Wohlstand durch Entrepreneurship
Auch im Schwellenland Indien ist Selbstständigkeit mehr als eine Notlösung
Berufliche Selbstständigkeit und Unternehmensgründungen sind in westlichen Industrieländern ein viel studiertes Phänomen. Entrepreneurship gilt längst als zentrale Quelle für wirtschaftliches Wachstum. Wer aber entscheidet sich in Entwicklungsländern für die Selbstständigkeit?
Jagannadha Pawan Tamvada, Wissenschaftler am Max- Planck-Institut für Ökonomik in Jena, hat erstmals für Indien - eines der großen Schwellenländer Asiens - umfangreiche Datensätze mit Hilfe neuer ökonometrischer Verfahren analysiert und große regionale Unterschiede gefunden. Sein Fazit: Natürlich gibt es vor allem in armen Regionen Kleinstunternehmer aus wirtschaftlicher Not, aber Selbstständigkeit ist für viele Menschen weit mehr als eine reine Notlösung. So sind Selbstständige in urbanen Regionen Indiens nicht schlechter gestellt als etwa Angestellte, vielen geht es wirtschaftlich sogar bedeutend besser.
Tamvada analysierte die Daten von 90.000 Personen im Erwerbsalter (15 bis 70 Jahre) sowie von 150.000 Firmenneugründungen. Bei der Untersuchung der Altersstruktur und des Geschlechteranteils zeigten sich die aus den Industrieländern bekannten Tendenzen: Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit für Selbstständigkeit, und mehr Männer als Frauen sind selbstständig. Bei der Bildung ist der Zusammenhang vielschichtiger: Je höher der Bildungsgrad, desto wahrscheinlicher wird eine Selbstständigkeit - allerdings mit einer Ausnahme: den Universitätsabsolventen. "Akademiker haben eine größere Auswahl möglicher Arbeitsstellen und können auch in Angestelltenverhältnissen teilweise sehr hohe Gehälter erzielen. Sie wählen daher offenbar seltener den Weg in die Selbstständigkeit", erklärt Tamvada den Befund. Insgesamt ergaben sich in der Studie deutliche regionale Unterschiede: In den beiden ärmsten Regionen des Landes (Bihar und Uttar Pradesh) ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, selbstständig zu arbeiten. Dabei gilt: Je ärmer die Region ist, desto höher ist zwar der Anteil beruflich Selbstständiger, aber desto kleiner sind auch die Unternehmen, die dort neu in den Markt eintreten. Verglichen mit wirtschaftlich stärkeren Regionen arbeiten Selbständige hier öfter im Bereich der Landwirtschaft, aber seltener im verarbeitenden Gewerbe.
Die Frage, die den jungen Wissenschaftler umtrieb, war nun, ob Selbstständigkeit in Indien mehr sein kann als lediglich eine Folge wirtschaftlicher Not. Tamvada wertete daher die Konsumausgaben von 26.500 Haushalten als Indikator für ihren Wohlstand aus. Dabei ergab sich eine aufschlussreiche Hierarchie: "Am größten war der Wohlstand bei Selbstständigen mit Mitarbeitern. Es folgten Angestellte, Selbstständige ohne Mitarbeiter und schließlich Gelegenheitsarbeiter", fasst der Max-Planck-Forscher zusammen. Der Wohlstand von Selbstständigen ohne Mitarbeiter lag dabei nur geringfügig unter dem der Angestellten - und nach der Differenzierung in ländliche und urbane Regionen schloss sich in urbanen Regionen die Wohlstandslücke zwischen beiden Gruppen. Entrepreneurship ist also auch in urbanen indischen Regionen eine vielversprechende wirtschaftliche Option. Selbstständige finden sich dabei in allen Kategorien - vom Rikscha-Fahrer bis zum Firmengründer. Menschen mit Führerschein bieten sich Firmen oder Hospitälern als Fahrer an; Lehrer unterrichten Kinder wohlhabender Familien in deren Wohnung oder gründen eigene Schulen. "Die meisten Selbstständigen finden sich aber im Handel und im Handwerk", so Tamvada.
Wenn berufliche Selbstständigkeit tatsächlich eine Möglichkeit ist, die eigene wirtschaftliche Situation zu verbessern, was bestärkt oder hindert Menschen dann aber daran, unternehmerisch tätig zu werden? Eine bislang kaum untersuchte Determinante ist die Religion. Gemeinsam mit seinen Jenaer Kollegen David B. Audretsch und Werner Bönte hat Tamvada die Frage untersucht, wie sich in Indien ein bestimmter Glaube bzw. die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion auf die Wahrscheinlichkeit auswirkt, beruflich selbständig zu werden. Datenbasis hierfür waren wiederum die oben genannten 90.000 Erwerbspersonen in Indien. Hindus sind demnach in Indien insgesamt signifikant seltener selbstständig tätig als etwa Christen oder Moslems. "Der Einfluss des Hinduismus und des ihm immanenten Kastensystems auf das tägliche Leben und die soziale Stellung des Einzelnen ist enorm, auch wenn es "Unberührbare" laut Gesetz nicht mehr gibt", sagt Tamvada über sein Heimatland. Das belegt auch die Studie. So machen sich Angehörige der unteren Kasten seltener selbstständig als Angehörige höherer Kasten.
Originalveröffentlichung: Jagannadha Pawan Tamvada "Essays on Entrepreneurship and Economic Development" Dissertation Universität Göttingen
Kontakt:
Dr. Jagannadha Pawan Tamvada
Max-Planck-Institut für Ökonomik, Jena
Tel.: +49 3641-686 730 Fax: +49 3641-686 710
E-mail: tamvada@econ.mpg.de
Jagannadha Pawan Tamvada, Wissenschaftler am Max- Planck-Institut für Ökonomik in Jena, hat erstmals für Indien - eines der großen Schwellenländer Asiens - umfangreiche Datensätze mit Hilfe neuer ökonometrischer Verfahren analysiert und große regionale Unterschiede gefunden. Sein Fazit: Natürlich gibt es vor allem in armen Regionen Kleinstunternehmer aus wirtschaftlicher Not, aber Selbstständigkeit ist für viele Menschen weit mehr als eine reine Notlösung. So sind Selbstständige in urbanen Regionen Indiens nicht schlechter gestellt als etwa Angestellte, vielen geht es wirtschaftlich sogar bedeutend besser.
Tamvada analysierte die Daten von 90.000 Personen im Erwerbsalter (15 bis 70 Jahre) sowie von 150.000 Firmenneugründungen. Bei der Untersuchung der Altersstruktur und des Geschlechteranteils zeigten sich die aus den Industrieländern bekannten Tendenzen: Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit für Selbstständigkeit, und mehr Männer als Frauen sind selbstständig. Bei der Bildung ist der Zusammenhang vielschichtiger: Je höher der Bildungsgrad, desto wahrscheinlicher wird eine Selbstständigkeit - allerdings mit einer Ausnahme: den Universitätsabsolventen. "Akademiker haben eine größere Auswahl möglicher Arbeitsstellen und können auch in Angestelltenverhältnissen teilweise sehr hohe Gehälter erzielen. Sie wählen daher offenbar seltener den Weg in die Selbstständigkeit", erklärt Tamvada den Befund. Insgesamt ergaben sich in der Studie deutliche regionale Unterschiede: In den beiden ärmsten Regionen des Landes (Bihar und Uttar Pradesh) ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, selbstständig zu arbeiten. Dabei gilt: Je ärmer die Region ist, desto höher ist zwar der Anteil beruflich Selbstständiger, aber desto kleiner sind auch die Unternehmen, die dort neu in den Markt eintreten. Verglichen mit wirtschaftlich stärkeren Regionen arbeiten Selbständige hier öfter im Bereich der Landwirtschaft, aber seltener im verarbeitenden Gewerbe.
Die Frage, die den jungen Wissenschaftler umtrieb, war nun, ob Selbstständigkeit in Indien mehr sein kann als lediglich eine Folge wirtschaftlicher Not. Tamvada wertete daher die Konsumausgaben von 26.500 Haushalten als Indikator für ihren Wohlstand aus. Dabei ergab sich eine aufschlussreiche Hierarchie: "Am größten war der Wohlstand bei Selbstständigen mit Mitarbeitern. Es folgten Angestellte, Selbstständige ohne Mitarbeiter und schließlich Gelegenheitsarbeiter", fasst der Max-Planck-Forscher zusammen. Der Wohlstand von Selbstständigen ohne Mitarbeiter lag dabei nur geringfügig unter dem der Angestellten - und nach der Differenzierung in ländliche und urbane Regionen schloss sich in urbanen Regionen die Wohlstandslücke zwischen beiden Gruppen. Entrepreneurship ist also auch in urbanen indischen Regionen eine vielversprechende wirtschaftliche Option. Selbstständige finden sich dabei in allen Kategorien - vom Rikscha-Fahrer bis zum Firmengründer. Menschen mit Führerschein bieten sich Firmen oder Hospitälern als Fahrer an; Lehrer unterrichten Kinder wohlhabender Familien in deren Wohnung oder gründen eigene Schulen. "Die meisten Selbstständigen finden sich aber im Handel und im Handwerk", so Tamvada.
Wenn berufliche Selbstständigkeit tatsächlich eine Möglichkeit ist, die eigene wirtschaftliche Situation zu verbessern, was bestärkt oder hindert Menschen dann aber daran, unternehmerisch tätig zu werden? Eine bislang kaum untersuchte Determinante ist die Religion. Gemeinsam mit seinen Jenaer Kollegen David B. Audretsch und Werner Bönte hat Tamvada die Frage untersucht, wie sich in Indien ein bestimmter Glaube bzw. die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion auf die Wahrscheinlichkeit auswirkt, beruflich selbständig zu werden. Datenbasis hierfür waren wiederum die oben genannten 90.000 Erwerbspersonen in Indien. Hindus sind demnach in Indien insgesamt signifikant seltener selbstständig tätig als etwa Christen oder Moslems. "Der Einfluss des Hinduismus und des ihm immanenten Kastensystems auf das tägliche Leben und die soziale Stellung des Einzelnen ist enorm, auch wenn es "Unberührbare" laut Gesetz nicht mehr gibt", sagt Tamvada über sein Heimatland. Das belegt auch die Studie. So machen sich Angehörige der unteren Kasten seltener selbstständig als Angehörige höherer Kasten.
Originalveröffentlichung: Jagannadha Pawan Tamvada "Essays on Entrepreneurship and Economic Development" Dissertation Universität Göttingen
Kontakt:
Dr. Jagannadha Pawan Tamvada
Max-Planck-Institut für Ökonomik, Jena
Tel.: +49 3641-686 730 Fax: +49 3641-686 710
E-mail: tamvada@econ.mpg.de
Quelle:
Gesellschaft | Globalisierung, 20.08.2008
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