Schuldig am Terror sind allein die Täter und Drahtzieher
Christoph Quarch will aber verstehen, welche Faktoren das Klima erzeugten, das ihre Taten begünstigt hat.
Grauen und Schrecken scheinen kein Ende zu nehmen. Immer neue Nachrichten von Terror, Gewalt und unmenschlicher Barbarei erreichen uns aus Israel. Und immer deutlicher wird, mit welcher Brutalität die palästinensischen Terroristen am vergangenen Wochenende über die Menschen in Israel hergefallen sind. Rund 150 Überlebende wurden von den Gewalttätern verschleppt und werden als Geiseln missbraucht. Israel reagiert derweil mit einer großangelegten militärischen Gegenoffensive im dicht besiedelten Gazastreifen. Und das Blutvergießen geht weiter. Wie soll man sich dazu verhalten? Wie können wir mit diesen Schrecken umgehen? Darüber reden wir mit dem Philosophen Christoph Quarch.
Herr Quarch, was nützt Ihnen die Philosophie angesichts der Schreckensnachrichten aus Israel?
Das Denken ist wie ein Schutzschild, das es mir möglich macht, mich emotional nicht zu sehr von dem übermächtigen zu lassen, was ich in den Nachrichten höre und lese. Ohne das wäre ich vermutlich ein Spielball des Zorns und der Trauer, die in mir wüten. Doch so berechtigt diese Emotionen sind, so wenig helfen sie einem weiter. Deshalb hat die Außenministerin Recht, wenn sie sagt, um dem Terror zu begegnen brauche es einen kühlen Kopf, selbst wenn einem das Herz glüht. Das Geschehene können wir nicht rückgängig machen, aber wir können versuchen, die Ereignisse zu verstehen – um dann die richtigen Konsequenzen daraus ziehen. Das hilft mir, dem Gefühl der Ohnmacht zu entkommen.
Wollen Sie damit sagen, dass man für die Konfliktparteien Verständnis aufbringen sollte – nicht nur für die israelische Reaktion, sondern auch für die palästinensischen Terroristen und deren Drahtzieher?
Auf keine Weise. Der Versuch zu verstehen, bedeutet nicht, den Akteuren Verständnis entgegenzubringen – geschweige denn, ihnen zu verzeihen. Vielmehr geht es darum zu verstehen, dass die Bestialität der Gewalttäter vor allem gegen Frauen und Kinder schlechterdings unverzeihlich ist. Jeder Versuch, deren Handeln kausal aus der israelischen Siedlungspolitik oder dergleichen herzuleiten verkennt, dass die Täter Menschen sind, die sich in Freiheit dazu entschieden haben, bar jeder Humanität ein beispielloses Blutbad anzurichten. So unmenschlich sie handeln, sind sie doch Menschen, die für ihre Taten zur Verantwortung gezogen werden können und müssen. Sie hätten auch Nein sagen können.
Aber man muss sich doch fragen, wie es dazu kommen konnte, dass Tausende von Palästinensern sich bereitgefunden haben, in Israel ein Blutbad anzurichten. Es gibt doch eine Vorgeschichte, zu der die israelische Siedlungspolitik dazugehört.
Genau, und diese Vorgeschichte zu durchleuchten ist ein wichtiger Teil dessen, was ich meine, wenn ich sage, wir müssten versuchen zu verstehen. Nur – und das ist mir wichtig – lässt sich das nun Geschehene durch diese Vorgeschichte nicht entschuldigen. Mildernde Umstände, wie wir sie als psychologisch geschulte Menschen gern geltend machen wollen, können meines Erachtens nicht angeführt werden, denn die Täter haben sich bewusst für die Barbarei entschieden. Damit rede ich nicht die israelische Politik schön. Im Gegenteil. Sie hat ein Umfeld geschaffen, in dem Hass und Gewalt gesät werden konnten. Aber sie ist nicht schuld an dem, was nun geschehen ist. Die Kategorie der Schuld ist im Blick auf Israel fehl am Platze.
Wer trägt dann die Schuld?
Schuldig sind allein die Täter und Drahtzieher. Sie müssen sich vor den Opfern moralisch und vor dem Recht juristisch verantworten. Wir hingegen müssen verstehen, welche Faktoren das Klima erzeugten, das ihre Taten begünstigt hat. Das sind die politischen und sozialen Verhältnisse in Palästina. Das ist eine Religion, mit der Hassprediger selbst rohe Gewalt legitimieren. Und das ist auch der Antisemitismus in unseren Breiten. Auch das gilt es zu verstehen: Wer am Morgen nach dem Überfall auf Israel seine Stimme einer Partei gibt, die in Björn Höcke einem bekennenden Antisemiten als Führungsperson huldigt, trägt dazu bei, ein Klima zu erzeugen, das die Feinde Israels zu ihrer Barbarei ermutigt. Das Ausbleiben einer Reaktion der AfD offenbart ihr wahres Gesicht. Das ist das Erste, was es hier zu verstehen gilt.
Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.
Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel".
Gesellschaft | Politik, 10.10.2023
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