Spaltet der Ukraine-Krieg nun auch die deutsche Politik?
Christoph Quarch fordert ein generelles Twitter-Verbot für Diplomaten und Politiker in Regierungsverantwortung.
Während der Krieg in der Ukraine in die nächste Phase geht, wird hierzulande der Ton schärfer. Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hat über die Ostertage wiederholt scharfe Kritik an Bundeskanzler Olaf Scholz und der SPD vorgetragen. Dabei hat er seinen Vorwurf wiederholt, die Sozialdemokraten agierten traditionell russlandfreundlich und verzögerten die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine. Ex-Bundesaußenminister Sigmar Gabriel reagierte umgehend und hielt dem Botschafter vor, „wahrheitswidrige" und „bösartige" Unterstellungen zu verbreiten. Derweil greifen Unionspolitiker die Kritik Melnyks auf und attackieren unisono Scholz und die Sozialdemokraten. Spaltet der Ukraine-Krieg nun auch die deutsche Politik? Darüber reden wir mit unserem Philosophen Christoph Quarch.
Herr Quarch, wie
nehmen Sie die politische Auseinandersetzung in diesen Tagen wahr?
Mit
großer Sorge. Zunächst einmal stelle ich fest, wie unheilvoll es ist, dass in Zeiten des
Krieges sensible
politische Debatten in einem Medium wie Twitter ausgetragen werden. Vor allem einem Diplomaten steht das
meiner Ansicht nach schlecht zu Gesichte. Im zwischenstaatlichen Verkehr sollte
man grundsätzlich jedes
Wort auf die Goldwaage legen und verbale Schnellschüsse tunlichst
vermeiden. Dieses diplomatische
Ethos wird durch Messenger-Dienste
untergraben. Da schreibt man seinen Tweed, drückt auf „Enter" – und
etwas Irreversibles ist geschehen. Nicht ohne Grund wurden die Statements von Politikern
früher immer durch den Filter
ihrer Pressesprecher
geschickt.
Aber wo liegt das Problem? Die Öffentlichkeit verlangt heute
ein Höchstmaß an Transparenz. Da ist es doch von Vorteil, wenn politisch
relevante Diskurse öffentlich ausgetragen werden.
Ich
sehe das anders. Gerade in Kriegszeiten scheint mir diplomatische Diskretion das Gebot der
Stunde zu sein: vor allen wenn es um ein so sensibles Thema wie Waffenlieferungen geht. Man
ahnt ja, dass es hierbei nicht so einfach zugeht, wie an einem Marktstand, wo der Käufer
sagt, er hätte gerne dies oder das und die Verkäuferin holt es nur aus dem
Regal. Hier müssen internationale
Abkommen beachtet werden, hier muss man sich mit den Verbündeten abstimmen,
hier müssen möglicherweise im Hintergrund stehende Drohungen des militärischen Gegners
berücksichtigt werden. Wenn über solche Fragen entschieden werden muss, gehören die
entsprechenden Debatten maximal in den Bundestag, aber ganz sicher nicht in Talkshows und
noch weniger in Messenger-Dienste.
Es war ja aber nicht nur Herr Melnyk, der auf Twitter seine
Positionen vorbrachte. Sigmar Gabriel antwortete prompt – und ein für die
Öffentlichkeit interessanter Disput wurde ausgetragen.
Was
für die Öffentlichkeit interessant ist, ist noch lange nicht gut. Wie gesagt:
Das Thema Waffenlieferungen
verlangt per se höchste Diskretion.
Was ich an dem erwähnten Vorgang aber besonders dramatisch finde, ist der
Umstand, dass Melnyk
mit seinen Statements eine innenpolitische
Kontroverse anheizt, die ich deplatziert finde. Es ist für mich
verstörend zu beobachten, mit welcher Lust Unionspolitiker von Merz bis Wüst die Äußerungen
des Botschafters als willkommenes
Wasser auf ihre Mühlen lenken, um Druck auf Scholz und die Bundesregierung auszuüben;
ja, um zu behaupten, die Bundesregierung trage die Mitschuld an einer möglichen militärischen Niederlage der Ukraine.
Aber es ist doch vollkommen normal, wenn Politiker
versuchen, Vorteile aus den Schwächen ihrer Gegner zu ziehen.
Erstens
bleibt abzuwarten, ob es sich hier wirklich um Schwäche handelt oder vielleicht doch um Klugheit; zweitens finde
ich es obszön, den
Ukraine-Krieg so offensichtlich für den eigenen Wahlkampf zu instrumentalisieren, wie Herr Wüst das zuletzt in
NRW getan hat. Vor allem aber ist es in meinen Augen einfach nur unredlich, wenn
Unionspolitiker so tun, als habe die SPD die letzten 16 Jahre die deutsche Politik bestimmt. In
Wahrheit war es Frau Merkel,
die von ihrer Richtlinienkompetenz
Gebrauch machte und den Kurs gegenüber Russland und der Ukraine bestimmte. Aber
solche basalen Fakten
fallen unter dem Tisch,
wenn Politik nur noch im
Hurra auf Twitter
oder in Talkshows
veranstaltet wird. Das muss ein Ende haben. Deshalb fordere ich heute einfach
mal aus der Hüfte geschossen ein generelles Twitter-Verbot für Diplomaten und Politiker in Regierungsverantwortung. Rückkehr zur diplomatischen
Diskretion. Das wäre für mich jetzt dran.
Gesellschaft | Politik, 19.04.2022
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