort erhältliche Produkte und Dienstleistungen; Zentralisierung der Beschaffung in den Behörden; Aufnahme von Nachhaltigkeitskriterien in Wirtschaftlichkeitsbetrachtung, Leistungsbeschreibung, Dokumentation und Vergabevermerk; Berücksichtigung von Lebenszykluskosten und Kosten durch Treibhausgasemissionen sowie Gütezeichen

  5. Veranstaltungen
    verbindliche Nutzung des "Leitfadens der Bundesregierung für die nachhaltige Durchführung von Veranstaltungen" mit klaren Vorgaben für Präsenz-, Hybrid- und Onlineveranstaltungen z.B. in Bezug auf Mobilität, Energie, Catering, Gastgeschenke, Barrierefreiheit, Gender-Mainstreaming

  6. Kantinen/Gemeinschaftsverpflegung
    Einführung der Qualitätsstandards der DGE sowie die Empfehlungen der EAT-Lancet-Kommission; mehr Bioprodukte; höherer Anteil pflanzlicher Lebensmittel; vorwiegend saisonaler Einkauf; Reduzierung von Fleisch-/Wurstwaren; Fisch aus nachhaltiger Fischerei/Aquakultur; Vermeidung von Lebensmittelabfällen

  7. Fortbildungen für nachhaltige Entwicklung
    Schulung von Mitarbeitenden zum Thema Nachhaltigkeit; Benennung von Ansprechpersonen für nachhaltige Beschaffung in jeder Behörde

  8. Gesundheit
    Einführung eines professionellen Systems für Betriebliches Wiedereingliederungsmanagement (BEM) bis Ende 2022; Fokussierung auf Erhaltung der Gesundheit und der Leistungsfähigkeit der Beschäftigten

  9. Gleichberechtigte Teilhabe und Vereinbarkeit von Familien-/Pflegeaufgaben und Beruf
    gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen bis Ende 2025; verpflichtende Fortbildung zu Themen der "Gleichstellung von Frauen und Männern" für Führungskräfte; Flexibilisierung der Arbeitszeit zur Vereinbarkeit von Familien-/Pflegeaufgaben und Beruf

  10. Diversität
    Berücksichtigung der Charta der Vielfalt

Die AVV Klima und die Neuberechnung von Wirtschaftlichkeit
Ergänzt wird das Maßnahmenprogramm durch die Anfang 2022 in Kraft getretene „Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Beschaffung klimafreundlicher Leistungen" (AVV Klima), die speziell die Vorgaben für den Kernbereich nachhaltige Beschaffung des Bundes definiert. Wo Wirtschaftlichkeit bisher hauptsächlich in Bezug auf Anschaffungskosten betrachtet wurde, wird mit der AVV Klima nun der gesamte Lebenszyklus einer Leistung sowie deren CO2-Belastung mit eingepreist. Um die Kosten eines Produktes oder einer Leistung ganzheitlich zu bewerten, sind neben der reinen Anschaffung auch die Kosten für den Verbrauch, die Wartungskosten und die ggf. anfallende Entsorgung zu beachten. Lebenszykluskosten beziehen also auch externe Kosten in Form von Umweltschäden bewusst mit ein. So werden Treibhausgasemissionen letztlich zum ausschlaggebenden Wertungskriterium erhoben.

Darüber hinaus enthält die AVV Klima eine Negativliste für Dinge, die nicht mehr beschafft werden dürfen. Dazu gehören z.B. Heizpilze, Getränke in Einwegverpackungen, Einweggeschirr in Kantinen und bei Großveranstaltungen oder Technik mit bestimmten Kältemitteln.

Warum auch KMU jetzt die eigene Klima- und Umweltbilanz optimieren sollten
Selbst wenn sich die AVV Klima nur an den Auftraggeber richtet, ist Betrieben anzuraten, sich mit den Vorgaben vertraut zu machen. Denn wenn sie sich an Vergabeverfahren auf Bundesebene beteiligen, werden sie künftig mit den darin geregelten Anforderungen konfrontiert sein. Zwar beinhaltet die AVV Klima noch keine Pflicht, klimarelevante Nachweise zur Eignung von den Bietern anzufordern, was gerade KMU entgegenkommt, die häufig nicht über die notwendigen Zertifizierungen verfügen. Perspektivisch gesehen ist die AVV Klima aber ein deutlicher Impulsgeber in Richtung nachhaltiger Ausrichtung des Kerngeschäfts.

Darüber hinaus wird auch die EU-Taxonomieverordnung in absehbarer Zeit selbst kleine Unternehmen zur Erhebung von Daten zur eigenen Nachhaltigkeit verpflichten. Denn über die Einbindung in Wertschöpfungsketten oder aufgrund der Anforderungen von Finanzinstituten oder Kapitalgebern werden entsprechende Informationen eingefordert werden. Deshalb ist es wichtig, sich möglichst frühzeitig mit der eigenen Klima- und Umweltbilanz zu beschäftigen.
 
Nachhaltigkeit im Büro
Mit biobasierten Produkten im Büro lässt sich viel für den Ressourcen- und Klima­schutz tun. Denn Erzeugnisse aus nachwachsenden Rohstoffen sind auch CO2-Speicher, solange sie sich im Nutzungskreislauf befinden. Das betrifft nicht nur Holz, sondern auch Biokunststoffe, die dank vieler Innovationen in den letzten Jahren im Bürobereich immer mehr an Bedeutung gewinnen. Handlungsfelder bei der nachhaltigen Büroausstattung sind z.B.:
  • Innenausbau: Wandoberflächen, Dämmung, Bodenbelege, Fenster und Türen
  • Büromöbel: Mobiliar aus heimischem zertifizierten Holz; Beleuchtung oder Elektronikgehäuse mit zertifiziertem Biokunststoff
  • Büromaterialien: Papierwaren, Ordnersysteme, Bürobedarf, Schreibgeräte uvm.

Das Maßnahmenprogramm als Anregung für eine nachhaltige Unternehmens­verwaltung
Auch wenn sie (noch) nicht der Berichterstattungspflicht unterliegen, gewinnt nachhaltiges Wirtschaften für KMU immer mehr an Bedeutung. Aufgrund ihrer geringeren Größe und der Möglichkeit, flexibel und innovativ zu handeln, haben KMU sogar besonders gute Voraussetzungen, diesen Bereich auszugestalten.
 
Eine besondere Rolle wird dabei der Unternehmensverwaltung zuteil. Sie hat nicht nur eine gestalterische und organisatorische Funktion, sondern in ihr selbst liegen erhebliche Potenziale für die Einsparung von Treibhausgasen. Das umfangreiche und detaillierte Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit der Bundesregierung kann hier als Blaupause – oder zumindest in Punkten als Anregung – genutzt werden. Denn die im Programm aufgelisteten Aspekte lassen sich durchaus auf die Verwaltung von privaten Betrieben übertragen: Auch sie nutzt Liegenschaften, konzipiert Neubauten und Sanierungen von Gebäuden, betreibt Fuhrparks, Anlagen und Geräte, organisiert Dienstreisen, beschafft Produkte, vergibt Aufträge und führt Veranstaltungen durch. Gleiches gilt natürlich auch im Hinblick auf die sozialen Aspekte, wie Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Gleichstellung oder Diversität.

In nahezu jedem Handlungsfeld der Unternehmensverwaltung gibt es heute die Möglichkeit, beispielsweise durch den Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen, einen aktiven Klima- und Ressourcenschutz zu betreiben und die eigene CO2-Bilanz deutlich zu verbessern. Denn staatliches Handeln allein kann das Klima nicht retten. Der private Sektor hat eine ganz zentrale Rolle beim Erreichen der Klimaschutzziele. Und diese Rolle wird mit jeder unternehmerischen Entscheidung neu gelebt.

Ute Papenfuß ist Referentin für Öffentlichkeitsarbeit bei der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR). Als Projektträgerin des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ist die FNR neben der Förderung von Forschungs- und Entwicklungs- sowie Modell- und Demonstrationsvorhaben mit umfangreichen Informationsmaßnahmen zum Thema Bioökonomie beauftragt. Ute Papenfuß betreut hier seit 2021 den Fachbereich „Nachwachsende Rohstoffe im Einkauf".

Quelle: BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften

Wirtschaft | Lieferkette & Produktion, 01.03.2022
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2022 ist erschienen. Schwerpunkt: Energiewende - Was wäre, wenn? erschienen.
     
        
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