Neue Studie: Sicher durchs Leben
Wie Systeme der sozialen Sicherung den demografischen Wandel in Subsahara-Afrika beeinflussen.
Mehr als 7,9 Milliarden Menschen leben am diesjährigen Weltbevölkerungstag auf der Erde - und es werden jede Sekunde mehr. Besonders in Subsahara-Afrika. Dort wird sich die Bevölkerung bis 2050 voraussichtlich verdoppeln. Doch schon heute haben die meisten Staaten Probleme, die Menschen ausreichend mit Schulen, Krankenhäusern, Nahrung und sauberem Wasser zu versorgen. Sie sind gefangen in einem Teufelskreis aus Bevölkerungswachstum und Armut. Systeme der sozialen Sicherung wecken Hoffnung. Sie versprechen, die Bedürftigsten aus der Armut zu heben, Fortschritte in Sachen Ernährung, Gesundheit und Bildung zu beschleunigen und indirekt die Geburtenrate zu senken.
Das weltweite Bevölkerungswachstum konzentriert sich zunehmend auf die weniger entwickelten Staaten vor allem in Subsahara-Afrika. Dort bekommen Frauen etwa doppelt so viele Kinder wie im Rest der Welt. Infolgedessen wird sich die Bevölkerung dort in den nächsten drei Jahrzehnten fast verdoppeln.
© Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung
Deshalb haben viele Regierungen der Länder südlich der Sahara in den letzten zwei Jahrzehnten den Aufbau sozialer Grundsicherungssysteme vorangetrieben. Zwar profitieren insgesamt nur 13,7 Prozent der Bevölkerung in Subsahara-Afrika von mindestens einer Leistung der sozialen Sicherung - die meisten Menschen arbeiten im informellen Sektor, zahlen keine Steuern und haben daher keinen Anspruch auf eine Rente oder Krankenversicherung. Trotzdem führen Sozialleistungen wie Geldtransfers nachweislich dazu, dass Mädchen länger die Schule besuchen und später schwanger werden. Kostenlose Schulspeisungen bewirken, dass die Kinder regelmäßiger zum Unterricht gehen und besser lernen. Und Menschen, die im Alter eine Rente erhalten, sind weniger auf die Unterstützung ihres Nachwuchses angewiesen.
"All das sind wichtige Faktoren, die die Geburtenrate senken und den demografischen Wandel vorantreiben", sagt Catherina Hinz, Direktorin des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. "Wollen die Länder die Potenziale für sich nutzen, sollten sie ihre Sozialleistungen an die jeweilige Phase des demografischen Übergangs, in der sie sich gerade befinden, anpassen." Das Berlin-Institut hat erstmals untersucht, wie sich Maßnahmen der sozialen Sicherung auf die Bevölkerungsentwicklung in ausgewählten Ländern Subsahara-Afrikas auswirken und in der vorliegenden Studie "Sicher durchs Leben" beschrieben.
Grundsicherung für die ärmsten Länder
In Tansania, Sambia und Malawi, wo die Zahl der Menschen weiter wächst und die Kinderzahlen pro Frau nur langsam zurückgehen, bedeutet soziale Sicherung meist eine Grundsicherung für die bedürftigsten Haushalte. In Tansania erhalten beispielsweise 1,1 Millionen Haushalte Geldtransfers - das entspricht in etwa jede:r Zehnten im Land. Zwar lebt auch trotz Transfer noch mehr als jeder zweite Haushalt unterhalb der Armutsgrenze. Aber die Maßnahmen tragen dazu bei, dass die Kinder von Paaren, die das Geld erhalten, gesünder sind und häufiger und länger eine Schule besuchen. "Mit steigender Bildung wachsen die Möglichkeiten für junge Frauen, selbstbestimmt und gleichberechtigt zu entscheiden, wie sie ihr Leben führen wollen", sagt Studienautorin Lorena Führ. "In der Regel bringen sie dann später und insgesamt weniger Kinder zur Welt."
Auch wenn die Maßnahmen in den ärmsten Ländern noch längst nicht alle Menschen erreichen, verbessern sie vielerorts die Lebensbedingungen und den Zugang zu Bildung. In Malawi stabilisieren informelle Spargruppen Haushaltseinkommen und verringern das Risiko der Menschen, zu verarmen. Auf Sansibar sorgt eine Grundrente dafür, dass ältere Menschen nicht mehr auf die Unterstützung von möglichst vielen Kindern und Enkeln angewiesen sind. Kostenlose Schulspeisungen bewirken, dass Kinder häufiger und länger eine Schule besuchen. "Um soziodemografische Wirkungen zu erzielen, sollten die Regierungen aber die Qualität der Bildung erhöhen und die unterschiedlichen Maßnahmen zur Grundsicherung besser koordinieren und miteinander verzahnen", sagt Lilian Beck, Mitautorin der Studie.
Sozialversicherungen für fortgeschrittenere Länder
Mit dem demografischen Wandel ändert sich die Altersstruktur der Länder und damit auch das Bedürfnis der Menschen nach bestimmten Formen der Absicherung. Kenia, Ghana und Ruanda haben ihre Systeme der sozialen Sicherung bereits weiterentwickelt und erlauben erste Prognosen zur Wirkung auf die Kinderzahlen. Mit einer gemeindebasierten Krankenversicherung hat Ruanda beispielsweise innerhalb von zehn Jahren über 95 Prozent der Bevölkerung versichert. Im selben Zeitraum ist die Mütter- und Kindersterblichkeit um 30 Prozent gesunken. Überall dort, wo Kinder durch bessere Gesundheitsversorgung höhere Überlebenschancen haben, entscheiden sich Eltern ein bis zwei Generationen später für weniger Nachwuchs. Ghana hat Geldtransfers für die Ärmsten mit kostenlosen Gesundheitsdiensten verknüpft. "Statt das Geld für Arztbesuche und Medikamente auszugeben, können sie es in den Schulbesuch ihrer Kinder und in Essen investieren", sagt Führ. "Das verstärkt die Wirkung des Transfers auf die Kinderzahlen." Die Gesundheitsversorgung für Mütter ist in Ghana zudem seit 2012 kostenfrei.
Im südlichen Afrika sind die Kinderzahlen im Vergleich am stärksten zurückgegangen. Dort bringen Frauen im Schnitt heute nur noch 2,5 Kinder zur Welt. Gleichzeitig steigt dort künftig die Zahl der über 64-Jährigen. Länder wie Botsuana, Namibia und Südafrika investieren bereits stark in den Ausbau ihrer Rentensysteme. In Südafrika sichern die Grundrente zusammen mit einer betrieblichen Altersvorsorge die über 60-Jährigen quasi vollständig ab. Auch in Namibia bekommen alle über 60-Jährigen unabhängig von ihrem Einkommen eine Grundsicherung. Einer Analyse zufolge entscheiden sich Namibierinnen im Alter von 30 bis 45 Jahren seit der Einführung der Grundrente für weniger Kinder.
Wirkung auf die Geburtenrate
Noch ist die Datenlage von sozialer Sicherung als Einflussfaktor auf die Kinderzahlen begrenzt. "Dennoch zeigt diese Analyse das Potenzial von sozialer Sicherung, den demografischen Wandel zu beschleunigen", erläutert Direktorin Catherina Hinz. Deshalb sollten Sozial-, Renten- oder Krankenversicherungen als bevölkerungspolitische Maßnahme künftig stärker beachtet werden. Die Maßnahmen, die besonderes Potenzial zeigen, die Bevölkerungsentwicklung zu beeinflussen, wie etwa Geldtransfers für Familien, deren Kinder die Sekundarschule besuchen, sollten weiter ausgebaut werden. "Angesichts der großen Jugendgeneration, die jetzt auf den Arbeitsmarkt strömt, sollten afrikanische Regierungen vor allem Sozialversicherungen für junge Erwerbstätige stärker in den Blick nehmen", fordert Hinz. Ein Großteil der jungen Menschen arbeitet im informellen Sektor - ohne jegliche Absicherung. "Ob sie sich bei Krankheit, Verlust des Jobs oder im Alter absichern können, wird sich nicht nur auf ihre Zukunftschancen, sondern auch auf ihre Familienplanung auswirken."
Die Studie "Sicher durchs Leben. Wie Systeme der sozialen Sicherung den demografischen Wandel in Subsahara-Afrika beeinflussen" steht Ihnen als Download zur Verfügung.
Kontakt: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung | info@berlin-institut.org | www.berlin-institut.org
Gesellschaft | Globalisierung, 08.07.2022
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