Regeneratives Wirtschaften
Warum sich der Wiederaufbau der Natur lohnt
Zwar steht Nachhaltigkeit in der Wirtschaftswelt endlich auf der Agenda. Das reicht jedoch in Anbetracht des heutigen Zustands der Natur nicht mehr aus – es braucht nicht nur nachhaltiges, sondern regeneratives Wirtschaften, um Klima- und Nachhaltigkeitsziele noch erreichen zu können. Was ist regeneratives Wirtschaften und welche Unternehmen arbeiten bereits damit? Wie führt die ökologische Regeneration zu ökonomischem Erfolg?
Luft zum Atmen, Obst und Fleisch zum Essen, Schutz vor Überschwemmung und Dürren: Wir verdanken funktionierenden Ökosystemen den größten Teil unseres Lebensstandards und Wohlstands. Steigender Konsum und Klimawandel zerstören jedoch eine zunehmende Anzahl an Ökosystemen weltweit. Weniger als ein Viertel der globalen Landoberfläche ist heute frei von menschlichen Einflüssen – Tendenz weiter sinkend. Das hat verheerende Auswirkungen auf Mensch, Natur und Wirtschaft: Es führt zum Massensterben von Arten und damit zu einem starken Rückgang der biologischen Vielfalt, verringert die Widerstandsfähigkeit gegenüber Auswirkungen des Klimawandels, verstärkt Naturkatastrophen, verursacht Probleme in der Landwirtschaft beim Anbau von Nahrungsmitteln und ist ein wichtiger Grund für Massenmigration. Zerstörte Ökosysteme kosten aufgrund des Verlusts von Arten und Ökosystemfunktionen mehr als zehn Prozent des jährlichen globalen Bruttoinlandsprodukts (etwa 6,3 Billionen Dollar).
Hilft heilen: die Förderung von Kreisläufen
Wie lassen sich diese Ökosystemleistungen wiederherstellen – also regenerieren? Und welche Betriebe können dazu beitragen? Ursprünglich bezieht sich regeneratives Wirtschaften auf Praktiken der nachhaltigen Landwirtschaft, die mit der Natur arbeiten, nicht gegen sie. Regenerative Landnutzungskonzepte berücksichtigen Kreisläufe der Natur, um Gebiete und Böden wieder in ihren gesunden und fruchtbaren Zustand zu versetzen – daher heißt die regenerative Landwirtschaft auch „aufbauende" Landwirtschaft. Agroforstsysteme, die Bäume und Landwirtschaft miteinander verbinden, und die Permakultur, die natürliche Kreisläufe und Ökosysteme nachahmt, zählen auch dazu. Aber nicht nur ländliche Gebiete und die Landwirtschaft können regenerativ wirtschaften: Städte zeigen mit Beispielen wie Tiny Forests, Stadtgärten oder Urban Food Growing, wie sich Ökosysteme und Biodiversität niederschwellig schützen und fördern lassen. Regenerative Konzepte lassen sich auch auf andere Ökosysteme übertragen, zum Beispiel bei der Begrünung von Wüsten, im Bereich der Marine Restoration der Meere und bei der Wiederherstellung von Wasserstraßen.
Wirkt nützlich: die Praktiken des guten Klimas
Gesunde Ökosysteme sind in der Lage, etwa 50 Prozent aller emittierten Treibhausgase zu absorbieren. Ihre Aufnahmekapazität nimmt jedoch ab, wenn der Mensch sie überlastet und zerstört. Die Wiederherstellung von Ökosystemen an Land und im Wasser erhöht folglich die weltweite Kohlenstoffspeicherung. Das könnte mehr als ein Drittel der kosteneffizientesten Klimaschutzmaßnahmen ausmachen, die bis 2030 erforderlich sind, um die globale Erwärmung auf unter zwei Grad Celsius zu begrenzen. Bis 2030 ließen sich auf diesem natürlichen Wege 13 bis 26 Gigatonnen CO? aus der Atmosphäre entfernen. Regeneratives Wirtschaften ist ein Multitalent, denn es trägt zum Erreichen aller 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) bei, beispielsweise zur Beseitigung des Hungers durch die Bereitstellung nahrhafter Lebensmittel, zur Eindämmung des Klimawandels, zur Stärkung der biologischen Vielfalt und zur Schaffung von Frieden.
Ist versprochen: die Politik des Wiederaufbaus
Mit der UN-Dekade zur Wiederherstellung von Ökosystemen richten die Vereinten Nationen den Fokus des laufenden Jahrzehnts auf den Schutz und Wiederaufbau von Ökosystemen auf der ganzen Welt mittels regenerativer Praktiken. Insgesamt verpflichteten sich im Rahmen der Weltklimakonferenz 2021 in Glasgow bereits mehr als 140 Länder und zahlreiche Unternehmen auf der ganzen Welt, bis 2030 fast eine Milliarde Hektar an Ökosystemen wiederherzustellen – eine Fläche, die größer ist als China.
Zahlt sich aus: die Ökonomie einer gesunden Natur
Regeneratives Wirtschaften ist allerdings nicht nur ökologisch wertvoll, sondern birgt auch ein großes wirtschaftliches Potenzial: Bis 2030 kann die Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme einen zusätzlichen Wert von neun Billionen US-Dollar schaffen. Der erzielte Nutzen übersteigt die Kosten der ursprünglichen Investition im Durchschnitt sogar um das Zehnfache, während die Kosten der Untätigkeit mindestens dreimal so hoch sind wie die ursprüngliche Investition für regenerative Praktiken.
Die Wirtschaft hat einen großen Hebel, um die ökologische Regeneration mitzugestalten. Dies erfordert aber ein erweitertes Selbstverständnis des unternehmerischen Geschäfts: Maßnahmen im Nachhaltigkeitsmanagement und in der Corporate Social Responsibility (CSR) versuchen in der Regel, der Natur durch die eigene Unternehmenspraxis lediglich keine weiteren Schäden zuzufügen. Dieses Verständnis von Nachhaltigkeit reicht allerdings nicht mehr aus: Die Grenzen der Natur sind bereits in einem so großen Umfang überschritten, dass sich Klima- und Nachhaltigkeitsziele nur noch mit regenerativen Maßnahmen erreichen lassen. Ein Paradigmenwechsel ist nötig: Menschen dürfen sich nicht mehr als externe „Reparateure" betrachten – sondern müssen sich selbst als ein Teil des Ökosystems begreifen.
Was CSR und regeneratives Wirtschaften jedoch eint, ist ihr Anspruch einer ganzheitlichen Perspektive. Genau wie CSR sollte man regenerative Praktiken nicht nur rein ökologisch denken, sondern mit gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Nutzen verbinden. Denn neben der Förderung der biologischen Vielfalt und der Verbesserung der Lebensbedingungen leisten regenerative Wirtschaftskonzepte zusätzlich Beiträge zur Ernährungssicherheit, zur Energieversorgung, zum Klimaschutz, zur Verringerung der städtischen Hitze, zur Kommunalentwicklung und zu vielen anderen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.
Geht doch: Innovative Konzepte existieren bereits
Für die Umsetzung sind nicht nur Politik, Landwirtschaft und engagierte NGOs gefragt. Es braucht vor allem Unternehmen, die entsprechende Konzepte in ihren Nachhaltigkeitsstrategien verankern und damit die Transformation von nachhaltigem Wirtschaften hin zur regenerativen Praxis vorantreiben. Der politische Fokus auf die Wiederherstellung von Ökosystemen bedeutet für konventionelle Unternehmen eine hohe Verantwortung, bietet aber auch große Chancen: Diejenigen, die bereits an Themen wie Biodiversität, Naturschutz oder Wiederaufforstung arbeiten, haben jetzt die Chance, sich als kompetente Kooperationspartner zu positionieren und zu zeigen, was sie bereits erforscht und geleistet haben. Wie in vielen anderen Bereichen der nachhaltigen Entwicklung gibt es auch im Bereich der regenerativen Wirtschaftspraxis bereits viele innovative Lösungen, die Pioniere in Deutschland und darüber hinaus umsetzen.
Landwirtschaft und Nahrungsmittelbranche zeigen sich besonders engagiert im Bereich der regenerativen Maßnahmen: So unterstützt der deutsche Bio-Lebensmittelhersteller followfood mit seiner Bodenretter-Initiative 2019 Landwirte dabei, regenerative Landnutzungskonzepte umzusetzen. Dazu führt das Unternehmen fünf bis 50 Cent aus jedem verkauften Produkt einem Fonds zu, dessen Mittel schließlich an die teilnehmenden Landwirte gehen. Das Unternehmen unterstützt außerdem ein Projekt zusammen mit dem Naturland-Betrieb Gut&Bösel und fördert die Transformation eines Hofes mit degradiertem Boden hin zum Modellbetrieb für regenerative Landnutzung. (forum berichtete dazu in Ausgabe 1/21)
Beispiele zeigen: (Um-)Handeln ist in allen Branchen möglich
Die nachhaltige Suchmaschine Ecosia richtet ihr ganzes Geschäftsmodell auf regenerative Praktiken aus: Sie nutzt die Einnahmen aus Anzeigen, die Nutzer in den Suchergebnissen sehen, um Bäume zu pflanzen. Mittlerweile investierte das Unternehmen bereits über 36 Millionen Euro und konnte so bereits über 152 Millionen Bäume auf der ganzen Welt pflanzen. Gründer Christian Kroll überführte einen Teil seiner Firma in die Purpose Stiftung, so dass das Unternehmen unverkäuflich ist und dauerhaft dem Zweck der Aufforstung dient.
Auch die Bekleidungsmarke Patagonia erzielt ökologischen Impact durch ihr regeneratives Geschäftsmodell. Das Unternehmen reinvestiert seine Erlöse in die Nachhaltigkeit der Produkte und Unternehmensaktivitäten. Damit generiert es eine steigende Nachfrage für regenerative Landwirtschaft, auf deren Ressourcen das Unternehmen schließlich wieder zugreifen kann. Patagonia kann nun seine transparent gemessene und belegte Wirkung für eine glaubwürdige Kommunikation nutzen, wodurch der Umsatz steigt und das Unternehmen folglich immer stärker in Nachhaltigkeit reinvestieren kann.
Auch Unternehmen, deren nicht-nachhaltige Praktiken einst Teil des Problems waren, können eine regenerative Richtung einschlagen. Ein Beispiel ist das Unternehmen Reckhaus. Der transformierende Geschäftsführer Dr. Hans-Dietrich Reckhaus gestaltet im Rahmen der Initiative Insect Respect das Geschäftsmodell seines Unternehmens vom Hersteller chemischer Biozide zum Anbieter ökologischer Dienstleistungen um – er verdient sein Geld nun zunehmend mit der Begrünung von Flächen und der Schaffung von insektenfreundlichen Lebensräumen auf Dächern und Firmengeländen. Andere Unternehmen beziehen ihre Rohstoffe aus regenerativem Anbau und unterstützen regenerative Praktiken innerhalb ihrer Lieferketten, wie zum Beispiel die Kosmetikhersteller Weleda, Dr. Hauschka, Lavera, Primavera und Lush.
In Kooperationen und Partnerschaften liegt ein starker Hebel, um eine regenerative Transformation voranzutreiben – so unterhält die IKEA Foundation Partnerschaften mit Organisationen und Projekten im Bereich der regenerativen Landwirtschaft. Microsoft nutzt währenddessen seine technologische Expertise, um seinen Beitrag zum regenerativen Wirtschaften zu leisten. Das Unternehmen setzt im Rahmen seines Geschäftsfelds Cloud Agronomics auf Fernerkennungstechnologien und künstliche Intelligenz, um Landwirten Einblicke in ihre Pflanzen und Böden zu gewähren.
Fazit: Unternehmen können sich inspirieren lassen
Unternehmen sind besonders gefordert, ihren Beitrag zur regenerativen Transformation zu leisten – klassische Maßnahmen der CSR reichen heute nicht mehr aus, um eine Klima- und Biodiversitätskatastrophe abzuwenden. Davon profitiert nicht nur ihre Außenwirkung, auch finanziell zahlen sich die Maßnahmen aus. Unternehmen müssen das Rad aber nicht neu erfinden: Viele Pioniere gehen bereits mit innovativen Konzepten voran und zeigen, wie sie regeneratives Handeln erfolgreich in der Unternehmenspraxis umsetzen.
Von Chiara Dalle Molle und Tina Teucher
Buchtipp
Ökologisch sinnvoll zu handeln und gleichzeitig ökonomisch erfolgreich zu wirtschaften, muss kein Widerspruch sein. Längst gibt es Unternehmen, die Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit in ihren Geschäftsmodellen miteinander in Einklang bringen, ja sogar regenerativ arbeiten. Denn zaudern und auf politische Vorgaben warten, gilt nicht: Wer heute schon die Weichen für ein nachhaltiges Wirtschaften von morgen stellen will, muss selbst aktiv werden. Jule und Lukas Bosch zeigen am Beispiel zahlreicher Unternehmensaktivist*innen wie ein verantwortungsbewusster Umgang mit unserem Planeten ein rentables Erlösmodell wird, sodass aus Ökologie und Ökonomie endlich eins wird: ÖKOnomie!
Jule Bosch, Lukas Bosch (2021): ÖKOnomie: So retten führende Unternehmensaktivist*innen unsere Zukunft: Erfolgsstrategien aus der Praxis.
Campus Verlag. ISBN: 978-3593513645
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Umwelt | Naturschutz, 01.08.2022
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2022 mit dem Schwerpunkt: Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft - Ist die Party vorbei? erschienen.
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