Wir brauchen eine öffentliche Suchmaschine

Der aktuelle Kommentar von Michael Andrick

Heute sind einige wenige Großunternehmen aus der Technologie- und Internetbranche die wichtigsten Verlage der Welt geworden. Ihre Stellung ist mittlerweile der von Kirche und Adel im mittelalterlichen Diskurs vergleichbar. Sie entscheiden maßgeblich darüber mit, welche Themen und Personen im öffentlichen Bewusstsein eine zentrale, eine nebengeordnete oder auch fast gar keine Rolle spielen: Je nachdem ob ein Suchbegriff bei Internetsuchen weit oben, weiter unten oder auch gar nicht in der Ergebnisliste auftaucht.
 
Suchmaschinen sind heute das, was früher die Bibliotheken waren; und der Zugang zu ihnen muss öffentlich sein, sagt Michael Andrick. © skitterphoto, pexels.comSuchmaschinen sind heute das, was früher die Bibliotheken waren; und der Zugang zu ihnen muss öffentlich sein, sagt Michael Andrick. © skitterphoto, pexels.com
Nicht nur in Suchmaschinenergebnissen, auch in den sozialen Netzwerken können manche Personen und Themen ungehindert vorkommen, während andere teilweise oder auch ganz zensiert werden. Das wies gerade ein überwiegend israelisches Autorenkollektiv in seiner Studie "Zensur und Unterdrückung von Covid-19 Heterodoxie" in der wissenschaftlichen Zeitschrift Minerva (Springer Science) detailliert nach: "Medien […] und insbesondere IT-Konzerne" haben ihrer Forschung zufolge eine zentrale Rolle dabei gespielt, die Äußerungen von Wissenschaftlern, "welche die offizielle Position von Regierungen und zwischenstaatlichen Akteuren [zu Covid-19] in Frage stellen", zu unterdrücken. Dabei sei "in großem Maßstab nicht nur Zensur angewandt", sondern es sei auch gezielt über das Internet und seine Plattformen versucht worden, "den Ruf und die beruflichen Karrieren von abweichenden Wissenschaftlern und Ärzten" zu beschädigen.
 
Digitales Demokratiedefizit
Dieses Beispiel zeigt: Die wenigen Konzerne, die über den Computercode ihrer Plattformprodukte einen ganz eigenen, in sich geschlossenen Kosmos für ihre Nutzer generieren können, haben eine enorme Macht für sich errungen – Macht über den Diskurs offener Gesellschaften und über das Schicksal derer, die sich in diesen Diskurs einbringen wollen.
 
Zwar taucht hin und wieder unter den Großfürsten des Digitalkapitals eine Reformatorenfigur auf – wie gerade Elon Musk bei Twitter, der seinen Jüngern (frei nach Luther gesprochen) den Ausgang aus der babylonischen Gefangenschaft eines zensierten Diskursraums verspricht. Aber auch Musk ist jetzt ganz einfach der Besitzer dieses Plattformunternehmens und hat deshalb ebenfalls die Versuchung und Möglichkeit, intransparent Einfluss zu nehmen. Der König ist tot, es lebe der König; nur ist auch der neue ein Autokrat.
 
Diese Machtverteilung im digitalen Raum ist mit demokratischen Verhältnissen nicht vereinbar. Sie muss per Gesetz verändert werden. Denn der inhaltliche Stoff der Selbstregierung durch Gespräch, die wir einer Demokratie miteinander zu leisten haben, stammt heute aus den unendlichen Weiten des Internets.
 
Behinderung der Meinungsbildung
Dort wollen zahlungskräftige Reklamekunden durch geschickte Werbung möglichst viel Geld verdienen, während politische Akteure am liebsten all das entfernt sehen möchten, was sie eigenmächtig als „Desinformation" brandmarken – und was natürlich niemals die Inhalte und Positionen sind, die sie selbst vertreten.
 
Wird aber der im Internet für den Bürger verfügbare und diskutierbare Inhalt auf diese Weise drapiert oder eingeschränkt, so wird damit die Sachbasis der Meinungsbildung geschmälert. Wir blicken dann durch die Brille derer auf die Welt, die genug Einfluss haben, um die Betreiber der Suchmaschinen und Plattformen für die Begünstigung ihrer Partikularinteressen zu bezahlen.
 
Ein schmaleres Informations- und Meinungsspektrum gebiert ein engeres Weltverständnis, und das führt zu schlechteren Diskussionen. Sachferne Debatten aber begünstigen ideologische Entscheidungen, die sich von der Wirklichkeit abkoppeln. Was die bewirken können, bedarf keiner Beispiele; sehen Sie sich um.
 
Internetsuche gehört zur Daseinsvorsorge
Dr. Michael Andrick © Karolina Kovac, BerlinDr. Michael Andrick © Karolina Kovac, Berlin
Online-Suchmaschinen sind heute ein Teil der unerlässlichen Infrastruktur der Gesellschaft. Die Internetsuche ist Teil der Daseinsvorsorge wie die Wasserversorgung. Aber sie wird von privaten Eigentümern und mit Profitstreben betrieben. Das ist für die Wasserversorgung schlecht, weil wir dann wegen des neu eingeführten Profitmotivs kostenoptimiertes, das heißt bis zur unteren Kante der Grenzwerte verschmutztes Wasser zu höheren Preisen bekommen werden. Und es ist bei Internetsuchen schlecht für den Bürger. Zum Einen erhält er dann Ergebnisse, deren Auswahlkriterien ihm nicht offengelegt werden.  Außerdem wird sein Suchverhalten individuell ausgewertet. Das produziert Informationen, die in den falschen Händen auch für Meinungsmanipulation genutzt werden können.  
 
Deshalb brauchen wir als ersten Schritt zu einem demokratiefreundlichen Internet eine öffentliche Suchmaschine. Sie muss großzügig aus Steuergeld finanziert sein. Ihr Programmcode muss öffentlich im Internet stehen, für jeden einsehbar und für Fachleute überprüfbar. Ihre Arbeit sollte von einem Bürgerrat überwacht werden, der aus der Bevölkerung ausgelost wird. Seine Mitglieder sollten für die Zeit ihres Mandats kündigungssicher von ihrer beruflichen Arbeit freigestellt sein.  Denn mündige Bürger brauchen freien Zugang zum Wissen der Welt – unbeeinflusst von ihrer Regierung und den mächtigen Werbeakteuren des Internets.
 
Der Text erschien ursprünglich auf deutschlandfunkkultur.de. Mit freundlicher Genehmigung.
 
Michael Andrick ist Philosoph und Manager. Als Mitglied des Kuratoriums von forum Nachhaltig Wirtschaften setzt er sich besonders für eine funktionierende demokratische Kultur ein. Für das Buch "Erfolgsleere" und seine Kolumne in der Berliner Zeitung erhielt er 2022 den "Jürgen-Moll-Preis für verständliche Sprache in der Wissenschaft". derandrick.de

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Technik | Digitalisierung, 06.12.2022

     
        
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