Parteiübergreifender Wahlkampftrend "Verbieten verbieten"
Christoph Quarch sieht es als Aufgabe der Politik, das Gemeinwohl zu befördern. Und der Klimawandel erfordert rasches Handeln.
In einigen Bundesländern wird am 8. Oktober gewählt. Unter anderem in Hessen. Dort beobachtet unser Philosoph Christoph Quarch den aktuellen Wahlkampf. Dabei ist ihm ein parteiübergreifender Trend aufgefallen, der ihm zu denken gibt: ein ausdrückliches Nein zu Verboten. So wirbt die FDP mit der Zeile „Verbieten wir uns nicht die Wirtschaft kaputt", und die CDU tritt an mit dem Slogan: „Autos verbieten verboten". Woher kommt dieser Trend? Und zu welchen Konsequenzen führt er? Darüber haben wir mit Christoph Quarch gesprochen.
Herr Quarch, was steckt hinter dem Nein zu Verboten?
In meinen Augen handelt es sich dabei um eine Anbiederung an den Wähler. Besonders deutlich ist das bei dem CDU-Slogan: „Autos verbieten verboten!" Ich wüsste nicht, dass irgendjemand Autos verbieten möchte – allenfalls eine bestimmte Art von Autos. Aber offenbar sehen sich die Wahlkampfstrategen nicht bemüßigt, hier zu differenzieren. Wozu auch? Der gewünschte Effekt kommt auch so: Der Wähler denkt: „Die da oben wollen uns die Autos wegnehmen. Das lass ich nicht mit mir machen." Die FDP-Parole funktioniert genauso. Auch hier wird pauschal ein Affekt beim Wähler angesprochen: „Ich lass mir nix verbieten!" „Verbieten geht gar nicht!" „Freie Fahrt für freie Bürger" usw.
Aber es ist doch legitim, im Wahlkampf die Wählerinnen und Wähler da anzusprechen, wo sie ansprechbar sind: etwa bei ihrer Abneigung gegen Verbote?
Ja, aber ist es gefährlich und kurzsichtig. Meines Erachtens sind die Parolen gegen Verbote der hilflose Versuch, rechte Wählergruppen für sich zu gewinnen. Es gehört zum Profil der AfD-Anhänger, sich nichts verbieten zu lassen, was sie dazu nötigen könnte, ihre Lebensweise ändern zu müssen; vor allem nicht von Grünen oder Linken, die angeblich besonders Verbots-affin sind. „Ich will weiter Diesel fahren", denken diese Leute – und die Union hofft offenbar, mit ihrem Verbotsverbot bei ihnen zu punkten. Das ist gefährlich, weil man damit eine undemokratische Denke bedient: „Hauptsache ich, die Gesellschaft ist mir egal".
Aber bei der FDP ist das doch anders. Dort weiß man sich dem Liberalismus verpflichtet, dessen Grundidee es ist, dass ökonomischer Wohlstand auf einem freien, deregulierten Markt entsteht. Da gehört es quasi zur DNA, der Wirtschaft keine Verbote zumuten zu wollen.
Das ändert nichts daran, dass es ein übles Spiel ist, das die FDP da spielt: Man stilisiert die Ampelkoalitionspartner untergründig als Verbotsfanatiker, um dann die eigene Ideologie dagegen in Stellung zu bringen. Das erste ist unanständig, weil es eher Klischees bedient als der Wahrheit entspricht; das zweite ist gefährlich, weil sich der Liberalismus im Zeitalter des Klimawandels überlebt hat. Zum einen, weil der freie Markt nicht nur Wohlstand erzeugt hat, sondern auch die großen ökologischen und sozialen Probleme, vor denen wir heute stehen; zum anderen, weil der Affekt gegen Verbote zu einer politischen Agonie führt, die wir uns angesichts der Dringlichkeit dieser Probleme nicht länger leisten können.
Aus der Psychologie weiß man, dass Verbote oft kontraproduktiv sind. Warum sollte das in der Politik anders sein?
Die Politik ist nicht dafür da, die Bedürfnisse von Individuen zu befriedigen oder deren Abneigung gegen Verbote zu bedienen. Ihre Aufgabe ist es, das Gemeinwohl zu befördern. Deshalb gibt es bei uns eine Regierung, die demokratisch dazu legitimiert ist, Maßnahmen zu ergreifen, die dem Gemeinwohl dienen. Dazu gehören neben Finanzierungen und Besteuerungen auch Verbote – vor allem, wenn schnell und effizient auf aktuelle Notlagen reagiert werden muss. Und es reicht ein Blick nach Südeuropa, um zu erkennen, dass der Klimawandel eine solche Notlage ist, die rasches Handeln erfordert. Dafür gibt es politische Macht. Wer von dieser Macht aus ideologischen Gründen keinen Gebrauch machen will, hat Politik nicht verstanden und ist nicht regierungstauglich.
Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.
Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel".
Gesellschaft | Politik, 07.09.2023
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