Frieden durch eine UNO-überwachte Abrüstung
Der aktuelle Kommentar von Theodor Dierk Petzold
Der Putin-Krieg gegen die Ukraine wirft eine alte Frage wieder auf und drängt zu einer neuen Lösung: Gilt das Abschreckungsprinzip „Krieg dem (imperialistischen) Krieg!" oder gilt die pazifistische Ansicht, dass alle abrüsten müssen, um zum Frieden zu kommen, und dass die Mutigen direkt mit der Abrüstung beginnen? Hier wollen wir sowohl das Potenzial, die Anliegen und Denkweisen der Menschen in Betracht ziehen als auch die politischen Realitäten.
Eins lehrt uns wieder einmal dieser aktuelle Krieg in Europa: Auch ehemalige beziehungsweise jetzt bestehende Demokratien sind keine langfristige Garantie für Frieden. In genügend Beispielen haben wir erfahren, dass Demokratien nicht den Frieden sichern (siehe USA) und außerdem schnell zu autoritär geführten Staaten werden können (Türkei, Russland, Ungarn), die Kriege führen, wenn sie die Möglichkeit dazu sehen. Es ist weder ein neues Phänomen von Seiten Russlands noch von Putin. Es ist internationale Praxis: Die jeweils Stärkeren (oder die, die sich dafür halten) führen Kriege, wenn sie glauben, davon profitieren zu können. Das scheint mehr eine Folge der Machtsysteme und Denkmuster zu sein als ein Ausdruck persönlicher Charaktere.
Putins Krieg in der Ukraine kämpfen noch zum Teil Menschen gegen Menschen. Wie werden solche Kriege erst laufen, wenn sie fast nur von Drohnen und Kampfrobotern geführt werden, die aus einem Atombunker heraus per Mausklick gestartet werden, wie es heute Millionen Kinder und Erwachsene täglich zu Hause in Computerspielen üben? Sie sehen keinen Menschen mehr leiden. Ein junger amerikanischer Bomberpilot berichtete aus einem Einsatz im Irak 2003, dass es „wie ein spannendes Baseball-Spiel" gewesen sei.
Wenn dann plötzlich ein Präsident einer entsprechend gerüsteten Nation meint, dass sein Volk in der Umweltkrise nur überleben kann, wenn es drei Milliarden Menschen weniger auf der Erde gibt, kann er diese per Mausklick auslöschen – im besten Willen zur Rettung seines Volkes und sogar der Biosphäre.
Einem Gewalttäter auch die „andere Wange" hinzuhalten, kann in manchen Situationen hilfreich sein. Aber bei einem Amokläufer mit einem Maschinengewehr oder digital gesteuerten Tötungsmaschinen hilft das nicht. Diese müssen gestoppt werden – möglichst bevor sie loslegen. Die bedrohten Menschen müssen geschützt werden. Ganz aktuell ist deshalb die starke internationale Hilfe für die Ukraine richtig. Aber ist es nicht naiv, deshalb den Westen als Friedensbringer darzustellen und als Konsequenz im Macht-Opfer-Muster zu glauben, dass eine vermehrte Aufrüstung des Westens zu mehr Frieden führt? Wenn man die ökonomische Profit-Triebkraft hinter der Rüstungsindustrie sieht, dürfte man eher skeptisch sein, dass taktische Aufrüstung wirklich hilfreich für eine strategische Abrüstung sein kann. Allein die USA geben jährlich zwölf mal so viel Geld für Rüstung aus wie Russland und drei mal so viel wie Russland und China zusammen.
Womöglich steckt eine ähnlich brutale Hoffnung hinter dieser Aufrüstung wie sie Putin hatte: Eine starke militärische Überlegenheit wird den Gegner so abschrecken, dass er alle (wirtschaftlichen u.a.) Bedingungen erfüllt? Das ist ein Denken noch im barbarischen, verletzenden Prinzip des Stärkeren, das wir glaubten in den Kulturen durch das Einführen einer Rechtsprechung gelöst zu haben. Es ist die simple Logik, die dem militärischen Denken und dem der Geheimdienste zugrunde liegt – das illusorische Narrativ, dass Waffen auf Dauer Sicherheit bringen.
Heute braucht es ein anderes Denken. Ein Denken in Kooperationen zum guten Leben in Frieden unter Anerkennung und Wahrung der Menschenrechte.
Im internationalen Miteinander verüben die physisch Mächtigeren heute immer noch Vergeltungsschläge, die weit über die erlittene Verletzung hinausgehen (man denke zum Beispiel an die USA und die Taliban, Israel und Palästina, Türkei und Kurden...). Der Mensch neigte und neigt offensichtlich immer noch zu sehr zu einem verletzenden Re- und Interaktionsmuster, wenn er die Macht dazu hat.
Doch ein politischer Friedensprozess ist global denkbar, ganz analog wie es in vielen Staaten ein Gewaltmonopol für den Staat und ein Waffenverbot für Einzelne gibt. So können wir heute ein Gewaltmonopol für die UNO fordern und dieses etablieren. Mit einer internationalen Gerichtsbarkeit und Exekutive. Es ist sicher kein Zufall, dass die drei Großmächte USA, Russland und China bislang den internationalen Gerichtshof (noch?) nicht anerkannt haben.
In der Bildung der Kulturen wurde das Prinzip des Stärkeren und der folgenden Rache ersetzt durch ein Recht, das für alle gelten soll und von Vertretern der Gesellschaft ausgeführt wird. Dies galt und gilt dem Schutz von Opfern und der kulturellen Kooperation, zu der alle ihren Beitrag liefern.
International gibt es ein ähnliches Bemühen wie in den Kulturen auch – ganz besonders nach dem 2. Weltkrieg durch die UNO, das Völkerrecht und den internationalen Gerichtshof. Genau in diesem Sinne muss die Völkergemeinschaft aktiviert und gestärkt werden – natürlich möglichst unabhängig von den Großmächten. Als demokratisches Machtinstrument der vielen Nationen.
Es braucht allerdings bis zu dem idealen Zustand ohne vernichtende Waffen weltweit eine von der UNO kontrollierte Abrüstung. Die Staaten, die bis jetzt schon die internationale Gerichtsbarkeit anerkennen, sollen und können sich zusammenschließen zur Koalition der Friedenswilligen zur globalen Abrüstung. Ihre militärische Rüstung können sie zunächst der UNO zur Verfügung stellen, damit diese eine Exekutive aufbauen kann, die auch der Willkür der Großmächte Einhalt bieten kann. Wer in den UN-Sicherheitstrat will, muss den internationalen Gerichtshof anerkennen und das Völkerrecht befolgen. (Diese Regelungen müssten idealerweise zu Friedenszeiten erfolgen, wenn ein anderes Denken als das im Macht-Opfer-Muster leichter möglich ist.) Wenn eine Nation dies verletzt, wird sie aus dem Rat ausgeschlossen, wie es von Kiew jetzt sehr gut gefordert wird. Das betrifft allerdings außer Russland auf jeden Fall auch noch die USA in Bezug auf den Irak-Krieg u.a. Die UNO muss für diese Friedensaufgabe gestärkt und wohl neu organisiert werden. Das könnten und sollten Grundlagen einer werteorientierten und friedvollen Außenpolitik sein.
Strategisch dürfte ein Aufrüsten nur unter der Bedingung stattfinden, dass alle Nationen unter der Kontrolle der UNO abrüsten. Das bedeutet, dass kommende Militärausgaben der UNO untergeordnet werden müssen: einzig als Mittel zum Zweck der weltweiten Abrüstung. Wenn das nicht intendiert und vertraglich geregelt ist, treibt es mehr den Rüstungswettlauf an, der mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwann in einen oder mehrere große Kriege führt.
Nur die UNO darf Militär haben, das dann im Zuge der allgemeinen Abrüstung auch abgerüstet wird, bis hin zu einer Exekutive wie Polizei, die – metaphorisch – mit Schlagstöcken und Pfefferspray ausgerüstet ist. Womöglich noch wichtiger sind dann Armeen von Streitschlichtern und Friedensstiftern, zu denen jeder Mensch auch in seinem Alltag gehören kann. Alle, die für ein gutes Leben möglichst aller Menschen in der Biosphäre kooperieren, geben dem Frieden eine große Triebkraft.
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Gesellschaft | Politik, 20.03.2022
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