Report des IPCC zeigt drastisch:
Emissionen müssen in diesem Jahrzehnt massiv sinken - Klimafinanzierung muss steigen
- Weltklimarat sieht in sehr starker Emissionsminderung bis 2030 und Verdreifachung bis Versechsfachung der jährlichen Investitionen dafür die einzige Chance, 1,5-Grad-Limit ohne zeitweises Überschreiten zu schaffen
- Laut der meisten Szenarien ist das 1,5-Grad-Limit nur noch mit ergänzender CO2-Entnahme aus der Atmosphäre realistisch - aber noch viel Forschungsbedarf zu den möglichen Technologien
- Germanwatch: Turbo beim Ausstieg aus fossilen Energien und Prüfung des Einsatzes negativer Emissionen sowie deutlich mehr Unterstützung für die ärmeren Länder des globalen Südens nötig
Der heute vorgelegte dritte Teil des neuen Reports des Weltklimarats IPCC zeigt nach Ansicht von Germanwatch in nie da gewesener Deutlichkeit, dass die für die Bewältigung der Klimakrise entscheidende Dekade begonnen hat. "Der IPCC zeigt, dass wir zur Eindämmung der Klimakrise nur noch eine Option haben: die massive Senkung der globalen Emissionen bereits bis Ende dieses Jahrzehnts und eine entsprechende Steigerung der dafür nötigen Investitionen", betont Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. "Der Krieg gegen die Ukraine zeigt zudem, dass es zwei gute Gründe für diese Beschleunigung gibt: Ein rascher Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas ist der einzige Weg zur Abwendung einer eskalierenden Klimakrise und der schnellste Weg zu Stabilität und Frieden, da er gas- und ölreichen autokratischen Regimen ihre schärfste Waffe nimmt."
"CO2-Entnahme ist kein Rabatt auf nötige große Emissionsminderung"
Der IPCC stellt klar, dass er ohne massive Emissionssenkungen bereits bis 2030 keinerlei Chancen mehr sieht, ein zumindest zeitweises Überschießen des 1,5-Grad-Limits zu vermeiden. Vermutlich ist selbst bei durchgreifenden und schnellen Reduktionen ergänzend auch die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre notwendig. Bals: "Jedem sollte klar sein: Die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre gibt uns keinen Rabatt auf die nötigen massiven Emissionseinschnitte bis 2030. Ohne ungefähr eine Halbierung der globalen Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 2010 wird das sehr wichtige Ziel zur Abwendung einer möglicherweise eskalierenden Klimakrise - das 1,5-Grad-Limit - gerissen. Wir brauchen aber zusätzlich Forschung dazu, ob und wie ergänzend eine möglichst risikoarme Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre gelingen kann. Dies würde die Chancen erhöhen, die Auswirkungen der Klimakrise abzumildern. In welchem Ausmaß das gelingen kann ist ebenso offen, wie mögliche Rückkopplungen und Risiken für Mensch und Natur, die damit verbunden sein könnten. Wenn der Turbo beim Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas gelingt, dann kann diese zusätzliche Absicherung eventuell das Überschreiten der Hochgefahrenschwelle von 1,5 Grad vermeiden."
Dekarbonisierung des Flugverkehrs macht Fliegen nicht klimafreundlich
Bals betont: "Leider wurde die Übernahme einer wichtigen Aussage des Hauptberichts zum Flugverkehr in die Summary for Policymakers verhindert: Klimaschutz muss beim Flugverkehr über die Emissionseinsparung hinausgehen, da beim Fliegen zwei Drittel der Erwärmungswirkung der Emissionen nicht von CO2, sondern von anderen Emissionsbestandteilen herrühren. Eine Dekarbonisierung der Treibstoffe allein macht den Flugverkehr also noch nicht klimafreundlich."
Die Zusammenfassung für die politischen Entscheidungsträger macht deutlich, dass zwischen 2020 und 2030 durchschnittlich weltweit drei bis sechs Mal mehr in Klimaschutz pro Jahr investiert werden muss als bisher, wenn der globale Temperaturanstieg auf weniger als 2 Grad oder gar 1,5 Grad begrenzt werden soll. Die Lücke zwischen aktuell tatsächlichen und notwendigen Investitionen sei im Landnutzungssektor und in Entwicklungsländern am größten. Deutlich größere Zuschüsse von Industriestaaten für Klimaschutz und -anpassung in verletzlichen Regionen, ganz besonders in Sub-Sahara-Afrika, würden sich nicht nur ökonomisch lohnen, sondern hätten auch große soziale Vorteile - etwa für den Zugang zu einer Grundversorgung mit Energie.
Rixa Schwarz, Leiterin des Teams Internationale Klimapolitik bei Germanwatch: "Der IPCC zeigt, dass Alle mehr investieren müssen, aber dass vor allem die besonders Verletzlichen im globalen Süden bisher keine Unterstützung erhalten, die dem tatsächlichen Bedarf auch nur annähernd entspricht. Die Wissenschaft hat dies noch nie so klar wie jetzt formuliert." Es sei wichtig, dass der IPCC nun erstmals in der Zusammenfassung für die politischen Entscheidungsträger auch die notwendige Finanzierung für die wachsenden klimabedingten Schäden und Verluste anspreche. Schwarz: "Für klimabedingte Schäden und Verluste kommen die historischen Hauptverursacher aus dem globalen Norden und die großen Schwellenländer mit noch immer steigenden Emissionen bisher überhaupt nicht auf."
Mehr und breitere Klimapartnerschaften mit Schwellenländern nötig
Berechnungen auf Grundlage des IPCC-Reports ergeben: Würden die weltweiten Emissionen auf dem Stand von 2019 (vor Corona) verharren, wäre das noch zur Verfügung stehende Budget für das 1,5-Grad-Limit in ca. 11 bis 13 Jahren komplett aufgebraucht. Doch der Report sieht auch Anlass zur Hoffnung, denn der Siegeszug der Erneuerbaren Energien ist weltweit ungebrochen. In den meisten Regionen der Welt ist Strom aus Wind und Sonne heute deutlich günstiger zu gewinnen als aus fossilen Quellen oder Atomenergie. Und der IPCC zeigt eine Vielzahl von kostensparenden Möglichkeiten zur Emissionssenkung auf.
Durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine sind die Kosten insbesondere von Gas und Öl weiter gestiegen, Erneuerbare sind dadurch im Vergleich noch günstiger geworden. Genau an diesem Punkt sollte die G7, die in diesem Jahr unter deutscher Präsidentschaft steht, ansetzen. Christoph Bals: "Wir brauchen mehr Energiewendepartnerschaften der großen Industriestaaten mit Schwellen- und Entwicklungsländern. Es gilt zu verhindern, dass diese Staaten angesichts der hohen Gaspreise vermehrt in Kohle investieren. Dort sollte jetzt mit entsprechender Unterstützung großflächig in Energieeffizienz und eine erneuerbare Stromversorgung investiert werden. Außerdem geht es darum, insbesondere den Ärmsten dabei zu helfen, sich an die Folgen der Klimakrise anzupassen und nicht mehr vermeidbare Schäden zu bewältigen." Die Länder am Horn von Afrika und in Nordafrika sind derzeit massiv von Dürre und steigenden Getreidepreisen betroffen. Bals weiter: "Auch bei der Bewältigung der Ernährungskrise ist die Bundesregierung als G7-Präsidentschaft in den nächsten Wochen ganz besonders gefordert. Dies alles wäre im Übrigen auch ein wertvoller Beitrag zur Friedenssicherung: Beschleunigter Klimaschutz führt zu weniger Kundschaft für Gas- und Öl-Autokraten. Und Unterstützung für die Anpassung an die Klima- und Ernährungskrise hilft, arme Regionen zu stabilisieren."
Umwelt | Klima, 04.04.2022
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