Die Rüstungsindustrie ist kein nachhaltiges Investment
Der aktuelle Kommentar von Thomas Küchenmeister
Mehrere europäische Rüstungsunternehmen äußerten Ende 2021 die
Befürchtung, dass es für sie schwierig werden könnte, Finanzmittel zu
erhalten. Der Grund: Die EU dachte im Rahmen des "Taxonomie"- Prozesses
darüber nach, die Industrie als nicht nachhaltig zu klassifizieren. Nach
der russischen Invasion in der Ukraine erlebte diese Debatte jedoch
eine erschreckende Kehrtwende.
Es ist abstrus: In Leitartikeln und von Meinungsmachern werden Banken und Pensionsfonds auf einmal dafür kritisiert, dass sie die Rüstungsindustrie nicht finanzieren. Sie argumentieren, dass die fehlende Finanzierung die Verteidigungsfähigkeit im Invasionsfall gefährde. Wir von Facing Finance haben jahrelang argumentiert, dass Finanzinstitute nicht in Rüstungsunternehmen investieren sollten und sehen keinen Grund, unseren Standpunkt jetzt zu ändern. Im Gegenteil: Solange Rüstungsunternehmen sich nicht an grundlegende Standards für verantwortungsvolles Geschäftsgebaren halten, sind sie per se schädlich und gefährlich.
Missachtung völkerrechtlicher Verbote
Zunächst müssen wir verstehen, warum Finanzinstitute in den letzten Jahren Investments in Rüstungsunternehmen reduziert beziehungsweise gestoppt haben. Die meisten Investoren erklären mit ihren Richtlinien recht präzise, warum sie bestimmte Rüstungsunternehmen von Krediten oder Investitionen ausschließen. Dafür gibt es zwei Gründe. Der häufigste Grund ist, dass die fraglichen Unternehmen mit Waffen zu tun haben, die völkerrechtlichen Verboten unterliegen, zum Beispiel Streumunition und Antipersonenminen. Viele Finanzinstitute schließen zudem Unternehmen aus, die Atomwaffensysteme herstellen, die durch den Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) verboten sind. Deswegen werden große Waffenhersteller wie Airbus, Raytheon, Boeing, Leonardo und Thales von der Finanzierung ausgeschlossen.Der zweite Grund, warum Finanzinstitute Rüstungsunternehmen ausschließen, hat oft mit der (fehlenden) Verkaufsstrategie der jeweiligen Unternehmen zu tun. Fast alle großen Waffenhersteller liefern ihre Waffen nicht nur an das Verteidigungsministerium ihres Landes, sie exportieren ihre Produkte auch. Die wichtigsten Importeure westlicher Waffen waren in den letzten Jahrzehnten Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten. Diese Länder sind in den besonders für Zivilisten verheerenden Krieg im Jemen verwickelt und haben eine äußerst bedenkliche Menschenrechtsbilanz. Trotzdem haben Waffenhersteller, auch aus Europa, diese drei Länder mit Militärhubschraubern, Kampfjets, Schiffen und Raketen beliefert.
Die Kennzeichnung als nachhaltig ist perfide
Unsere Recherchen haben gezeigt, dass es – nimmt man die beiden Einwände ernst – derzeit kaum Rüstungsunternehmen gibt, in die man verantwortungsvoll investieren kann. Ende Juni hat die NGO Exit Arms erstmals eine Datenbank veröffentlicht, die Unternehmen transparent macht, die weltweit Kriegsparteien aufrüsten. Und die Bilanz ist erschreckend: Zwischen 2015 und 2020 waren rund 500 Unternehmen direkt, über Tochtergesellschaften oder über Joint Ventures an knapp 14.003 Rüstungsexporten beteiligt. 33 Kriegsparteien wurden hierdurch beliefert, die in völkerrechtswidrige Kriege involviert waren. Übrigens waren auch 40 Prozent der von uns analysierten ESG-Fonds an Rüstungsfirmen beteiligt, also derjenigen Fonds, die vorgeben Umwelt- und soziale Standards einzuhalten – und 70 Prozent der ETF-Fonds (börsengehandelten Indexfonds). In den letzten Jahrzehnten haben Banken, Versicherungen und Pensionsfonds begonnen, die internationalen Standards der UN und der OECD zu übernehmen, welche die Achtung der Menschenrechte in den Geschäftspraktiken vorsieht. Die Rüstungsindustrie hat dies noch nicht getan und glaubt fälschlicherweise, dass diese Standards für sie nicht gelten. So produziert sie weiterhin Waffen, die im Konflikt mit Standards stehen und liefert Waffen an Länder, in denen die Menschenrechte und das Kriegsrecht beziehungsweise Völkerrecht schwer verletzt werden.
Die europäische Rüstungslobby setzt sich nun dafür ein, dass die EU in ihrer geplanten Sozialtaxonomie die Rüstungsindustrie als nachhaltig einstuft. Im Rahmen der „Taxonomie" sollen angeblich die Unternehmenstätigkeiten aufgeführt werden, die am meisten zur sozialen Entwicklung und zur Achtung der Menschenrechte beitragen. In Anbetracht der derzeitigen Verhaltensweise des Rüstungssektors ist dieses Argument äußerst perfide. Die Kennzeichnung von Waffenherstellern als nachhaltig würde den gesamten Zweck der Taxonomie untergraben. Denn der besteht darin, Investoren dabei zu helfen, sicherzustellen, dass die Unternehmen, in die sie investieren, die Menschenrechte achten.
Die Macht der Finanzdienstleister nutzen
Der Forderung, dass Pensionsfonds und Banken "wieder" in die Rüstungsindustrie investieren sollen, müssen wir mit der Frage begegnen: Werden die Rüstungsunternehmen die internationalen Standards, die zum Schutz der Menschenrechte und der internationalen Rechtsstaatlichkeit bestehen, jetzt ernst nehmen? Werden sie aufhören, Waffen an Regime zu liefern, die so autokratisch sind wie zum Beispiel der Kreml?Wenn die Rüstungsindustrie einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten soll, muss sie zunächst aufhören, Korruption, Unterdrückung und humanitäre Krisen zu befeuern. Finanzdienstleister haben die Macht, Veränderung zu bewirken, indem sie für die Kreditvergabe und Investments hohe Nachhaltigkeitsanforderungen an Unternehmen stellen – und sie sollten dies auch tun, auch gegenüber der Rüstungsindustrie. Viele europäische Bankkunden würden das zu schätzen wissen, ebenso wie die Bürger weltweit, die in ihrem Land Krieg und Zerstörung durch in Europa produzierte Waffen erlebt haben.
Thomas Küchenmeister ist geschäftsführender Vorstand von Facing Finance. Der Verein koordiniert unter anderem in Deutschland die Arbeit von Fair Finance International, einem internationalen Recherche- und Kampagnennetzwerk in 15 Ländern, das sich für einen verantwortungsbewussten Umgang mit Geld einsetzt.
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Gesellschaft | Politik, 10.07.2022
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