"Ich will Spaß" oder "Flucht in die Panik"?

Christoph Quarch sieht die vor uns liegende Durststrecke als Weg in eine für alle bessere, nachhaltigere und humanere Gesellschaft

Wir leben in einer merkwürdigen Zeit. Von überall her hören wir Horrorszenarien: Deutschland steht am Abgrund, die Mittelschicht verarmt, der Winter wird teuer, kalt und finster und Extremisten stehen in den Startlöchern für massive Proteste. Auf der anderen Seite sind Restaurants und Innenstädte brechend voll, die Leute fahren munter in den Urlaub, Kulturveranstaltungen und Feste sind bestens besucht. Wie passt das zusammen? Darüber reden wir mit dem Philosophen Christoph Quarch.
 
Herr Quarch, wie nehmen sie unser Land im Spätsommer 2022 wahr?
© Geralt, pixabay.comMit großer Sorge. Was Sie da beschreiben, sind für mich Symptome einer zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung. Auf der einen Seite gibt es in unserem Land eine große Zahl von Menschen, die finanziell so gut ausgestattet sind, dass sie sich über steigende Energiepreise keine Gedanken machen und statt dessen in den „Ich will Spaß"-Modus schalten. Daneben gibt es eine weniger sichtbare Gruppe von Zeitgenossen, die in den Panik-Modus gefallen ist. Bei Lichte besehen sind beide Symptomträger derselben mentalen Pathologie namens Egozentrik. Die einen flüchten sich in Hedonismus, um für sich das Maximum an Spaß herauszuholen, die anderen schüttelt die Angst, ihren Wohlstand zu verlieren.

Aber ist das nicht ganz verständlich? Gerade nach der Covid-Zeit, wollen die Menschen wieder etwas erleben und ihr Leben genießen. Die einen können sich das leisten, die anderen nicht.
Ich glaube nicht, dass das „Sich-etwas-leisten"-Können die zentrale Rolle spielt. Auch Mittellose verjubeln gerade ihre Kohle – und auch Wohlsituierte schieben Panik. Nein, es geht tatsächlich um diese kollektive Grundhaltung der Egozentrik. Das ist auch kein Wunder, denn diese Mentalität ist uns über lange Jahre von Psychologen, Frauenzeitschriften und Werbeleuten eingetrichtert worden: „Du bist der wichtigste Mensch in deinem Leben!" „Du darfst nicht zu kurz kommen!" Gerade erst habe ich auf der Autobahn ein fettes Wohnmobil gesehen mit der Aufschrift: „Wir verprassen das Erbe unserer Kinder". Mit so einer Haltung können wir der Krise nicht Herr werden – ebenso wenig wie durch Flucht in die Panik.

Sie sagen „Flucht in die Panik". Aber Sie sehen doch auch, dass es sehr viele Menschen in diesem Land gibt, die wirklich nicht wissen, wie sie durch den Winter kommen sollen?
Natürlich gibt es diese Menschen. Und natürlich haben Sie berechtigten Grund zur Sorge. Aber die Frage ist doch, wie man damit umgeht: Ob man seine Angst vor sich her trägt und darauf wartet, dass Herr Habeck einen rettet – und dann jammert, wenn er es nicht genauso tut, wie man es gern hätte – oder ob man die Ärmel hochkrempelt und sich sagt: „Okay, was kann ich machen?" – Oder besser noch: „Okay, jetzt ist die Zeit, den längst fälligen Umbau der Gesellschaft voranzubringen. Let’s do it!" Eine Krise bewältigt man nur mit einer solchen Einstellung. Aber davon sind wir weit entfernt. Dabei tut die Regierung wirklich viel für diesen Umbau. Aber egal, was sie anfängt, sie wird mit Häme überzogen; wie übrigens jeder, der sich für einen Wandel der Gesellschaft einsetzt. Die Besitzstandswahrer geben den Ton an.

Meinen Sie, wir kommen besser durch die Krise, wenn wir unseren kritischen Geist hintanstellen? Die Debatte um die Gasumlage hat doch gerade erst gezeigt, wie wichtig kritische Kommentare sind, um gute Lösungen zu finden.
Ja, aber es der Ton, der die Musik macht. Im Augenblick erlebe ich den öffentlichen Diskurs als kontraproduktiv. Anstatt Mut zu machen und die Lust am Wandel zu befeuern, bedienen die Kommentatoren die egozentrischen Bedürfnisse und Ängste ihrer Mitbürger. Ich denke, an diesem Punkt müssen gerade wir in den Medien umdenken. Statt alles schlecht zu reden und Panik zu verbreiten, läge es auch an uns, die Menschen zu ermutigen und ihnen deutlich zu machen, dass die vor uns liegende Durststrecke den Weg in eine für alle bessere, nachhaltigere und humanere Gesellschaft ebnen kann. Aber dafür müssen wir aufhören, das Erbe unserer Kinder und Enkel zu verjubeln und anfangen, etwas für die Gemeinschaft zu tun.

Der Philosoph Christoph Quarch schreibt regelmäßig für forum Nachhaltig Wirtschaften. © Christoph Quarch










Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
 
In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.

Lesen Sie mehr von ihm unter www.christophquarch.de

Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel"

Gesellschaft | Politik, 30.08.2022

     
        
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