ESG-Leistungs­indikatoren für die Ernährungsindustrie

Land- und Ernährungswirtschaft sind zentral für die Nachhaltigkeitstransformation

Die Ernährungswende braucht ein Pendant auf Unternehmensseite. Leistungsindikatoren in den Dimensionen Environmental, Social und Governance (ESG) ermöglichen es Unternehmen der Ernährungsindustrie, Nachhaltigkeitsziele steuerungsrelevant zu machen. Sie leisten damit auch Vorarbeiten für die Berichtspflichten gemäß der European Sustainability Reporting Standards.

© 123 rf / neznamcoDie Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft hin zu Nachhaltigkeit ist eine immense Aufgabe. Der Land- und Ernährungswirtschaft kommt die Aufgabe zu, die Bevölkerung gut und sicher mit Nahrungsmitteln zu versorgen und gleichzeitig ressourcenschonend zu produzieren. Seit Jahren steht die Landwirtschaft unter Druck, zu möglichst günstigen Preisen zu produzieren – Nachhaltigkeitsschäden werden nicht eingepreist. Bislang werden unternehmerische Leistungen für Nachhaltigkeit nicht gemessen und bezahlt, was zu einem verzerrten Wettbewerb führt. Die Situation hat sich weiter verschärft durch Preissteigerungen und gedrosselten Konsum. Es wird Zeit, Nachhaltigkeit in die unternehmerische Erfolgsrechnung zu integrieren.

EU Green Deal – Herausforderung und Chance
Die EU-Kommission hat mit der Agenda 2030, dem Pariser Klimarahmenvertrag und dem EU Green Deal ambitionierte Ziele gesetzt. Die Finanzwirtschaft soll zum Katalysator der Transformation der Realwirtschaft werden (1). Dafür ist es nötig, dass Finanz- und Realwirtschaft und ihre Stakeholder eine gemeinsame Sprache finden, um nachhaltiges Wirtschaften und Transformationspfade abzubilden. Nachhaltiges Wirtschaften wird dabei in die Faktoren Environmental, Social und Governance (ESG) aufgegliedert.

In den nächsten Jahren soll die Nachhaltigkeitsberichterstattung auf Augenhöhe mit der Finanzberichterstattung gehoben werden. Um einheitliche und vergleichbare Kriterien zu verwenden, werden Berichtssysteme für Banken, Versicherungen und Unternehmen entwickelt, u.a. die EU-Taxonomie für nachhaltige Aktivitäten und die European Sustainability Reporting Standards (ESRS).

Land- und Ernährungswirtschaft sind zentral für die Nachhaltigkeitstransformation
Die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) identifizierte zehn Sektoren mit besonderem Transformationspotenzial, dazu zählen die Landwirtschaft (agriculture, farming and fishing) und die Ernährungswirtschaft (food and beverages). Dies verdeutlicht, wie wichtig die Branche für die gesamte Nachhaltigkeitstransformation ist. Etwas abseits der öffentlichen Diskussionen läuft innerhalb der EFRAG die Entwicklung von Sektorstandards für die Land- und Ernährungswirtschaft auf Hochtouren. Ein Blick in das aktuelle Arbeitspapier und die Sitzungen der Sektor-Arbeitsgruppe „agriculture, food and beverages" (2) zeigt, dass fast sämtliche sektorübergreifenden Themen auch in den Sektorstandards für die Landwirtschaft und Ernährungsindustrie virulent werden. Während Detailfragen zur Messung und Bewertung nachhaltigen Wirtschaftens ein ergiebiges Forschungsfeld bieten, drängt die Zeit für die praktische Umsetzung. Das nicht-finanzielle Reporting bedeutet noch keine Bewertung, doch wo betriebliche Daten in standardisiertem Format offengelegt werden, drängt sich der Vergleich auf. Zumal in der EU-Taxonomie die Bewertung von Aktivitäten als (nicht) nachhaltig enthalten ist und Banken und Versicherungen dringend erfahren wollen, wie ihre Portfolios zu bewerten sind. Doch wie können ESG-Leistungsindikatoren für die Ernährungswirtschaft aussehen?

Vision für die integrierte Nachhaltigkeitsberichterstattung
Eine klare Vision und Methodik für eine integrierte Berichterstattung und Bilanzierung bietet Sustainable Performance Accounting (3). Die Analyse von nachhaltigem Wirtschaften nutzt die bewährten und bekannten Methoden der Betriebswirtschaft: Wie für alle Erfolgsfaktoren lassen sich für Nachhaltigkeit auf Unternehmensebene konkrete Ziele festlegen und Aktivitäten aufschlüsseln, die auf diese Ziele einzahlen oder ihnen entgegenwirken. Die Performance lässt sich anhand von ESG-Leistungsindikatoren messen und bewerten. Bereits in den letzten acht Jahren erprobten Pionierunternehmen unter dem Slogan „richtig rechnen" ESG-Leistungsindikatoren für die Land- und Ernährungswirtschaft. Im Innovationsprojekt QuartaVista (2018-2021) gelang der Durchbruch: Regionalwert entwickelte in Kooperation mit SAP SE und vier Unternehmen der Ernährungswirtschaft ein Set von ESG-Leistungsfaktoren, die anhand von Aufwänden erhoben, bewertet, monetarisiert und bilanziert wurden (4,5) Als Orientierung dienten die SDGs (Sustainable Development Goals).

Grafik: eigene Darstellung, © Regionalwert Research gGmbH
Vergleich der ESG-Leistungs­indikatoren aus QuartaVista, den ESRS und den SDGs
Die Grafik bietet eine Übersicht über Leistungsindikatoren, die im Projekt QuartaVista auf Unternehmensebene erfasst, bewertet und monetarisiert wurden, im Vergleich mit den SDGs und dem aktuellen Entwurf zu den Sektor-ESRS „agriculture, food and beverages" (Stand: März 2023).

Eine hochdynamische Situation
Die Entwicklung von ESG-Leistungsindikatoren hat sich in den letzten Monaten vom Nischenthema zu einem zentralen Anliegen der Stakeholder der Land- und Ernährungswirtschaft entwickelt. Während Banken und Versicherungen bereits die EU-Taxonomie anwenden, wurden gerade im Frühjahr neue Vorgaben zu den Umweltzielen veröffentlicht. Einige große Unternehmen der Land- und Ernährungswirtschaft sind bereits dieses Jahr CSRD-pflichtig, während sich die eigentlichen Nachhaltigkeitsstandards ESRS noch in Entwicklung befinden. Viele weitere Unternehmen bereiten sich darauf vor, im kommenden Jahr direkt und mittelbar berichtspflichtig zu werden. Obwohl im März 2023 kurzfristig entschieden wurde, die Veröffentlichung und Konsultation der ESRS-Sektorstandards um mehrere Monate zu verschieben, läuft die inhaltliche Vorbereitung auf Hochtouren.
 
Bislang werden unternehmerische Leistungen für Nachhaltigkeit nicht gemessen und bezahlt, was zu einem verzerrten Wettbewerb führt. Es wird Zeit, Nachhaltigkeit in die unternehmerische Erfolgsrechnung zu integrieren.
 
Unternehmen, die sich nicht auf die Compliance mit Berichtspflichten beschränken wollen, sondern ihre Unternehmensstrategie aktiv an der Zukunft ausrichten, denken bereits den nächsten Schritt: Sie wollen ESG-Leistungsfaktoren nicht nur berichten, sondern verstehen Nachhaltigkeit als Erfolgsfaktor. Sie sind intrinsisch motiviert, ihre Nachhaltigkeitsrisiken zu kennen, ihre Nachhaltigkeitsleistungen sichtbar zu machen und in ihrer Erfolgsrechnung mitzudenken.

Im Mai 2022 hat sich mit dem Transformationslabor Ernährung eine ambitionierte Koalition aus B.A.U.M. e.V., der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie, dem Zentrum für Nachhaltige Unternehmensführung der Universität Witten/Herdecke und dem Think Tank Regionalwert Research gebildet. Gemeinsam wollen sie Messmethoden und Beiträge zu einem nachhaltigen Ernährungssystem sichtbar machen und Stakeholder der Ernährungsindustrie auf dem Transformationspfad ermutigen. Ziel ist, konkrete Lösungsansätze in Richtung Klimaneutralität und EU Green Deal zu entwickeln. Es ist noch ein langer Weg bis zur Vollintegration von Nachhaltigkeit in die Erfolgsrechnung. Aber nun geht es mit Siebenmeilenstiefeln voran.

Transformationslabor Ernährung
Die Ernährungswirtschaft bietet mit ihren sehr diversen, globalen Lieferketten entscheidendes Potenzial zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels. Der Fokus des Projekts von B.A.U.M. liegt auf zentralen Handlungsfeldern und geeigneten Transformationsindikatoren zur Messung und Bewertung von unternehmerischen Beiträgen zu einer nachhaltigen Entwicklung, die zugleich das Informationsinteresse von Finanzmarktakteuren erfüllen. Im Projektverlauf werden weitere, mit der Ernährungswirtschaft verbundene Branchen und Schnittstellenthemen einbezogen. Ziel ist, Unternehmen in ihrer Transformation hin zu einer klimaresilienten und distributiven Wirtschaftsweise zu unterstützen. Dokumentation der bisherigen Workshops und weitere Informationen unter www.wirtschaftproklima.de/ernaehrung

Dr. Jenny Lay-Kumar ist Expertin für nachhaltiges Wirtschaften mit Schwerpunkt Land- und Ernährungswirtschaft. Sie ist Geschäftsführerin des Think Tanks Regionalwert Research gGmbH mit Sitz in Leipzig. Seit 2022 arbeitet sie in der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) in der Sektor-Taskforce ESRS an der Entwicklung von Nachhaltigkeitsstandards für die Land- und Ernährungswirtschaft mit.

1) Zwick, Y., Jeromin, K. (Hgg.) (2023): Mit Sustainable Finance die Transformation dynamisieren. Wiesbaden: Springer Gabler.
2) European Financial Reporting Advisory Group/ Writing Team agriculture, food and beverages (2023): Sector Specific Working Paper. https://efrag.org/Meetings/2301041622369521/EFRAG-SR-TEG-Meeting-13-March-2023, abgerufen am 24.04.2023.
3) Lay-Kumar, J., Walkiewicz, J., Hiß, C., Heck, A. (2023): Sustainable Performance Accounting als Schlüssel für die Nachhaltigkeitstransformation – Einsichten aus dem Projekt QuartaVista. In: Zwick, Y., Jeromin, K. (Hgg.): Mit Sustainable Finance die Transformation dynamisieren. Wiesbaden: Springer Gabler. https://doi.org/10.1007/978-3-658-38044-1_14, abgerufen am 24.04.2023.
4) Projekt QuartaVista® (2021): Abschlussbericht. Projektbericht der Konsortialpartner mit Berichtsteilen u.a. von SAP SE und Regionalwert AG Freiburg. https://www.quartavista.de/abschlussbericht, abgerufen am 21.04.2023.
5) Walkiewicz, J., Lay-Kumar, J., Herzig, C. (2021): The integration of sustainability and externalities into the „corporate DNA": A practice-oriented approach. In: Corporate Governance, 21(3), 479–496. https://doi.org/10.1108/CG-06-2020-0244, abgerufen am 24.04.2023.


Quelle: BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften

Lifestyle | Essen & Trinken, 01.06.2023
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2023 mit dem Schwerpunkt: Künstliche Intelligenz - Künstliche Intelligenz oder natürliche Dummheit? erschienen.
     
        
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