Ist der Traum von der Naturbeherrschung ausgeträumt?
Zum Jahrestag der Ahrtalkatastrophe fordert Christoph Quarch eine neue Demut und Scheu gegenüber der Natur, Respekt und Ehrfurcht vor dem Leben.
Ein Jahr ist es her, dass infolge von Dauerregen die Ahr über die Ufer trat und eine beispiellose Flutkatastrophe auslöste. Allein in Deutschland kamen mehr als 180 Menschen ums Leben, der entstandene Sachschaden beläuft sich auf mehrere Milliarden Euro. Über die Ursache der Katastrophe sind die Wissenschaftler weitestgehend einig: Erderwärmung und steigende Temperaturen der Ozeane führen immer häufiger auch in unseren Breiten zu Extremwetterlagen. Und wir stehen dem machtlos gegenüber. Politische und wirtschaftliche Maßnahmen greifen – wenn überhaupt – erst in Jahrzehnten. Ist der Traum von der Naturbeherrschung ausgeträumt? Darüber sprechen wir mit dem Philosophen Christoph Quarch.
Herr
Quarch: Zeigt uns die Natur gerade, wo der Hammer hängt?

Das
passt aber nicht gut zu dem von Ihnen zitierten Goethe-Wort. Von einem
„freundlichen Spiel" kann doch kaum die Rede sein, wenn es viele Menschen leben
kostet.
Das Spiel der Natur folgt einer einfachen Regel, die
früheren Kulturen und Völkern sehr bewusst war: Alles Leben strebt nach
Gleichgewicht und Stimmigkeit. Die lebendige Natur organisiert sich in
komplexen Systemen, und für alle diese Systeme gilt, dass sie genau dann gesund
sind und sich entfalten können, wenn sie mit sich selbst und ihrem Umfeld im
Einklang sind. Das setzt voraus, sich in Ökosysteme integrieren und mit anderen
kooperieren zu können. Die systemische Biologie hat diesbezüglich
bemerkenswerte Erkenntnisse gewonnen, die das alte darwinistische Modell vom
Kampf ums Überleben korrigieren. Heute sehen wir: Die Natur ist freundlich,
weil sie einer Logik des Miteinanders folgt. Unser Fehler ist und war es, diese
Logik zu ignorieren und uns die Natur unterwerfen zu wollen.
Die
Natur hat aber doch auch etwas Bedrohliches und Zerstörerisches. Ist es da
nicht naheliegend, dass der Mensch sie beherrschen will?
Dass
der Mensch befugt ist, sich als „Herr und Meister der Natur" zu gerieren, ist
ein Gedanke, den der Philosoph René Descartes im Jahre 1637 formuliert hat.
Vorbereitet war diese Parole durch den biblischen Schöpfungsbericht, demzufolge
Adam von Gott beauftragt wurde, über Tiere und Pflanzen zu herrschen. Auf
diesem geistigen Boden errichtete dann der Mensch der Moderne seine Technik,
Wissenschaft und Ökonomie, um die Natur nach Maßgabe seiner Interessen
auszubeuten. Die Folgen dieses Feldzugs gegen die Natur sind heute allenthalben
sichtbar. Aber es ginge auch anders. Indigene Kulturen folgten über
Jahrtausende einem Ethos, das sie aufforderte, in Harmonie mit der Natur zu
leben. Und die alten Griechen warnten nicht nur allenthalben vor der Hybris,
die Natur beherrschen zu wollen. Sie lebten tatsächlich viel naturgemäßer.
Aber
dahin führt kein Weg zurück. Was müsste heute geschehen, damit Katastrophen wie
das Ahrtalhochwasser nicht zur Regel werden?
Der
englische Romancier D.H. Lawrence hat einmal geschrieben: „We must plant
ourselves again in the universe". Wir müssen uns wieder ins Universum pflanzen.
Das ist ein gutes Bild. Ich denke, wir brauchen dringend eine neue Rückbindung
an die Natur. Und das ist etwas anderes als Waldbaden oder Outdoor-Adventures.
Es geht um so etwas wie Demut und Scheu gegenüber der Natur. Respekt und
Ehrfurcht vor dem Leben. Das lässt sich natürlich nicht verordnen. Dafür
braucht es eine echte Disruption des Denkens – eine neue Begeisterung und
Leidenschaft für das Leben, in deren Folge sich unsere Werte ändern: der SUV
und das iPhone sind nicht mehr wichtig, wenn man erkannt hat, dass es nichts
Heiligeres gibt als das mittägliche Rauschen des Windes in einer schattigen
Eiche.

Umwelt | Klima, 14.07.2022

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