Negativjournalismus beschleunigt die Erosion der demokratischen Kultur
Christoph Quarch fordert von den Medien eine klare Trennung von Meinungsäußerung und Berichterstattung
Lisa Paus hat sich blamiert. So die einhellige Meinung von Berichterstattern und Kommentatoren, nachdem die ZDF-Sendung Berlin-Direkt den Ausschnitt aus einer Pressekonferenz zeigte, bei der die Bundesfamilienministerin keine Antwort auf die Frage fand, was sie davon halte, das Bekenntnis zu Israel zur Einbürgerungs-Voraussetzung zu machen. Das Video zeigt eine verlegene Ministerin, die sich ihrem Pressesprecher zuwendet, der dann für sie einspringt. Die Kommentare reichen von „peinlicher Blackout" bis „Fremdschäm-Interview". Dürfen sich Bundesminister einen solchen Fauxpas erlauben? Darüber sprechen wir mit unserem Philosophen Christoph Quarch.
Herr Quarch, haben auch Sie sich beim Ansehen des Paus-Videos fremdgeschämt?
Überhaupt nicht. Eher schäme ich mich fremd, wenn ich mir anschaue, wie unsere journalistischen Kollegen darauf anspringen. Denn da sehe ich eine mir bedenklich Lust daran, Politikerinnen und Politiker schlecht aussehen zu lassen – wenn nicht gleich: fertigzumachen. Naheliegenderweise trifft diese Lust vornehmlich den politischen Gegner im Allgemeinen und – als aktueller Modetrend – die Ampel im Besonderen. Ich finde das bedenklich, denn auf diese Weise wird ein öffentliches Klima der Unzufriedenheit und Gehässigkeit genährt, von dem nur die Feinde der Demokratie profitieren. Die Wahlerfolge der AfD sprechen Bände.
In einer Demokratie sind die Medien aber doch zu einer kritischen Berichterstattung verpflichtet. Lobhudelei und Hofberichterstattung haben da keinen Platz. Wollen Sie dieses journalistische Ethos in Frage stellen?
Keineswegs. Mir geht es gerade um das journalistische Ethos, das ich vor langen Jahren als Volontär gelernt und als Chefredakteur praktiziert habe. Dazu gehört die klare Trennung zwischen Meinungsäußerung und Berichterstattung. Diese feine, aber für einen sachgemäßen demokratischen Diskurs dringend notwendige Demarkationslinie wird selbst in Qualitätsmedien immer häufiger überschritten. Sie haben den Focus zitiert. Dessen Bericht über den Vorgang ist mit „peinlicher Blackout" betitelt. Das ist eine klare Meinungskundgabe, die in einem Bericht nichts verloren hat. Und so geschieht es dauernd. Die Ampelkoalition „diskutiert" nie, sondern „streitet" immer. Das sind subtile Wertungen, die das journalistische Ethos untergraben und den öffentlichen Diskurs vergiften.
Zurück zu Frau Paus: Die Frage, die sie nicht beantworten konnte, war ja nicht irgendeine Frage. Es ging um den Vorschlag eines CDU-Politikers, ein Bekenntnis zu Israel zur Einbürgerungsvoraussetzung zu machen. Darauf muss eine zuständige Ministerin doch antworten können. Zumal in der jetzigen Situation.
Ich sehe das anders. In meinen Augen haben auch Politikerinnen das Recht, nicht jederzeit alles wissen zu müssen; einfach deswegen, weil sie nicht alles wissen können. Genau deshalb gibt es einen Pressesprecher, der bei der Pressekonferenz zugegen ist. Es ist vollkommen in Ordnung, dessen Dienste in Anspruch zu nehmen. Es ist allemal besser dies zu tun, als rumzueiern oder Fragen nicht korrekt zu beantworten. Wenn jemand etwas nicht weiß oder um eine Antwort verlegen ist, dann ist es in meinem Verständnis fair, nachsichtig zu reagieren, anstatt einen Skandal daraus zu machen. Angesichts dieser aufgeregten Empörungsmaschinerie kann ich jeden verstehen, der heute davor zurückschreckt, in die Politik zu gehen. Aber wenn das passiert, ist die Demokratie in Gefahr. Das sollten Journalisten wissen.
Aber es kann auch nicht die Aufgabe der Medien sein, wegzuschauen, wenn Politiker Fehler begehen.
Völlig einverstanden, aber es geht ums Wie. Nach meinem Dafürhalten neigt die deutsche Medienlandschaft zu einem reflexartigen Negativjournalismus. Das liegt nicht daran, dass die Regierung so schlecht wäre und einen Fehler nach dem anderen beginge. Das liegt daran, dass die Medien einer Aufmerksamkeitsökonomie unterworfen sind, die sie zwingt, möglichst viel der Aufmerksamkeit der Konsumenten auf sich zu lenken. Und wie macht man das? Indem man meckert, nörgelt, Empörung säht. So wird ein negatives Klima erzeugt, in dem die Menschen begierig alles aufsagen, worüber sie noch mehr lästern können. Wenn das Ganze gegen die aktuelle Regierung gemünzt wird, freut sich zwar die Opposition – doch sie verkennt den Preis, den wir dafür zahlen müssen: die Erosion der demokratischen Kultur.
Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.
Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel".
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